Doppelstrategie gegenüber Russland

Eberhard Schneider im Gespräch mit André Hatting |
Die Unstimmigkeiten rund um die Beutekunst-Ausstellung hätten gezeigt, wie gereizt der Kreml inzwischen auf alles reagiere, was aus Deutschland komme und Russland betreffe, sagt Eberhard Schneider, Politikprofessor an der Universität Siegen. Merkel habe das Thema Beutekunst aber ansprechen müssen.
André Hatting: Es sollte eine große Geste sein: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Vladimir Putin eröffnen gemeinsam eine Sonderausstellung zur Bronzezeit, darunter auch 600 Exponate, die ursprünglich aus Deutschland stammen. Es sollte der krönende Abschluss des Deutschlandjahres in Russland werden, aber wenige Stunden davor sagt die Bundeskanzlerin ihr Erscheinen plötzlich ab. Der Grund: Sie hat in ihrem Grußwort erneut die Rückgabe zumindest eines Teils der Werke gefordert - daraufhin strich die russische Seite das Grußwort, und Merkel zunächst auch ihren Besuch. Nach einem Tête-à-Tête dann aber die Rolle rückwärts, Merkel und Putin eröffneten am Abend schließlich doch die Ausstellung, und die Bundeskanzlerin durfte sagen, was ihr auf dem Herzen lag. Am Telefon begrüße ich jetzt Eberhard Schneider, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Siegen und Experte beim EU-Russland-Center. Guten Morgen, Herr Schneider!

Eberhard Schneider: Guten Morgen!

Hatting: Verstehen Sie dieses Hickhack?

Schneider: Es ist eigentlich etwas schwer zu verstehen, aber im Grunde ging es ja noch mal ganz gut aus. Das zeigt natürlich, wie gereizt der Kreml in letzter Zeit auf alles reagiert, was aus Deutschland kommt, was Russland betrifft. Das hat verschiedene Gründe.

Hatting: War das jetzt ein politisches Armdrücken, dieser konkrete Fall, dass am Ende die Bundeskanzlerin gewonnen hat?

Schneider: Na ja, beide Seiten waren wahrscheinlich so vernünftig, einzusehen, dass es besser ist, eine Einigung herbeizuführen und nicht hier vor aller Weltöffentlichkeit sozusagen einen Eklat darzustellen.

Hatting: Würden Sie sagen, der Eklat ist tatsächlich verhindert worden dadurch, dass beide es eröffnet haben?

Schneider: Gut, ich meine, das Reizthema ist natürlich auch die Beutekunst, aber das Thema ist uralt, es stammt aus der Jelzin-Zeit. Der damalige russische Präsident hatte Kohl zugesagt, die Beutekunst nach Deutschland zurückzugeben. Die Staats-Duma hat das Gesetz, das dazu nötig ist, abgelehnt, und viele Jahre lag das Thema auf Eis, und man hat sich drauf geeinigt, dass die Museumsdirektoren beider Länder pragmatisch vorgehen und sich auf gemeinsame Ausstellungen einigen. Nun ist das Thema halt von der Bundeskanzlerin in ihrer Rede wieder angesprochen worden.

Hatting: War das richtig?

Schneider: Nun, wenn man eine solche Ausstellung eröffnet, wo 600 Kulturgegenstände gezeigt werden, die aus Deutschland stammen, die zum Teil über 3.000 Jahre alt sind, kann man natürlich dieses Thema nicht ignorieren, man muss es ansprechen.

Hatting: Sie haben vorhin, Herr Schneider, von Gründen gesprochen. Die Beutekunst und die Diskussion darum ist nur einer der Gründe. Wo, glauben Sie, liegen noch Gründe für diesen Eklat, für diese Verstimmungen?

Schneider: Nun, in letzter Zeit gibt es in unseren überregionalen Tageszeitungen eine kontroverse Diskussion über das Thema, wie soll man mit Russland umgehen. Die eine Position sagt, man muss viel stärker die Einhaltung der europäischen Werte, der Menschenrechte, von Russland fordern, und die gegenteilige Position, die meistens durch die Wirtschaft vertreten wird, sagt, das soll man nicht übertreiben, sondern man soll sich stärker auf den wirtschaftlichen Austausch beschränken.

