Hajo Seppelts Dokumentarfilm für die ARD "Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht" hatte erstmals im Dezember 2014 zahlreiche Belege und Dokumente zum flächendeckenden Doping in Russland öffentlich gemacht.
Olympia in Rio ohne Russland ist möglich
Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hält an der Sperre der russischen Sportler fest. Damit steht der Ausschluss der Leichtathleten von den Olympischen Spielen in Rio fest, sagt der Journalist Hajo Seppelt. Der Ausschluss drohe sogar dem gesamten russischen Olympia-Team.
Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hat die seit November 2015 wirksame Suspendierung des russischen Verbandes bestätigt. Formal und in letzter Instanz entscheidet darüber noch das Internationale Olympische Komitee.
Der Sportjournalist und ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt sieht mit der Sperren-Bestätigung für Russland durch den IAAF den Ausschluss der russischen Leichtathleten von den olympischen Sommerspielen in Rio für bereits bestätigt und hält darüber hinaus eine Sperre des gesamten russischen Olympia-Teams für möglich.
"Das IOC kann das nur noch abnicken", sagte Seppelt im Deutschlandradio Kultur über die Entscheidung des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF. Zuständig für die Zulassung seien die internationalen Fachverbände. Der russische Staat habe darüber gewacht, dass bestimmte Dinge "nicht auffliegen".
Könne alles noch viel Schlimmer werden
"Das was wir jetzt erleben, ist eben bewiesen", erklärte Seppelt. Angesichts massiver Verdachtsmomente zu Dopingvorwürfen gegen russische Sportler bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2015 könne "das Ganze noch viel Schlimmer werden".
Sollten sich die Untersuchungen der Welt-Anti-Dopingagentur WADA dazu bestätigen, könne in den nächsten Wochen sogar der Ausschluss des gesamten russischen Olympiateams die Folge sein. Es gebe massive Indizien dafür, dass es zu Vertuschungen im olympischen Kontrolllabor gekommen sei, in die der russische Staatsapparat verwickelt gewesen sei, erklärte der WDR-Journalist, der seit vielen Jahren für die ARD zum Thema Doping recherchiert.
Weltweit unabhängige Kontrollen wären notwendig
In der Diskussion um Doping-Kontrollen forderte Seppelt die weltweite Einführung von schärferen Kontrollen und Überprüfungen. "Es gibt viele weiße Flecken auf der Welt", erklärte der Journalist. Notwendig seien unabhängige dritte Institutionen, "dann würden wir ähnliche Strukturen, vielleicht nicht in dem Ausmaß, aber doch von der Anlage her ähnlich, auch in anderen Ländern entdecken, in denen seit 20, 30 Jahren nie einer so richtig nachgeschaut hat".
Auch in Kenia hätten Leichtathleten über Jahre hinweg gedopt oder seien gedopt worden. "Auch dort gibt es massive Probleme, wie auch immer mehr Sportfunktionäre einräumen", sagte Seppelt.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Es ist eine historische Entscheidung, die des Weltverbandes der Leichtathletik: Russische Sportler bleiben wegen systematischen Dopings suspendiert, und zwar auch für die Zeit der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Jetzt berät das IOC und für Dienstag ist in Lausanne der IOC-Gipfel angesetzt. Systematisches Doping in Russland? Dazu hat intensiv recherchiert die ARD-WDR-Dopingredaktion, und das Gesicht dieser Redaktion gehört Hajo Seppelt. Guten Morgen, Herr Seppelt!
Hajo Seppelt: Guten Morgen!
Welty: Mit welchem Gefühl sind Sie heute früh wach geworden? Mit dem Gefühl, man kann als Journalist noch was erreichen?
Seppelt: Ja, das muss ich schon zugeben, das ist schon so! Ich habe wirklich gedacht, na ja, also, ich mache den Job jetzt 30 Jahre, ich bin jetzt nicht einer, der … Also nicht Doping, aber als Sportreporter bin ich unterwegs, übrigens bei Ihnen im Hause, in Berlin habe ich angefangen, am Hans-Rosenthal-Platz, schon lange, lange her. Und ich habe damals gedacht, ja, ich würde als Reporter gerne das eine oder andere noch mal auf den Weg bringen. Und jetzt kann ich sagen, ja, plötzlich stelle ich fest, man kann wirklich durch investigative Recherche zumindest Menschen auf etwas aufmerksam machen. Und das ist jetzt tatsächlich passiert und hat tatsächlich auch ein bisschen Druck im Kessel gemacht.
Welty: Wie geht das jetzt weiter? Welche Rolle wird das IOC denn jetzt spielen? Die Beratungen beginnen ja heute, für Dienstag ist der Gipfel angesetzt.
Die internationalen Fachverbände sind Hausherr über die eigentlichen Wettkämpfe
Seppelt: Ja, da muss man glaube ich ein paar Dinge sortieren. Und dazu zählt erst mal, dass das Internationale Olympische Komitee zwar Hausherr der Olympischen Spiele ist, aber das sich seine Gäste nur bedingt aussuchen kann, sagen wir es mal so. Und zwar insofern, als es die Rechtsprechung darüber hat, welche nationalen olympischen Komitees zugelassen werden oder nicht. Ein bisschen anders sieht es aus bei den Fachverbänden, und die Fachverbände werden wiederum – also die nationalen und internationalen Fachverbände – bei den Olympischen Spielen so betrachtet, dass sie quasi die Hausherren über die eigentlichen Wettkämpfe sind. Sprich in diesem Fall: Der Internationale Verband, die IAAF, sie ist für die Zulassung von denen zuständig, die dann beispielsweise in Rio im Sommer dann in der Leichtathletik antreten. Das ist die Eligibility-Regel, so heißt das ganz genau in den Regularien. Und deswegen ist gestern entschieden worden von internationalen Funktionären des Verbandes, dass Russland nicht code-compliant, nicht regelfonform ist. Und weil das so ist, dürfen sie nicht teilnehmen und das IOC kann das nur noch abnicken.
