Unser Ort soll attraktiver werden
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Verwaiste Ortskerne, betagte Bewohner, Abwanderung: Soweit wollen es zwei Dörfer in Rheinland-Pfalz nicht kommen lassen. Sie lassen sich beraten, schmieden Konzepte und beantragen Fördermittel, damit sich Bürger und Besucher wohl fühlen.
Josephine trägt mit ihrer Freundin in sengender Sonne Zeitungen aus. Sie ist unterwegs auf der abschüssigen Straße nach Gleishorbach. Die Zwölfjährige deutet auf den mit Weinreben überzogenen Hügel.
Man sieht die barocke St.-Dionysius-Kirche. Dahinter befindet sich die andere Hälfte des Doppeldorfs: "Oben trage ich den Südpfalzkurier aus - in Gleiszellen."
Beim Kinder- und Jugend-Workshop Dorferneuerung im vergangenen Herbst hat Josephine mitgemacht.
"Ja, da war ich dabei. Ich fand das schon cool, dass es so eine Idee gab, für Dorferneuerung, denn hier im Dorf gibt es halt nicht viel. Und da haben wir besprochen, wie es wäre, wenn man eine kleine Eisdiele aufmacht. Oder den Spielplatz vergrößert. Und am Sportplatz oben, da hatten wir die Idee, so einen Biker-Park aufzumachen - mit Hubbeln und Schanzen und so."
Auf den Mountainbike-Park wartet der Nachwuchs von Gleiszellen-Gleishorbach noch. Zufrieden ist Josephine trotzdem damit, was die älteren für die jüngeren Kinder angestoßen haben: "Ja, der Spielplatz wurde ja vor ein paar Tagen eröffnet."
Die nächsten Projekte warten schon
Fast doppelt so groß wie vorher mit neuen spendenfinanzierten Geräten, erzählt Klaus-Petter Gittler, Ortsbürgermeister von der CDU: "Die Bäume sind jetzt auch Teil des Spielplatzes geworden, und die Bank steht darunter."
Ein schattiger Platz am oft heißen Dorfrand von Gleishorbach. Ein halbes Dutzend Bewohner haben angepackt, um den Zaun zu versetzen: "Wir haben am Samstag ein Glas Sekt spendiert, und wir haben hat sehr viel Zuspruch bekommen. Und ich bekomme auch Post, wo man mir Vorschläge für die nächsten Projekte macht."
Eines wartet gar nicht weit vom vergrößerten Spielplatz. Das alte Feuerwehrhaus mit marodem Spitzdach sieht aus wie eine Mini-Kapelle. Wie gemacht für ein Backhaus. So haben schon andere pfälzische Dörfer solche Gebäude erfolgreich wiederbelebt. Die Idee entstand vor genau einem Jahr im Workshop "Bauen, Leben, Soziales Miteinander". Die Bürger kümmern sich selbst – so steht es im online veröffentlichten Ergebnis-Protokoll.
"Was ja wiederum bedeutet, dass sich Leute zusammentun müssen", sagt Manuela Meyer-Cambeis. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie ein Weingut und arbeitet als Bürgerin im Tourismus-Ausschuss der Gemeinde mit.
Wie es mit dem alten Feuerwehrhaus weitergehen könnte?
"Es muss ein Verein gegründet werden. Es muss die Energie reingesteckt werden, das erst mal zu sanieren. Und was ist die Grundidee eines Backhauses? Dass die Bürger mit ihrem Teig dorthin gehen können, Brot backen. Aber letztendlich ist die Idee ja, dass man zusammensitzt, ein bisschen schwätzt, vielleicht auch ein Gläschen Wein oder einen Kaffee trinkt. Wartet bis sein Brot fertig ist und dann wieder nach Hause geht. So ein kleiner Treffpunkt."
Dem Dorfleben auf die Sprünge helfen
Doch um den ins Leben zu rufen, ist erst Geld und dann dauerhaftes Engagement nötig. Andere Vorhaben wie der Umbau des einstigen katholischen Gemeindehauses aus den 1980er-Jahren zum barrierefreien Dorfgemeinschaftshaus in Gleiszellen sind noch umfangreicher. Hier soll sich das Dorfleben entfalten, mit Familienfeiern und Seminaren.
