Eine Familie trotzt dem Wirtshaussterben
Bier trinken, Schweinebraten essen, Karten spielen - früher gehörte zu jedem Dorf in Bayern auch eine Wirtschaft. Doch immer mehr der traditionellen Lokale machen dicht. Dem großen Wirtshaussterben entgangen ist der "Saxenhammer" in Hechenwang.
Montagabend im Saxenhammer. An einem Tisch wird Karten gespielt: Schafkopfen.
"Ich bin der Toni und bin 76 Jahre alt, von Beruf Elektromeister, und komm immer schon in den Saxenhammer, wir spielen schon seit ungefähr 30 Jahren."
Mit am Tisch, auch schon seit immer: Hans Saxenhammer, der 80-jährige Senior-Chef.
"Trumpf! Und noch mal ein Trumpf, und noch mal ein Trumpf - euch gehen ja die Trümpfe aus, oder?"
Wer gewinnt?
"Meistens der Wirt, nicht dass wir unsere Getränke zahlen müssen, gewinnen tut er auch noch."
Die holzvertäfelte Stube ist nicht groß, eine umlaufende Bank, 6 Tische, Platz für vielleicht 30 oder 35 Menschen, je nachdem wie eng man zusammen rückt. Sprossenfenster für den Blick nach draußen, im Eck ein Kruzifix.
"Wir feiern heute den Geburtstag von meinem kleinen Sohn."
Gäste kommen auch aus München
Die Familie stammt aus dem Nachbardorf, die Geladenen kommen bis aus München, das rund eine Stunde entfernt ist. Warum feiern sie gerade hier im Saxenhammer?
"Aus alter Tradition, mein Mann ist verstorben und der war hier immer zum Stammtisch und ich kenn die Familie - und man isst hier sehr gut."
"Also bei uns ist das nicht so gewachsen oder hat sich sehr stark verändert und hier ist es halt noch ursprünglich."
Dorfwirtschaften wie den Saxenhammer in Hechenwang kann man heute lange suchen. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, in Utting am Ammersee, gibt es zwar zwei Italiener und zwei Speiserestaurants, aber die Wirtschaft am Maibaum hat schon lange zu. Da ist etwas verloren gegangen – so wie in vielen anderen Dörfern auch. Was das ist, spürt man im Saxenhammer – wo nun die Uttinger zum Schafkopfen hinfahren.
"Donnerstags sind auch meistens noch drei Partien hier, die Uttinger und der Tierarzt und der Zahnarzt. Da darf ich nicht mitspielen, sonst geht keiner mehr rein, wenn ich immer gewinne."
Vor zehn Jahren hat der Hans das Geschäft an seinen Sohn übergeben, den Hansi, der die Wirtschaft jetzt zusammen mit seiner Schwester Brigitte führt. Beide sind Anfang 40. Sie haben zuerst gezögert, ob sie überhaupt ins Radio wollen.
Die ganze Familie arbeitet mit
"Wir sind froh, dass nicht zu viel los ist. Man hat auch die Möglichkeit gehabt, wo welche gesagt haben: Ihr müsst euch doch vergrößern und da noch was anbauen und da noch und Bedienung. Und dann hab ich gesagt: Alles schon recht und gut, aber dann wäre der Saxenhammer auch nicht mehr der Saxenhammer. Man möchte auch mal Zeit haben, dass man sich zu den Gästen mal dazu hockt."
Der Hansi bedient, in der Küche hat die Brigitte das Sagen. Aber: Der Seniorchef hilft immer noch mit, genauso wie seine Lebensgefährtin Bernadette.
"Und da hinten kocht jetzt eigentlich die Schwester von unserem Seniorchef, die Tante Thea und die ist für die kurzgebratenen Geschichten zuständig, also Leber, Schwabenteller, Schnitzel, unser Hausgericht eigentlich und die Cordon bleu."
Tante Thea ist 74. Und schon immer war das so: Fast alle, die hier arbeiten, gehören zur Familie. Das ist ein Teil des Geheimnisses, warum es den Saxenhammer heute noch gibt. Aber: Jeden Abend in der Küche – ist ihr das mit über 70 nicht zu anstrengend?
Thea: "Na, das ist nicht zu anstrengend, das ist doch schön, was will ich denn auf Couch, da wird man steif, da geh ich doch lieber daher und arbeite. Na ärgern’s mich wieder, dann sag ich: ihr könnt mich wieder gern haben."
Brigitte: "Ab und zu geht’s schon arg her bei uns, aber das ist ja klar, manchmal muss man streng sein."
Thea: "Je mehr Gäste, desto besser, wenn keine Gäste da sind ist das gar nicht schön, wenn mehr Gäste da sind, das ist schöner."
Brigitte: "Und die Freude überwiegt."
Thea: "Wenn jeder Gast zufrieden ist. Das muss sein."
