Doris Dörrie: Sie gibt jedem Tag eine Chance
Den Stoff für ihren neuen Film hat Regisseurin Doris Dörrie in Berlin-Marzahn gefunden. Mit Witz und Schnauze eröffnet "Die Friseuse" einen Laden und fühlt sich trotz aller Widrigkeiten laut Dörrie als "Hans im Glück". Der Film hatte auf der Berlinale Premiere.
Jürgen König: Es gibt einen neuen Film von Doris Dörrie, nach der traurigen Liebesgeschichte "Kirschblüten Hanami" von 2007 nun eine Komödie. Doris Dörrie erzählt die Geschichte einer Frau, die mit Kampfgeist und Elan ein besseres Leben sucht. "Die Friseuse" heißt der Film, auf der Berlinale wurde er vorgestellt und umjubelt. Frau Dörrie, ich grüße Sie!
Doris Dörrie: Hallo, grüße Sie.
Gabriela Maria Schmeide in "Die Friseuse"König: "Die Friseuse", das Drehbuch stammt von Laila Stieler, die seit Jahren eng mit dem Regisseur Andreas Dresen zusammenarbeitet. Warum haben die beiden den Film eigentlich nicht zusammen gemacht oder anders herum: Wie sind Sie zu diesem Stoff gekommen?
Dörrie: Ich hatte Laila Stieler eingeladen zu einem Seminar an der Filmhochschule in München, wo ich den Lehrstuhl für Creative Writing habe und dann haben wir angefangen, uns über Projekte zu unterhalten. Und da hat sie mir von dieser Friseuse erzählt, von der Original-Friseuse, und dass sie aufschreibt, was sie so erzählt und sich mit ihr beschäftigt. Und dann habe ich gesagt, du, wenn du mal ein Drehbuch hast, dann zeig mir das doch. Und das hat sie gemacht! Und dann habe ich mich tatsächlich sofort in diese Figur verliebt und habe zum ersten Mal überhaupt ein fremdes Drehbuch verfilmt.
König: Darüber müssen wir gleich noch im Detail sprechen. In der "Berliner Zeitung" vom Wochenende war nachzulesen, wie Laila Stieler zu dieser Geschichte gekommen ist: Ein Kunde der echten Kathleen Cieplik, um die es in diesem Film geht, hatte ihr erzählt, er hatte sie beim Haare schneiden selber gehört, sie habe sich von der Chefin eines noblen Friseurladens anhören müssen, der Friseurberuf sei ein ästhetischer Beruf, sie aber sei nicht ästhetisch, und das ging dann der echten Kathleen Cieplik ans Eingemachte und sie beschloss, etwas zu ändern. Wie war das, als Sie, Frau Dörrie, Kathleen Cieplik kennenlernten?
Dörrie: Ich habe mich in den Stuhl gesetzt und sie hat mir die Haare geschnitten und sie hat erzählt und ich habe das immer wieder gemacht, alle vier Wochen. Weil ich kurze Haare habe, muss ich halt öfter zum Frisör, und habe ihr sehr genau zugehört und sehr, sehr gerne zugehört. Sie ist tatsächlich so, wie man das jetzt im Film, verkörpert durch Gabriela Maria Schmeide, auch sieht, sehr warmherzig, sehr offen, neugierig – eine ganz besondere Frau!
König: Kathleen Cieplik hat zu Protokoll gegeben, dass sie als fleißige "Gala"-Leserin geradezu umfallen wollte, als die berühmte Doris Dörrie auf sie zukam. Deswegen fragte ich, wie das für Sie so gewesen ist.
Dörrie: Ach, ich denke da ja nicht drüber nach, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass jemand irgendwie ein Foto von mir irgendwo im Kopf behält. Mir ist das eigentlich dann auch völlig wurscht. Mir war es wichtig, da zu sein – es war im Kaufpark Eiche, da war ihr Salon damals noch – und diese ganze Atmosphäre aufzusaugen und viel Zeit bei ihr zu verbringen. Das war mir wichtig.
König: Was genau mögen Sie an dieser Figur der Kathi so sehr, dass sie bei Ihnen die Lust auf diesen Film ausgelöst hat?
Dörrie: Na ja, sie hat eines, was uns schwerfällt und die meisten können es nicht und ich auch nicht so richtig, dass sie jeden Tag wieder dem Tag eine Chance gibt und eigentlich auch jeden Tag wieder beschließt, glücklich zu sein. Und dann kann der Tag sie natürlich enttäuschen und es kann alles schiefgehen, und trotzdem – dem nächsten Tag gibt sie wieder eine Chance! Und das macht sie so besonders, und das macht sie auch so doch glücklich auch, also, sie ist ein Hans im Glück, so bezeichnet sie sich auch selbst, die eigentlich dann auch Dinge immer wieder verliert und immer weniger hat im Verlauf dieser Geschichte, aber es kostet sie nicht ihr Seelenheil. Sie lässt halt dann nicht zu, dass das Sein ausschließlich ihr Bewusstsein bestimmt.