"Wir haben eine sogenannte pfälzische Babbelstubb‘, wo die Senioren sich bei Kaffee und Kuchen einmal im Monat treffen. Wir hatten jetzt eine junge Mutter, die Gymnastik- und Yogakurse für junge Mütter und Babys veranstaltet. Wir haben sehr viele Ideen, und wenn uns Corona nicht gehindert hätte, hätten wir da schon mit angefangen."
Für den Umbau hofft der Bürgermeister auf Fördermittel vom Land, denn Gleiszellen-Gleishorbach wurde im vergangenen Frühjahr ins Dorferneuerungsprogramm Rheinland-Pfalz aufgenommen. Das stellt jährlich mehr als 20 Millionen Euro zur Verfügung. 150 Gemeinden landesweit profitieren bislang davon, müssen aber Eigenanteile erbringen.
"Da kommt ein Planer oder eine Planerin von außen, guckt sich die Gemeinde an und motiviert die Bürger, in Bürgerwerkstätten verschiedene Themen der Ortsentwicklung zu bearbeiten. Und wenn man dann zusammensitzt und mit den Bürgern arbeitet, dann motiviert man die auch wieder für Projekte im Dorf. Das Engagement steigt, und es kommt wirklich wieder so eine Welle ins Dorf."
Schwung, der sich nochmal verstärkt, wenn die Anstrengung mit ersten Fördermitteln für Projekte belohnt wird. So schildert die selbständige Stadtplanerin Julia Kaiser ihre Erfahrungen am Telefon. Gleiszellen-Gleishorbach, das durch einen Hügel getrennte Doppeldorf, hat die Welle gepackt, beobachtet die Co-Inhaberin des Büros "Stadtgespräch" in Kaiserslautern.
Bürgermeister Gittler steuert nach dem Spielplatz in Gleishorbach und dem Dorfgemeinschaftshaus in Gleiszellen die dortige Winzergasse an, die von Fachwerkhäusern mit beeindruckend wuchtigen Hof- und Kellertoren gesäumte Dorf-Hauptstraße. Gittler stoppt vor dem kurpfälzischen Amtshaus mit Freitreppe und sonnigem Innenhof, darin moderne Skulpturen und mediterranes Grün.
"So, hier sind wir jetzt beim Weingut Meyer", erzählt er. "Hier war früher mal eine Gastwirtschaft, hat dann auch mit der Zeit aufgehört, die Leute sind älter geworden. Familie Meyer hat das übernommen, hat den Hof neugestaltet. Und wir haben jetzt hier einen ausgezeichneten Winzer, der neben den anderen eine besondere Stellung einnimmt."
Zuzug bringt Veränderung, nicht jeder mag das
Gelobt in überregionalen Blättern, locken die Meyers Kunden von überall her nach Gleiszellen. Einige davon haben das Dorf beim Weinprobieren als künftigen Wohnort entdeckt. Sie kaufen und sanieren.
Nicht unumstritten unter Alteingesessenen, erzählt Frank Meyer selbst. Manche sagen ihm: "Du verscherbelst ja unser Dorf nur an Auswärtige, das wollen wir nicht."
Veränderung wurde lange Jahre als bedrohlich empfunden, beobachtet Meyer, der selbst aus dem Nachbardorf Klingenmünster zuzog. Dorfmoderation und Erneuerung als Programm?
"20, 30 Jahre zurück – glaube ich – wäre es nicht möglich gewesen", meint er. "Da hätte man gesagt: Ah ja, was wollen die da, die kommen daher und meinen, da dumm zu babbeln – das kann man nur im Dialekt ausdrücken – und wollen uns da verändern und verbessern, die haben ja keine Ahnung."
"Wir können uns nicht vergleichen mit der Südlichen Weinstraße", sagt Richard Schmidt beim Rundgang durch Marienthal im Nordpfälzer Bergland. Auf dem Dorfplatz plätschert ein neuer Sandsteinbrunnen mit geschwungen Formen, gefertigt vom örtlichen Steinmetz.
Mit 300 Einwohnern ist der dörfliche Stadtteil von Rockenhausen nur etwa ein Drittel so groß wie Gleiszellen-Gleishorbach im Süden. Weit weniger Einwohner, weit weniger Tourismus. Vielleicht war also Leidensdruck der Grund, dass Marienthal schon vor zwei Jahrzehnten wagte, die Dorferneuerung anzupacken. Acht Jahre lang konnte Marienthal über das gleichnamige Landesprogramm immer wieder Projekte gefördert bekommen.