Welty: Das heißt, das systematische Doping in Russland hat jetzt tatsächlich Konsequenzen?
Seppelt: Das kann man genau so sagen. Es ist kollektives Doping, es ist systematisches Doping. Ich unterscheide da immer so ein bisschen zwischen systematisch und systemisch. Das, was wir in Deutschland erlebt haben, in Ostdeutschland speziell, in der DDR in den 70er- und 80er-Jahren, das würde ich als systematisch bezeichnen. Das, was damals passiert ist, ist von oben angeordnet worden, durchgeführt worden mit preußischer Akkuratesse, zelebriert worden, von oben herab wurden Mittel verteilt quasi quer durch die Republik in der DDR damals, in Sportarten wie Schwimmen, Leichtathletik und so weiter. In Russland ist das ein bisschen anders, da gibt es keinen Staatsplan von oben, wo gesagt wird, der bekommt das, der bekommt das, sondern da ist es eher so, dass der Staat darüber gewacht hat, mehr oder minder zumindest, dass bestimmte Dinge nicht offenkundig werden, nicht auffliegen. Man hat also, wenn man so möchte, Feuerwehrmann gespielt und das hat das russische Sportministerium unter anderem getan, wenn positive Fälle auftauchten. Das Ganze kann sich aber noch ein bisschen verändern, kann noch viel schlimmer werden. Denn bisher geht es nur um die Leichtathletik und es gibt ja massive Verdachtsmomente, dass tatsächlich eben doch mehr passiert ist, als bisher bekannt. Das heißt, es kann sein, dass in vier Wochen wir wissen werden, dass bei den Olympischen Spielen in Sotschi, den Winterspielen vor zwei Jahren, dass dort tatsächlich der Staatsapparat und der Geheimdienst auch mit langer Hand vorbereitet, Athleten mit Dopingmitteln vorbereitet haben und dann es am Ende sogar auch zur Vertuschung gekommen ist im Labor, im olympischen Kontrolllabor. Sollte das der Fall sein, sollte das da am Ende bewiesen werden, dann steht die Frage im Raum, ob nicht nur die Leichtathleten von den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden müssen oder nicht vielleicht sogar das gesamte russische Olympiateam. Sollten sich die Vorwürfe erhärten – und es gibt dafür massive Indizien –, werden wir in vier Wochen wieder sprechen!
Welty: Ist denn vorstellbar, dass das, was in Russland passiert, auch in anderen Ländern passiert – um den Kreis oder den Blick noch mal zu weiten und um es vielleicht noch mal ein bisschen schrecklicher zu machen alles?
"Russland ist ein krasses Beispiel"
Seppelt: Ja, also, ich glaube, die Spirale des Schrecklichen im Sport, die kann man weiterdrehen. Und das, was wir jetzt erleben, ist halt bewiesen, es hat Belegkraft inzwischen. Und insofern muss man das sehr ernst nehmen. Aber wir müssen noch viel ernster nehmen, was eben in Russland jetzt rauskommen kann in den nächsten vier Wochen durch eine Untersuchung der Weltantidopingagentur. Machen wir aber nichts vor, das ist in Russland ein krasses Beispiel, ein schlimmes Beispiel. Aber aufgrund der fehlenden Selbstreinigungskräfte des Sports, des üblichen Interessenkonflikts, dass man eben dann doch nicht so viel rausbekommen möchte, wie man immer vorgibt zu tun, sind viele weiße Flecken auf der Welt, bei denen man überhaupt noch nicht recherchiert hat, aber es eigentlich machen müsste. Und ich rede jetzt nicht von Journalisten immer, die das machen sollten, ich rede davon, dass es unabhängige dritte Institutionen geben sollte, geben müsste, die im Sport unterwegs sind und sich das genau mal anschauen. Und dann würden wir ganz sicher ähnliche Strukturen, vielleicht nicht in dem Ausmaß, aber eben doch von der Anlage her ähnlich auch in anderen Ländern entdecken, in denen seit 20, 30 Jahren eigentlich nie einer so richtig hingeschaut hat. Schauen Sie sich an, wir waren jetzt mit der ARD-WDR-Dopingredaktion in Kenia unterwegs immer wieder, und auch da hat es manchmal einfach nur gereicht, mal reinzupieken und zu schauen, und zu sehen vor allem, was dort alles schiefläuft und wie dort auch über Jahre hinweg Athleten gedopt haben oder gedopt worden sind und dann bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften abgeräumt haben. Die Kenianer allein waren die erfolgreichste Nation bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften beispielsweise im Jahre 2015 in China und auch dort gibt es massive Probleme, wie inzwischen auch immer mehr Sportfunktionäre einräumen.
Welty: Hajo Seppelt aus der ARD-WDR-Dopingredaktion, ich danke sehr für dieses Gespräch!
Seppelt: Bitte, gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.