König: Seit vielen Jahren legt ja der weibliche Teil des Haar schneidenden Gewerbes gesteigerten Wert darauf, Friseurin genannt zu werden, nicht so diese Friseuse aus Marzahn. Sie, Frau Dörrie, wurden doch recht weit vom deutschen Osten sozialisiert, der Lebenskreis dieser Kathleen aus Berlin-Marzahn ist ein sehr anderer. Hatten Sie nicht manchmal auch ein bisschen Angst vor der eigenen Courage, wie mit diesem Metier, mit dieser Atmosphäre, mit diesen Lebensansichten, ich will nicht sagen, fertig zu werden ist, aber wie damit umzugehen ist?
Dörrie: Na ja, das ist eine komplizierte Frage. Zum einen ist es wirklich sehr, sehr wichtig für die Kathi König, dass sie im Osten aufgewachsen ist, dass sie da sozialisiert worden ist, dass sie da gelernt hat. Deshalb nennt sie sich auch weiterhin Friseuse, das ist ein westdeutscher Sprachgebrauch, der irgendwann geändert wurde. Das ist alles sehr wichtig für ihre Biografie. Aber zu einem großen, anderen Teil ist sie eine Berlinerin, und das ist eine Geschichte, die hier in der ganzen Stadt spielt, und sie definiert sich ja nicht ausschließlich durch ihre Herkunft aus dem Osten. Das ist für sie bis zu einem gewissen Grad dann genauso prägend und entscheidend, wie es für mich Hannover war oder für Sie, ich weiß nicht, wo Sie herkommen.
König: Aus Lübeck, aber dann auch Wahlberliner, schon lange, ja.
Dörrie: Okay, aber da kann man natürlich auch gleich über Marzipan reden und über Kindheitserinnerungen und Geruch von Marzipan, keine Ahnung. Aber dass sie das geprägt hat und dass es wichtig ist für ihre Biografie, das ist doch eigentlich für jede Figur, für jeden Charakter so. Und damit habe ich auch versucht, sehr genau umzugehen, und auch, dass sie dann zurückzieht nach Marzahn, was ich nicht kannte, was ich natürlich alles kennenlernen musste, was ich mir genau angeguckt habe. Also, das wichtig zu nehmen und gleichzeitig es nicht zum Beherrschenden zu machen, das war hier, glaube ich, auch Teil der Übung.
König: Ja, wichtig nehmen, das finde ich auch, nur, also, ich gebe zu, als ich dachte, Doris Dörrie und Berlin-Marzahn, das, dachte ich mir, das muss auch irgendwie etwas Exotisches für Sie gehabt haben. Vielleicht bin ich da auch falsch oder es ist nur so eine gedankliche Pirouette. Sie haben sehr viel in Japan gedreht, Sie waren in Mexiko – und nun plötzlich Berlin-Marzahn als, sagen wir mal, Ort der Handlung. Dass da auch viele andere Dinge mit eine Rolle spielen, dass man es auch abstrahieren kann, dieser Lebensweg, der da beschrieben wird, dass der natürlich auch woanders spielen kann, ist klar. Gab es so etwas – ich nenne es so, weil mir kein besseres Wort einfällt – wie dieses Exotische des Stoffes für Sie?
Dörrie: Exotisch bedeutet übersetzt für mich erstmal fremd. Natürlich war Marzahn fremd, aber Tokio war auch fremd und andere Plätze auf dieser Welt. Und eigentlich nähere ich mich fremden Orten immer gleich, ich bin neugierig, versuche, sehr offen zu bleiben und zu sein und so viel wie möglich zu lauschen, zuzuhören und zuzugucken. Und das habe ich mit Marzahn genauso gemacht.
König: Sie beschreiben das, als ob es das Einfachste der Welt wäre.
Dörrie: Was heißt das Einfachste – es ist schon auch meine Lieblingsbeschäftigung, an Orte zu kommen, wo ich mich nicht auskenne und zu gucken, wie machen die das hier eigentlich? Wie sehen die so aus, was haben die für Schuhe an, was tragen die für Frisuren, wie reden die, was essen die? Das liebe ich!
König: Sitzen Sie dann daneben und schreiben sich das auf, wenn Sie beobachten?
