Das Spritzen geht weiter
Als Spitzensportler gewannen sie Medaillen, heute sind sie arbeitsunfähig. Die Opfer des DDR-Doping-Systems kämpfen mitunter noch immer um Entschädigungen. Doch auch heute sei Doping im deutschen Spitzensport verbreitet, sagen Kritiker.
Für den Fahrstuhl, statt der Treppen, entscheidet sich die ehemalige Spitzen-Sportlerin Ines Geipel, als sie kurz vor dem Jahreswechsel zum Gespräch ins Funkhaus kommt. Das Jahr war anstrengend und aufwühlend, sagt die Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe. Der Verein, gegründet 1999, setzt sich vor allem für ehemalige Leistungssportler ein, die durch dass DDR-Zwangsdoping körperliche oder geistige Schäden erlitten haben. Auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung sind Rentenansprüche oder Entschädigungen für die Betroffenen keine Selbstverständlichkeit, sie müssen häufig in langwierigen Verfahren erstritten werden.
"Es ist ja praktisch wie eine doppelte Geschichte. Es wird nicht anerkannt, was zu Zeiten des DDR-Spots tatsächlich an chemischer und struktureller Gewalt geschehen ist. Die Ärzte blocken ab, verweigern sich zum großen Teil, wenn es um medizinische Gutachten geht. Und jetzt, 28 Jahre nach '89, müssen die Opfer noch einmal kämpfen. Das ist wie ein doppelter Weg, damit anerkannt wird, was ihnen tatsächlich geschehen ist. Und das ist nach wie vor ein brutal harter Akt."
Sexueller Missbrauch und Sadismus im DDR-Spitzensport
Immerhin, für anerkannte Dopingopfer konnte eine einmalige Hilfe über 10.500 Euro erkämpft werden. Mehr als 1000 ehemalige DDR-Leistungssportler betreut aktuell die Doping-Opfer-Hilfe. Viele davon sind mittlerweile arbeitsunfähig und hoffen auf eine Opfer-Rente vom Staat. Menschen, die derzeit in die Berliner Beratungsstelle kommen, berichten nicht nur über Dopingerfahrungen, erzählt Ines Geipel. Aktuell spielen in den Gesprächen Gewalterfahrungen eine immer größere Rolle.
"Das hat mit der Entgrenzung oder Eskalation im DDR-Sport in den 80er Jahren viel zu tun. Vor allen Dingen diese Sportarten Rhythmische Sportgymnastik, Turnen, Schwimmen, ist in den 80er Jahren erschrecken viel strukturelle Gewalt, sexueller Missbrauch, Sadismus, wirklich körperliche Gewalt durch die Trainer passiert. Das wird jetzt erst erzählt, das braucht wirklich 30, 40 Jahre, bis die Geschädigten in der Lage sind, mit ihrer inneren Not zu kommen und diese schweren Geschichten nach oben zu holen."
"Dieser dreckige Deal, den er mit Putin abgeschlossen hat"
Gefragt nach der Bilanz für das Sportjahr 2017 fällt Ines Geipel nur das Wort: "Krise" ein. Besonders wenn sie an die Entscheidung von IOC-Präsident Thomas Bach denkt, russische Athleten bei den kommenden Winterspielen wegen systematischen Staats-Dopings nur unter neutraler Flagge starten zu lassen. Darüber kann die 57-jährige Geipel nur den Kopf schütteln.
"Dieses bizarre Meisterstück, das Thomas Bach in Hinblick auf die Olympischen Winterspiel vorgelegt hat, dieser dreckige Deal, den er hier mit Putin abgeschlossen hat, vor den Augen der ganzen Welt, also das ist schon eine Erzählung für sich."
"Dieses bizarre Meisterstück, das Thomas Bach in Hinblick auf die Olympischen Winterspiel vorgelegt hat, dieser dreckige Deal, den er hier mit Putin abgeschlossen hat, vor den Augen der ganzen Welt, also das ist schon eine Erzählung für sich."