Küche ohne Chichi
Und der Gast ist zufrieden, weil es kein Chichi gibt, sondern gutes und günstiges Essen, vom Schweinebraten mit Kartoffelknödel und gemischtem Salat bis zum gebratenen Zanderfilet. Und als Nachtisch: Kaiserschmarren. Die Eier von eignen Hühnern, Kartoffeln und Salat aus eigenem Anbau.
Thea: "Veranstaltungen haben wir auch sehr viele, Lesungen, Kabarett, Jazz."
Brigitte: "Jazz im Sax"
Fünf mal im Jahr organsiert der Bassist Jürgen Junggeburth Konzerte im Saal des Saxenhammers, in den rund 100 Leute passen. Ein treues Stammpublikum hat er inzwischen, von nah und fern.
"Irgendwie war es auch ein Glücksfall. Also damals, als ich nach Bayern kam, kannte ich hier nichts. Vor 15 Jahren bin ich hierher gekommen, habe im Nachbarort gelebt, und irgendjemand hat gesagt: Saxenhammer ist offen für Kultur. Und dann bin ich hier her und bin erst mal als Fremder begutachtet worden, bin dann aber sehr freundlich aufgenommen worden und die Gastleute waren dann doch sehr offen für meine Idee."
Legendär sind auch die Feste im Saxenhammer, am Faschingsdienstag zum Kehraus. Am Gründonnerstag gibt es immer großes Preisschafkopfen. Erster Preis: eine halbe Sau. An Kirchweih gibt es Gans, genauso an Martini.
"Das ist ja bei uns das Patrozinium, das heißt wir haben eine Martinskirche in Hechenwang und da ist ja dann, dass oft auch der Volkstrauertag da drauf fällt. Dann kommt die Gemeinde, dann kommt der Kirchenchor, dann kommen die Fahnenträger, dann kommen die Veteranen, dann die normalen Gäste und die sind dann bei uns alle da beim essen. Und auch wieder Enten und Gänse, Martinsgans gehört ja dazu."
Jeder ist willkommen
Jeder ist im Saxenhammer willkommen – auch das ist Teil des Geheimnisses dieser Dorfwirtschaft.
"Bei uns geht der Professor rein und wer auf der Straße ist, ein Handwerksbursch, der wird genauso behandelt, wie andere. Im Gegenteil, der wo nix hat, der kriegt vielleicht mal eine halbe Bier geschenkt, wenn er wirklich nichts hat. Da habe ich zig gehabt derzeit, die sind immer wieder gekommen, weil sie gewusst haben, beim Saxenhammer kann man übernachten im Stadel und da kriegt man mal was zu essen oder zu trinken, was halt nix kostet."
Hinterm Haus ist ein Biergarten, in dem Kinder spielen und lärmen können, ohne dass sich jemand daran stört. Und eine Obstwiese, mit Äpfeln für den hauseigenen Apfelsaft. Bestäubt werden die Blüten von eigenen Bienen – die sind die große Leidenschaft vom Hans, dem Seniorchef. 50 Völker haben sie inzwischen.
"Wenn man im Bienenhaus ist, dann schaltet man ab, da bist du einfach bei den Bienen. Hinten raus habe ich noch so einen Raum, wo Geräte draußen sind, für Bienen, da leg ich mich dann einmal rein, wenn ich Zeit habe und höre den Bienen zu, wenn sie so schön summen draußen. Das ist einmalig, ja. Versteht auch bloß der, der was auf das abfahrt. So ist das."
Früher ging es derber zu
Aber: Auch im Saxenhammer ist die Zeit nicht stehen geblieben. Früher ging’s derber zu.
Brigitte: "Da sind wirklich die Maßkrüge geflogen da herinnen, das waren so die Ende 70er-, 80er-Jahre, da ist es so zugegangen da herinnen, das war eine komplett andere Zeit, also das ist natürlich, war schön, aber das ist auch im Guten vorbei."
Hansi: "War scho schee."
Brigitte: "Scho schee."
Auch Brigitte ist wie ihr Vater im Saxenhammer geboren und hat von früh an mitgearbeitet. Und dann einen Ausflug nach draußen gemacht: Köchin gelernt im Hotel Vier Jahreszeiten in München und Hotelfachfrau in Köln. Dass sie zurück kommen würde, war für sie immer klar:
"Ich glaub, einmal sind wir so was von verwurzelt mit daheim, dann schaut man sich natürlich in der Welt um und sagt: München, wunderschöne Stadt, hab auch viele bekannte Leute kennen gelernt, den Gorbatschow, den Heinz Rühmann, das japanische Kaiserpaar, den David Copperfield, Brigitte Nielsen, also ich habe wirklich unglaublich viele Berühmtheiten kennen gelernt. Aber im Grunde wird doch überall nur mit Wasser gekocht. Am Schluss ist es daheim dann doch am schönsten."