Hatting: Was ist Ihre Meinung?

Schneider: Nun, es hat natürlich keinen Sinn, dauernd auf Putin herumzuhauen. Meine Meinung ist, dass Putin die europäischen Werte und Menschenrechte nicht in unserem Sinne, wie wir es möchten, beobachten und einhalten wird, weil er dem Westen einen Gefallen tut. Er würde es auch nicht tun, wenn wir auf ihn Druck ausüben. Er wird es erst tun, wenn er einsieht, dass das gut für Russland ist. Und für meine Begriffe kann er nicht verstehen, dass ein Staat mit einer wachen Zivilgesellschaft, einer aktiven Zivilgesellschaft ein starker Staat ist, als das Staatsmodell, das er im Kopf hat.

Hatting: Und so lange soll sich der Westen, sollen wir uns zurückhalten, bis Putin das von alleine einsieht?

Schneider: Nein, das sollen wir nicht, wir sollen beide Wege gehen, wir sollen sowohl die Handelsbeziehung weiterhin ausbauen und intensivieren, und wir sollen aber auch gleichzeitig diese Mängel ansprechen, am besten konzertiert vorgehen. Die Staats- und Regierungschefs können das nicht zu sehr öffentlich ansprechen, weil das einen Gesprächspartner dann vor den Kopf stößt, und es kommt zu Gegenreaktionen. Etwas lauter und deutlicher können die Abgeordneten sprechen, vor allem, wenn sie den Oppositionsparteien angehören. Und eine ganz laute Stimme können natürlich die Medien erheben, und wenn die Medien ihre laute Stimme erheben, kann natürlich dann auch ein Regierungschef zum Beispiel in solchen Gesprächen auch darauf Bezug nehmen.

Hatting: Auf dem G8-Gipfel in Nordirland hatte man noch den Eindruck, die beiden, also Putin und Merkel, vertrügen sich wieder ganz gut. Warum kommt es jetzt zu diesen Empfindlichkeiten, warum bricht das ausgerechnet hier wieder auf?

Schneider: Nun, wie ich gesagt habe, ist eine allgemeine Gereiztheit in Moskau, zum Beispiel auch auf die Rede, die der Bundespräsident Gauck vor wenigen Tagen gehalten hat vor dem Deutsch-Russischen Forum, auf dem auch hochrangige russische Vertreter teilnahmen. Und in dieser Rede hatte er, ich spitze mal zu, von russischer Seite gefordert, man sollte eine Vergangenheitsbewältigung betreiben.

Hatting: Erwartet Putin also mehr Verständnis von Deutschland?

Schneider: Putin, wahrscheinlich kann er es nicht mehr hören, wenn ihm dauernd die Nichteinhaltung der Menschenrechte vorgehalten wird, und darauf reagiert er gereizt, und vielleicht ist noch ein anderer Hintergrund bei ihm, wir sind zwar angewiesen auf den Bezug von Öl und Gas aus Russland, aber Russland ist angewiesen, dass wir das auch abnehmen und kaufen. Der Ölpreis ist lange nicht mehr so hoch wie vor der Finanzkrise, der Bedarf an Öl und Gas geht insgesamt im Westen zurück, weil noch die wirtschaftliche Entwicklung sich abgeflacht hat, und Russland hat mittelfristig große Probleme, seine hohen Einnahmen aus dem Verkauf dieser Produkte zu erzielen. Und da ist im Grunde eigentlich Russland gezwungen, seine Wirtschaft umzustrukturieren, und dies wiederum auch fordert gleichzeitig politische Reformen, und das sind politische Reformen, die eigentlich auch in unserem Sinne liegen.

Hatting: Eberhard Schneider, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Siegen und Russland-Experte. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schneider!

Schneider: Ich danke auch!

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