Keine kritische Auseinandersetzung mit Doping
Ines Geipel war als DDR-Leichtathletin selber in das Zwangs-Dopingsystem eingebunden und ist heute offiziell als Doping-Opfer anerkannt. Blickt sie auf das aktuelle Fördersystem der Bundesrepublik, fühlt sich Geipel an alte Zeiten erinnert. Die Politik unterstützt den Spitzensport jährlich mit gut einer Viertelmilliarde Euro und erwartet zukünftig mehr Medaillen. Dafür hatten 2016 das Innenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund eine Reform der Leistungssportförderung beschlossen, vor allem medaillenträchtige Disziplinen sollen davon profitieren. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Doping könne in diesem Rahmen nicht stattfinden, so Geipel.
"So lange sich der deutsche Spitzensport leistet, seine eigene hysterische Hypothek in Permanenz zu überlaufen, sind wir wirklich nicht weit gekommen, im Hinblick auf Anti-Doping im Land. Es wird im Grunde, im Kern die DDR wieder aufgelegt, in dieser Hierarchisierung. Es soll nur möglichst ohne Doping funktionieren. Aber das ist Absurdistan."
"So lange sich der deutsche Spitzensport leistet, seine eigene hysterische Hypothek in Permanenz zu überlaufen, sind wir wirklich nicht weit gekommen, im Hinblick auf Anti-Doping im Land. Es wird im Grunde, im Kern die DDR wieder aufgelegt, in dieser Hierarchisierung. Es soll nur möglichst ohne Doping funktionieren. Aber das ist Absurdistan."
Doping bei 40 Prozent der Leichtathleten der WM 2011
Da passt es für Ines Geipel ins Bild, wenn der Mainzer Sportmediziner Perikles Simon vor kurzem sein Scheitern im Anti-Doping-Kampf erklärt. Simon war bei der Welt-Anti-Doping-Agentur tätig, verfasste eine Studie, nach der rund 40 Prozent der Teilnehmer an der Leichtathletik-WM 2011 gedopt waren. Sein Engagement gegen das Doping erscheint ihm heute aussichtslos, dafür macht der Mediziner auch die deutsche Politik verantwortlich.
"Nehmen Sie die Vorgaben des Bundesinnenministeriums, das in Deutschland für den Spitzensport zuständig ist. Das will mindestens ein Drittel mehr Medaillen. Ich hatte interessante Gespräche mit Trainern aus dem Nachwuchsbereich. Die schauen sich die Zeiten und Weiten an, die Athleten erreichen müssen, um international in den Endkampf zu kommen. Sie stellen fest, dass unter ihren Athleten die Motivation schwindet, weil die Normen schier unerreichbar erscheinen. Und an diesem Punkt nimmt dann häufig das Schicksal seinen Lauf."
Erfolg darf nicht in Medaillen gemessen werden
Wenn man zukünftig noch an einen sauberen Sport glauben soll, dann müssten in Deutschland zwei Dinge passieren, so Ines Geipel. Medaillen dürften hierzulande kein Kriterium mehr dafür sein, ob eine Weltmeisterschaft oder Olympische Spiele als erfolgreich zu gelten haben. Und: Die Präventionsarbeit sollte deutlich verbessert werden. Aufklärungskampagnen über Twitter- oder Facebook, wie bisher praktiziert, würden nicht ausreichen.
"Wo wir wirklich ran müssten ist dieser Zeitmoment zwischen Jugendbereich und Spitzenbereich. Und dort Athleten autark machen, autonom machen, wissend machen. Wir haben ja die Erfahrung, wir haben die Athleten die aus einem Zwangsdopingsystem schwerst geschreddert herausgekommen sind. Also Erfahrung als Botschaft. Ich glaube, das wäre eine Emanzipation von diesem Hierarchie- und Drucksystem, wo wir jetzt wissen, dass ein halbes Jahrhundert Athleten darin verbrannt worden sind."
Zugegeben, sagt Ines Geipel, keine Ziele, die sich mal eben 2018 realisieren lassen.
"Wo wir wirklich ran müssten ist dieser Zeitmoment zwischen Jugendbereich und Spitzenbereich. Und dort Athleten autark machen, autonom machen, wissend machen. Wir haben ja die Erfahrung, wir haben die Athleten die aus einem Zwangsdopingsystem schwerst geschreddert herausgekommen sind. Also Erfahrung als Botschaft. Ich glaube, das wäre eine Emanzipation von diesem Hierarchie- und Drucksystem, wo wir jetzt wissen, dass ein halbes Jahrhundert Athleten darin verbrannt worden sind."
Zugegeben, sagt Ines Geipel, keine Ziele, die sich mal eben 2018 realisieren lassen.