Dörrie: Vieles schreibe ich mir auf, aber vieles merke ich mir auch. Also, ich merke mir zum Beispiel das sensationelle Schmalzbrot im Kaufpark Eiche, das habe ich mir für immer gemerkt unter vielen anderen Dingen.
König: Wie schwer war es für die Drehbuchautorin Laila Stieler, für Sie als Regisseurin, für Gabriela Maria Schmeide als Hauptdarstellerin, wie schwer war es, diesen Ton zu treffen einer Friseuse aus Marzahn? Ich meine, dem Volk aufs Maul zu schauen, wie man so sagt, das sagt sich leicht, aber es ist doch schon eine große Herausforderung, das, was man so als normale Leute beschreibt, auf die Leinwand zu bringen, ohne es zu karikieren, ohne es vielleicht auch ein bisschen auszustellen.
Dörrie: Ich hatte natürlich das Buch als meine Vorlage und darüber hinaus war es eben für mich ganz, ganz wichtig, sehr oft im Frisierstuhl von Frau Cieplik zu sitzen und über sie diesen Sound zu lernen und mitzubekommen und wirklich so einzusaugen, dass ich mich dann damit auch sehr sicher gefühlt habe. Sie war dann so mein innerer roter Faden, dem konnte ich dann ganz gut folgen, diesem inneren Sound, den ich von ihr drauf hatte.
König: Ich wollte gerade nachfragen, innerer Sound, meinen Sie die Sprache?
Dörrie: Das ist die Sprache, das ist eine Art, das ist eine Körperlichkeit, das ist so eine Temperatur, die von ihr ausgeht, so was sehr Warmherziges, Herzliches, das sind all diese Dinge.
König: Was hat Kathleen Cieplik zur Figur der Kathi König gesagt, als die dann fertig war?
Dörrie: Das war für mich ein wichtiger Moment, als sie den Film gesehen hat und da war ich auch nervös und habe sie dann auch sehr genau gefragt, wie das auf sie gewirkt hat, was sagt sie.
König: Ob der Film vor ihr besteht sozusagen.
Dörrie: ... ob der Film vor ihr besteht, und da hat sie mir sehr, sehr genau und auch sehr anrührend Bericht erstattet und hat gesagt, ja, manchmal hat es sie auch wirklich noch mal zu Tränen gebracht – also zum Beispiel diese Szene, wo die Frau Krieger ihr sagt, Sie sind unästhetisch und Sie können hier deshalb nicht bei mir arbeiten –, und gleichzeitig hat sie sich sehr gefreut und der Film hat sie dann auch glücklich gemacht. Und das hat mich natürlich sehr gefreut. Also, es war schon so die Feuerprobe, es ihr zu zeigen und zu gucken, was ...
König: Und Sie waren dann sehr erleichtert, das so zu hören.
Dörrie: Sehr, sehr, sehr, denn man weiß ja immer nicht, ob man nicht dann doch verletzt oder doch vielleicht Dinge falsch erzählt hat oder den falschen Ton erwischt hat.
König: Das ist ja schon auch fast ein intimer Akt, ein Leben auf diese detaillierte Weise abzubilden beziehungsweise neu zu erschaffen, neu zu erfinden.
Dörrie: Ja, ja. Und die zweite Feuerprobe war eben gestern der Friedrichstadtpalast.
König: Und wie war es?
Dörrie: 1900 Leute, da kann man schon in die Knie gehen, und da wusste ich auch: Wer jetzt hier sitzt, der hat ganz feine Ohren, was diese Figur angeht, diese Person angeht in Marzahn, der hört jeden falschen Ton und sieht jede falsche Einstellung. Und dass dann die Resonanz von der ersten Minute an so großartig war und es einen solchen Jubel dann gab – was Schöneres kann einem nicht passieren als Filmemacher.
König: Jetzt auf der Berlinale "Die Friseuse"- der neue Film von Doris Dörrie. Frau Dörrie, ich danke Ihnen für das Gespräch und drücke die Daumen: Alles Gute für Ihren Film!
Dörrie: Danke, Ihnen auch alles Gute!
Doris Dörrie: Hallo, grüße Sie.
Gabriela Maria Schmeide in "Die Friseuse"König: "Die Friseuse", das Drehbuch stammt von Laila Stieler, die seit Jahren eng mit dem Regisseur Andreas Dresen zusammenarbeitet. Warum haben die beiden den Film eigentlich nicht zusammen gemacht oder anders herum: Wie sind Sie zu diesem Stoff gekommen?
