Dora Maar
05.06. – 29.07.19 im Centre Pompidou, Paris,
19.11. – 15.03.20 in der Tate Modern, London,
21.04. – 26.07.20 im Getty Museum, Los Angeles.
Meisterin der surrealistischen Fotografie
05:55 Minuten
Sie war berühmt für ihre surrealistischen Fotomontagen. Später wandte sie sich der Malerei zu. Und doch gilt vielen Dora Maar nur als Picassos Muse. Eine Ausstellung in Paris zeigt nun alle Facetten der vielseitigen Künstlerin.
Schon mit 20, als Kunststudentin, damals hieß sie noch Henriette Théodora Markovitch, hinterliess Dora Maar nachhaltigen Eindruck in der Pariser Kunstszene. Für die Malerin Marianne Clouzot war sie schlicht die "Synthese der chicen Frau".
Und so stellte sie sie auch dar in dem Porträt, mit dem die Ausstellung im Centre Pompidou beginnt: Eine junge elegante Frau mit modischem 20er-Jahre-Hütchen, umgeben von den Symbolen einer coolen, optimistischen Moderne – rotes Rennauto, Eiffelturm, schwarze Jazzmusik.
Die schicke schöne Dora Maar macht nach dem Kunststudium schnell Karriere als Fotografin. Zusammen mit dem Designer Pierre Kéfer gründet sie in Paris ein eigenes Studio.
Experimentierfreudige Fotografin
Es sind zunächst kommerzielle Bilder für Zeitschriften, mit denen sie erfolgreich ist: Sie fotografiert Mode und Architektur, Kosmetikwerbung und erotische Frauenakte und erfüllt damit konventionelle Erwartungen – mit einer gewissen surrealistischen Verspieltheit. "Les années vous guettent" ("Das Alter lauert Ihnen auf") heißt zum Beispiel ein Projekt für eine Kosmetikwerbung: Über das makellose Gesicht einer jungen Frau legte Dora Maar ein Spinnennetz mitsamt Spinne.
Auch in der Modefotografie war sie experimentierfreudig, sagt Ausstellungskuratorin Karolina Ziebinska-Lewandowska:
"Wir haben ein Foto von Dora Maar entdeckt, das draußen aufgenommen wurde. Mode auf der Straße zu fotografieren, war damals alles andere als üblich. Das machte man eigentlich nicht."
Fotos jenseits kommerzieller Projekte
Die Stadt und ihre Menschen interessierten Dora Maar auch jenseits kommerzieller Projekte. Im von der Wirtschaftskrise erschütterten Europa der 30er-Jahre fotografierte sie das Elend der Menschen in den Straßen von Barcelona, London und Paris. Sie engagierte sich politisch in der linksradikalen Gruppe "Contre-Attaque", die die Surrealisten André Breton und Georges Bataille gegründet hatten.
Dora Maars Fotografien offenbaren auch einen sehr humorvollen, poetischen und surrealistisch erotisierten Blick auf die Stadt. "Magie urbaine" nennen sie im Centre Pompidou diese Bilder. Da erscheint zum Beispiel das schmiedeeiserne Detail einer Seine-Brücke eindeutig zweideutig als Phallus über dem träge dahinfliessenden Wasser.
Ikone des Surrealismus
Natürlich sind auch ihre berühmten surrealistischen Fotomontagen zu sehen: Eine Hand scheint aus einer Muschel, Kalbsköpfe aus einem Pariser Brunnen zu wachsen – verkehrte Welt: ein Junge beugt sich nach hinten, auf einem Deckengewölbe stehend.
Dann das mysteriöse "Portrait d’Ubu" von 1936 – mutmaßlich das Foto eines Gürteltiers. Es wurde zu einer Ikone des Surrealismus. Und zwar bevor die Fotografin Dora Maar selbst zu einer Ikone der modernen Kunst wurde, als Muse und Modell des Jahrhundertkünstlers Pablo Picasso.
"Picasso ist ein unangefochtener Star, als die beiden sich kennenlernen. Aber man muss sich klarmachen: Dora Maar ist da schon eine bekannte Fotografin. Sie ist noch keine 30, hatte schon Einzelausstellungen, wird mit Aufträgen überschüttet – sie hat künstlerisch Karriere gemacht. Und das Interessante ist: Ihre Beziehung mag berühmt sein wegen der Porträts, die Picasso von ihr malte, aber es begann umgekehrt: Er kam in ihr Studio und sie fotografierte ihn!", erzählt Ziebinska-Lewandowska.
Von der Fotografin zur Malerin
Und sie fotografierte ihn bei der Arbeit an seinem Meisterwerk "Guernica". Die Liebesbeziehung mit Picasso war folgenreich. Während er sie wieder und wieder als "weinende Frau" malte, beschloss die selbstbewusste und unabhängige Dora Maar das Fotografieren aufzugeben und ebenfalls zu malen. Portraits von Picasso, die aussehen wie Selbstportraits, so sehr ähnelt ihr Malstil dem des Geliebten.
Die erfolgreiche Fotografin scheint in und hinter der Malerei Picassos zu verschwinden, ja, sich aufzulösen. Aber Schein ist bekanntlich nicht Sein.
Nach dem Ende der Beziehung zieht sich Dora Maar zurück aus der Pariser Kunstszene. Und sie bleibt eine Malerin. Wir sehen Landschaften, geometrische Kompositionen - Bilder an und jenseits der Grenze zur Abstraktion. Werke einer widersprüchlichen Künstlerin, die manchmal selbst so paradox erscheint wie ihre berühmten surrealistischen Montagen.
"Es gibt so gut wie keine Interviews mit ihr. Sie kommentierte ihre Arbeit kaum. Aber es gibt einen Satz. Da sagte sie, dass die Abstraktion eine Sackgasse sei. Was erstaunlich ist, wenn man sieht, was sie in den letzten 30 Jahren ihres Lebens gemacht hat. Nämlich abstrakte Bilder!", so Ziebinska-Lewandowska.
Dora Maar bleibt ein Rätsel, auch nach dieser umfassenden und absolut sehenswerten Retrospektive, die ein für alle mal klarstellt: Sie war so viel mehr als die "weinende Frau" und Muse Picassos.