Das Land stellt Fördermittel bereit
Thomas Bauer, liberaler Ortsvorsteher, schaut Richard Schmidt an, seinen sozialdemokratischen Amtsvorgänger: "Die Gesamtfördermittel liegen bei, ich denke mal so 1,6 Millionen Euro. 1,6 Millionen und üblicherweise davon 65 Prozent Dorferneuerungsanteil."
Das sind Finanzmittel des Landes Rheinland-Pfalz. Dazu kommen 25 Prozent Mittel der Stadt Rockenhausen plus zehn Prozent Eigenleistung. Über die Jahre ist das ein großer Batzen für ein kleines Dorf. Zuschüsse gab es, als die alte Schule zum Bürgerhaus umgebaut wurde und aus der großen Dorfscheune auf Wunsch der Kinder eine Spielscheune mit Trampolin und Riesenrutsche wurde, überregional frequentiert – außer in Pandemiezeiten.
"Trotz allem ist hier am Fuß des Donnersbergs schon zu merken, dass wir Zulauf haben, vermehrt von Wanderern. Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass die Reisetätigkeit eingeschränkt ist und war - und man mehr so in die nähere Heimat reinschaut."
Corona bietet also Chancen, findet Richard Schmidt – zum Beispiel für die dorfweit einzige Pension. Das "Schwalbennest" wirbt mit Pferdeweide, Offenstall und Mini-Landwirtschaft im ehemaligen Bauerndorf Marienthal auch bei Reitern und Radlern für sich.
Weil Dorferneuerungsmittel nur begrenzt fließen, beschlossen die Einwohner vor zehn Jahren, eine eigene Stiftung zu gründen. Schmidt fungiert als deren Sprecher: "Die Marienthaler Bürger haben innerhalb von sechs Wochen 25.000 Euro gegeben."
Die Stiftung kaufte ein altes Haus, konnte es nicht erhalten und riss es ab. Schmidt blickt auf die Freifläche an der Hauptstraße, ein paar Autos parken da. Bald soll hier der Dorftreffpunkt stehen.
"Es wird ein Café sein, das wird einen kleinen Verkaufsraum haben. Wir werden jetzt im September nochmal ein Rundschreiben an die Bürger machen, um weitere Ideen für dieses Projekt zu sammeln."
Räume für eine Gemeindeschwester einzurichten, ist eine davon. Möglich wird der Bau auch deshalb, weil die Stiftung zwei Erbschaften bekam. Weitere Flächen für Mehrgenerationen-Wohnprojekte kauft die Stiftung jetzt an. Ein gutes Umfeld auch für den Malerbetrieb von Benjamin Schneider.
Er expandiert auf dem großväterlichen Hof, indem er ein Nachbargrundstück kaufte: "Firma wächst, Fuhrpark wächst, also brauchen wir auch etwas mehr Platz. Wenn man das Projekt realisiert haben, ist alles ausreichend, das sollte dann passen."
Geldmittel durch eine Bürgerstiftung
Dorferneuerungs- und Stiftungsmittel stärken das örtliche Handwerk. Jede Gemeinde sollte über eine Bürgerstiftung nachdenken, empfiehlt Richard Schmidt. Sein Nachbar im kleinen Neubaugebiet am Ortsrand ist gebürtiger Berliner: Holger Lehmann.
Zuletzt wohnten die Lehmanns in Weinheim an der Bergstraße. Zu viel Trubel, befand das Ehepaar. Marienthal kannten die beiden vom Wandern.
Vor zwei Jahren zogen sie hierher an den Fuß des Donnersbergs: "Es hat alles gepasst. Wir wollten Waldrand haben, wir wollten Ruhe haben und haben alles gefunden. Die Nachbarschaftshilfe ist riesig. Ich mag gar nicht mehr weg hier."
Der eine Punktabzug fällt nicht so ins Gewicht: "Wir sind beide auf schnelles Internet angewiesen. Meine Frau arbeitet im Vertrieb, ich arbeite für eine Unternehmensberatung in Speyer. Wir haben hier auch schnelles Internet, sind schnelleres gewohnt, aber der Kompromiss, den wir hier haben, ist okay."
