Doping im Behindertensport

Wie sauber sind die Paralympics in Rio?

Die Beinprothesen eines Teilnehmers der Paralympischen Spiele in Rio de Janeiro, aufgenommen am 6.9.2016 im Olympischen Dorf
Die Beinprothesen eines Teilnehmers der Paralympics in Rio de Janeiro © picture alliance / dpa / OIS / IOC / Al Tielemans
Von Ronny Blaschke |
Die Paralympics sind mit den Jahren immer größer und professioneller geworden. Wächst damit auch die Versuchung des Betrugs? Zu Unrecht wurde Doping in der Welt der Sportler mit Behinderung bisher kaum diskutiert, berichtet Ronny Blaschke aus Brasilien.
Die Paralympics in Rio sind ein Publikumsmagnet, mit mehr als zwei Millionen Besuchern. Das ist das Licht, doch es gibt auch den Schatten. Als im Juli das russische Staatsdoping nachgewiesen wurde, standen die olympischen Sünder im Mittelpunkt. Ein Bereich aber ging unter: Zwischen 2012 und 2015 wurden auch 35 positive Proben im paralympischen Sport vertuscht - um russische Athleten zu schützen. So genau wurde das Manipulieren im Behindertensport noch nicht nachgewiesen.
Thomas Abel hofft, dass nun eine differenzierte Debatte entsteht. Er ist Professor für Paralympischen Sport an der Sporthochschule Köln:
"Der paralympische Sport ist nicht besser oder schlechter als der olympische Sport. Die Wahrscheinlichkeit, dass dort Athletinnen und Athleten betrügen, ist dort genauso groß wie im olympischen Sport, das macht für mich überhaupt keinen Unterschied."

1500 Kontrollen in Rio geplant

In Rio sind nun 1500 Urin- und Blutproben geplant. Jeder Dritte der rund 4300 Athleten dürfte im Schnitt einmal kontrolliert werden. Bei Olympia war die Quote doppelt so hoch. Das Internationale Paralympische Komitee hat seine Kosten für Antidoping verdoppelt. Allerdings ist das IPC ein finanzielles Leichtgewicht im Vergleich zum Internationalen Olympischen Komitee.
Die Athleten Heinrich Popow (l-r), Leon Schäfer, Vanessa Low und Markus Rehm posieren am 31.08.2016 am Flughafen von Frankfurt am Main (Hessen) vor dem Abflug der deutschen Paralympics-Mannschaft nach Rio de Janeiro. Bei den Paralympics vom 7. bis 18. September gehen 155 deutsche Behindertensportler an den Start.
Die Athleten Heinrich Popow (l-r), Leon Schäfer, Vanessa Low und Markus Rehm vor dem Abflug der deutschen Paralympics-Mannschaft nach Rio de Janeiro© picture alliance / dpa / Arne Dedert
Erstmals werden nun Proben von Paralympiern zehn Jahre lang eingefroren, für dann modernere Analyseverfahren. Viele behinderte Athleten aus Afrika und Asien werden in Rio überhaupt zum ersten Mal getestet. Trotzdem sollte man lückenhafte Kontrollnetzwerke nicht nur in Entwicklungsländern vermuten, sagt der Oberschenkelamputierte Leichtathlet Heinrich Popow. Und er verweist auf unangekündigte Kontrollen im deutschen Trainingsalltag, durchgeführt durch die Nada, die Nationale Antidopingagentur:
"Wenn wir von unseren Verpflichtungen erzählen, dass wir nachts die Tür aufmachen müssen, wenn die Nada klingelt. Das machen wir alles sehr gerne. Wenn wir das im internationalen Sport erzählen, dann kriegen wir meist den Vogel gezeigt von den Athleten. Und das sind nicht russische Athleten. Das sind Athleten, die auch ganz nah an Deutschland grenzen. Oder es sind US-amerikanische Athleten, Kanada. Eigentlich durch die Bank weg mit der Meinung, dass würden die niemals machen. Da sind wir in Deutschland Vorreiter. Ich hoffe, dass die anderen Länder nachziehen."

Nicht alle Manipulationen nachweisbar

Doch auch wenn die Sportverbände doppelt so viele Tests anordnen würden: Nicht alle Manipulationen sind nachweisbar. Da wäre zum Beispiel Boosting. So bezeichnet man die Herbeiführung eines Adrenalinstoßes von Querschnittsgelähmten, um die Herzfrequenz zu steigern – und damit auch die Belastungsfähigkeit. Denn eine natürliche Steigerung macht der Körper nicht mehr mit.
Laut einer anonymen Umfrage bei den Paralympics 2008 gaben 17 Prozent der Befragten zu, Boosting schon versucht zu haben. Auch durch Selbstverletzungen, etwa durch einen Dorn an der Rückenlehne des Rollstuhles. Oder durch übermäßiges Wassertrinken, erzählt der Forscher Thomas Abel:
"Dann läuft während des Wettkampfes die Blase voll. Wir haben so bei 300 Millilitern spätestens das Gefühl, jetzt müssen wir zur Toilette. Und wenn die über 500 Milliliter Blasenfüllung haben, dann gibt es diesen Boosting-Effekt. Bei einigen Athleten, und das ist wichtig: Von den mehr als 4000 Athleten, die wir in London hatten, gab es höchstens 100, bei denen das infrage kam, das Boosting genutzt werden kann."
Seit 1994 ist Boosting verboten. Überführt wurde bislang niemand, denn die Methode ist und bleibt nicht nachweisbar.
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