Nick Cave singt über das Leben ohne seinen Sohn
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Düster und aggressiv waren die Songs von Nick Cave und seiner Band The Bad Seeds über Jahrzehnte. Sein neues Album "Ghosteen" trage fast sakrale Züge, sagt unsere Kritikerin Claudia Gerth: Es gehe ums Weiterleben nach dem Unfalltod von Caves Sohn Arthur.
Mathias Mauersberger: Nick Cave gilt seit den 80er-Jahren als ein außergewöhnlicher Songwriter. Zusammen mit seiner Band, den Bad Seeds, schuf er Musik, die sich ziemlich unbeeindruckt von aktuellen Genres und Trends zeigt. Düster, aggressiv, wort- und bildgewaltig waren seine Songs. Wie beispielsweise "Stagger Lee", in dem Nick Caves die Geschichte eines Zuhälters und Mörders aus dem 19. Jahrhundert erzählt. Am Freitag erschien ein neues Album von Nick Cave und den Bad Seeds: "Ghosteen". Es ist das 17. Studioalbum von Nick Cave und es wurde durch einen Schicksalsschlag beeinflusst: den Unfall-Tod seines Sohns Arthur. Über dieses neue Album spreche ich mit unserer Kritikerin Claudia Gerth. Wie lässt sich "Ghosteen" beschreiben?
Claudia Gerth: Sind religiöse Stoffe schon immer Teil seiner Songs gewesen, so trägt das neue Album nahezu sakrale Züge. Die Wucht und Komplexität der Musik seiner Begleitband, den Bad Seeds, die ja über die Jahre eine wechselnde Besetzung hatte, ist nun der behutsamen Soundarchitektur eines Einzelnen gewichen, und zwar der des Multi-Instrumentalisten Warren Ellis. Die vier weiteren Bad Seeds-Mitglieder, die beim neuen Album schon in den Credits aufgeführt werden, die sind im Grunde nicht zu bemerken, außer bei ihrem Mitwirken im Chorgesang. Dieser Chorgesang ist nun auch nicht mehr Shanty-artig, wie noch bei früheren Platten, sondern eher sehr nah am Gospel. Die Songs werden getragen von Nick Caves Klavierspiel und von den repetitiven Melodien und Soundbögen, die Warren Ellis mithilfe von analogen Synthesizern, Flöten und der Violine kreiert. Allgemein wirken die Songs sehr atmosphärisch, sehr meditativ, nahezu überweltlich, spiritistisch. Wie das Beispiel, der Song "Sun Forest" zeigt.
Gerth: Ja, ich glaube schon. Aber es gibt auch einige wenige Stücke, die positiver klingen, nach einem helleren Gemüt. Ich denke, es geht bei dem Album um das Weitermachen, Weiterleben. Darum, eine Strategie zu finden, damit umzugehen, dass sein Sohn vor vier Jahren starb.
Mauersberger: Was für eine Strategie meinen Sie da genau?
Gerth: Der eben gehörte Song zeichnet beispielsweise eine Art paradiesisches Szenario. Es wird von einer goldenen Sonne gesprochen und von Kindern, die in diese Sonne "steigen". Es geht ums Abschiednehmen und darum, die Vergangenheit loszulassen und endet mit den Worten: "Ich bin neben und in dir, in der Sonne und im Wind". Das klingt für mich nach den Worten, die Nick Cave seinem verstorbenen, 15-jährigen Sohn Arthur in den Mund legt. Deshalb auch der Albumtitel "Ghosteen". Ein Teenager-Geist, der ewig 15 bleibt. Ebenso ist es ein Wortspiel mit dem englischen Wort "ghosted", was viele Bedeutungen hat, aber auch dafür steht, dass jemand verschwindet, ohne sich zu verabschieden. Sein Sohn ist in Brighton von einer Klippe gestürzt. Der Tod kam also plötzlich und Nick Cave hatte keine Chance, sich zu verabschieden.
Doppelalbum aus Vater- und Sohn-Perspektive
Mauersberger: Kann man sich das so vorstellen, dass der Geist seines Sohnes durch die neuen Songs geht?
Gerth: Ja, so kann man das sagen. Zumindest schrieb Nick Cave im Vorfeld auch auf seiner Homepage, dass es das Album eines wandernden Geistes ist. Und er sprach auch davon, dass "Ghosteen", das ja ein Doppelalbum ist, geteilt ist in eine Kinder-Seite und eine Eltern-Seite. Die Titel 1 bis 8 erzählen meines Erachtens aus der Perspektive seines Sohnes, der in dem Jenseits, das sich Nick Cave für ihn ausmalt, verschiedene Geschichten erlebt: auf Fabelwesen und sogar auf Elvis stößt. Der aber auch seine Familie immer noch begleitet. Das kann man metaphorisch oder metaphysisch verstehen.
Und in den Songs 9 bis 11, also auf der zweiten Seite, wird aus der Perspektive des Vaters erzählt. Der Vater, der den Sohn überlebt hat und darauf wartet, dass sie sich wiedersehen. Der versucht, die Welt trotzdem noch als schön wahrzunehmen; seine Trauer zu verarbeiten. Am Besten kommen die beiden Perspektiven in den Songs "Ghosteen speaks" und "Hollywood" zum Ausdruck. Zuerst hört man die Sicht des Jungen, danach die Sicht des Vaters.
Mauersberger: Die Songs klingen ja schon stimmlich verschieden. Da war am Anfang der Sohn zu hören mit kräftiger Stimme. Danach der Vater mit brüchiger Falsett-Stimme und in tiefer Trauer. Wie ist Ihr Fazit, wie ordnen Sie das neue Nick Cave-Album ein?
Gerth: Nun, es ist der dritte Teil der Trilogie, die mit dem Album "Push the Sky away" 2013 anfing. Schon dort waren mehr ruhigere, atmosphärische Sounds zu hören, als es auf den, in der Mehrzahl rockigen, früheren Alben der Fall war. Stimmlich ist es besonders, denn eine derartige Falsett-Stimme habe ich bisher noch nie bei ihm gehört. Er ist ja eher für seinen Bariton bekannt.
Ich denke, musikalisch ist es nicht ganz so spannend und ausdrucksstark wie frühere Alben. Aber es ist eben auch ein Ausnahmealbum, weil es sich darum dreht, mit dem Verlust des Kindes weiterzuleben. Trost in der Annahme zu finden, dass es eine Art weiterführende Existenz des Sohnes gibt. Dazu passt die selbstbewusste, krachende Musik von einst nicht. Ich konnte diesen Schritt zum repetitiven, meditativen Sound schon nachvollziehen und bin gespannt, wie es weitergehen wird. Denn im letzten Stück des Albums singt er davon, dass es ein langer Weg sein wird, Frieden zu finden.
Mauersberger: Da kann man nur hoffen, dass es ihm möglich sein wird, Frieden zu finden. Nick Cave hat am Freitag sein neues Album "Ghosteen" veröffentlicht hat. Ein Album, das Sie erst ab dem 8. November physisch als CD oder Vinyl kaufen können. Aber es ist jetzt schon digital bei den gängigen Streaminganbietern zu erhalten.