Auch in Gleiszellen-Gleishorbach ist da noch Luft nach oben. Eine weitere Gemeinsamkeit: Das Doppeldorf an der Südlichen Weinstraße profitiert ebenfalls von Stiftungsmitteln – und dem inhaltlichen Know-how der Bürgerstiftung Pfalz, die auch als Partnerin mit der Bürgerstiftung Marienthal kooperiert.
"Mit der Bürgerstiftung Pfalz zusammen sollen in den Dörfern Genossenschaften gegründet werden, damit zum Beispiel in eine Fotovoltaik-Anlage investiert werden kann, damit hier Gärten entstehen können, mit Gemüseanbau", erzählt Klaus-Peter Gittler.
"Oder auch seniorengerechtes Wohnen, wenn ein alter Winzerhof frei wird, dass man den umbauen kann mit Dorfladen mit Gemüsegarten vielleicht. Diese Organisation und auch die Konzeptionen kommen im Wesentlichen aus der Bürgerstiftung Pfalz."
Die Zukunft fürs Dorf erarbeiten
Gittler ist selbst vom Mittelrhein zugezogen und wurde erst im Mai 2019 zum Bürgermeister von Gleiszellen-Gleishorbach gewählt. Der Ehrenamtler gilt als Motor der Dorferneuerung.
Die Mentalität hat sich mit dem Generationenwechsel geöffnet, die Zeit ist reif für Veränderung, glaubt Winzer Frank Meyer. Viele spürten, dass man sich Zukunft fürs Dorf erarbeiten und sich überregionaler Konkurrenz stellen muss. Damit Wanderer und Radfahrer hier auch einkehren, in den beiden Hotels oder den Ferienwohnungen übernachten. Damit die schönen alten Fachwerkgasthäuser erhalten bleiben und vielleicht noch mehr Orte für Austausch entstehen, die Dorfbewohner und Touristen teilen können.
Die Corona-Pandemie birgt die Chance, mehr aus dem vorherrschenden Tages- und Kurzzeit-Tourismus zu machen. Entscheidend dabei, so Frank Meyer:
"Ein lebendiges Dorf hat eine andere Ausstrahlung, und das motiviert wieder viele Besucher. Jetzt kommen wir zum Geschäftlichen, das uns als Winzer interessiert: Anspruchsvolle Touristen oder Übernachtungsgäste, die trinken in der Regel alle auch gern Wein. Und die kommen und fragen: Können wir da probieren, können wir da kaufen?"
Ein Gewinn nicht nur für die fünf Weingüter im Dorf. Bei Meyers sichert es die Zukunft. Nico Meyer arbeitet auf dem Weingut mit, soll zunehmend Verantwortung für den Weinkeller übernehmen. In die Stadt zieht den 26-Jährigen nichts.
Erneuerung und Tradition verbinden
"Man ist ja immer draußen und man arbeitet mit der Natur", freut sich Meyer Junior. Und die Natur rund um die Muschelkalk-Weinberge von Gleiszellen-Gleishorbach ist geschützt, daher darf sie nicht zugebaut werden. Das setzt der Expansion des Dorfs Grenzen, garantiert aber, dass der Ort hier in der heißen Südpfalz von kühlendem Grün umgeben und von Frischluft durchströmt bleibt. Nach einem kurzen Gang hangaufwärts fällt der Blick auf Riesling-Reben und – Rosen am Ende der Rebzeilen.
"Die hat man gesetzt", sagt Klaus-Peter Gittler, "nicht nur, weil es schön ist, sondern die Rosen haben eine Bedeutung: Dass die Rose früher als die Weinrebe selbst aufzeigt, wenn irgendwelche Krankheiten auftreten. Und deshalb hat man schon früher Rosen an den Weinbergsanfang gesetzt, um einen Frühindikator zu haben - für mögliche Krankheiten im Weinberg."
Bei der Erneuerung die kluge alte Tradition nicht zu vergessen, das macht neben starkem Ehrenamt, aktiver Kommunalpolitik und Mitmachkultur wohl eines der Erfolgsrezepte von Gleiszellen-Gleishorbach aus.