Dörrie: Ich hatte Laila Stieler eingeladen zu einem Seminar an der Filmhochschule in München, wo ich den Lehrstuhl für Creative Writing habe und dann haben wir angefangen, uns über Projekte zu unterhalten. Und da hat sie mir von dieser Friseuse erzählt, von der Original-Friseuse, und dass sie aufschreibt, was sie so erzählt und sich mit ihr beschäftigt. Und dann habe ich gesagt, du, wenn du mal ein Drehbuch hast, dann zeig mir das doch. Und das hat sie gemacht! Und dann habe ich mich tatsächlich sofort in diese Figur verliebt und habe zum ersten Mal überhaupt ein fremdes Drehbuch verfilmt.
König: Darüber müssen wir gleich noch im Detail sprechen. In der "Berliner Zeitung" vom Wochenende war nachzulesen, wie Laila Stieler zu dieser Geschichte gekommen ist: Ein Kunde der echten Kathleen Cieplik, um die es in diesem Film geht, hatte ihr erzählt, er hatte sie beim Haare schneiden selber gehört, sie habe sich von der Chefin eines noblen Friseurladens anhören müssen, der Friseurberuf sei ein ästhetischer Beruf, sie aber sei nicht ästhetisch, und das ging dann der echten Kathleen Cieplik ans Eingemachte und sie beschloss, etwas zu ändern. Wie war das, als Sie, Frau Dörrie, Kathleen Cieplik kennenlernten?
Dörrie: Ich habe mich in den Stuhl gesetzt und sie hat mir die Haare geschnitten und sie hat erzählt und ich habe das immer wieder gemacht, alle vier Wochen. Weil ich kurze Haare habe, muss ich halt öfter zum Frisör, und habe ihr sehr genau zugehört und sehr, sehr gerne zugehört. Sie ist tatsächlich so, wie man das jetzt im Film, verkörpert durch Gabriela Maria Schmeide, auch sieht, sehr warmherzig, sehr offen, neugierig – eine ganz besondere Frau!
König: Kathleen Cieplik hat zu Protokoll gegeben, dass sie als fleißige "Gala"-Leserin geradezu umfallen wollte, als die berühmte Doris Dörrie auf sie zukam. Deswegen fragte ich, wie das für Sie so gewesen ist.
Dörrie: Ach, ich denke da ja nicht drüber nach, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass jemand irgendwie ein Foto von mir irgendwo im Kopf behält. Mir ist das eigentlich dann auch völlig wurscht. Mir war es wichtig, da zu sein – es war im Kaufpark Eiche, da war ihr Salon damals noch – und diese ganze Atmosphäre aufzusaugen und viel Zeit bei ihr zu verbringen. Das war mir wichtig.
König: Was genau mögen Sie an dieser Figur der Kathi so sehr, dass sie bei Ihnen die Lust auf diesen Film ausgelöst hat?
Dörrie: Na ja, sie hat eines, was uns schwerfällt und die meisten können es nicht und ich auch nicht so richtig, dass sie jeden Tag wieder dem Tag eine Chance gibt und eigentlich auch jeden Tag wieder beschließt, glücklich zu sein. Und dann kann der Tag sie natürlich enttäuschen und es kann alles schiefgehen, und trotzdem – dem nächsten Tag gibt sie wieder eine Chance! Und das macht sie so besonders, und das macht sie auch so doch glücklich auch, also, sie ist ein Hans im Glück, so bezeichnet sie sich auch selbst, die eigentlich dann auch Dinge immer wieder verliert und immer weniger hat im Verlauf dieser Geschichte, aber es kostet sie nicht ihr Seelenheil. Sie lässt halt dann nicht zu, dass das Sein ausschließlich ihr Bewusstsein bestimmt.
König: Seit vielen Jahren legt ja der weibliche Teil des Haar schneidenden Gewerbes gesteigerten Wert darauf, Friseurin genannt zu werden, nicht so diese Friseuse aus Marzahn. Sie, Frau Dörrie, wurden doch recht weit vom deutschen Osten sozialisiert, der Lebenskreis dieser Kathleen aus Berlin-Marzahn ist ein sehr anderer. Hatten Sie nicht manchmal auch ein bisschen Angst vor der eigenen Courage, wie mit diesem Metier, mit dieser Atmosphäre, mit diesen Lebensansichten, ich will nicht sagen, fertig zu werden ist, aber wie damit umzugehen ist?
Dörrie: Na ja, das ist eine komplizierte Frage. Zum einen ist es wirklich sehr, sehr wichtig für die Kathi König, dass sie im Osten aufgewachsen ist, dass sie da sozialisiert worden ist, dass sie da gelernt hat. Deshalb nennt sie sich auch weiterhin Friseuse, das ist ein westdeutscher Sprachgebrauch, der irgendwann geändert wurde. Das ist alles sehr wichtig für ihre Biografie. Aber zu einem großen, anderen Teil ist sie eine Berlinerin, und das ist eine Geschichte, die hier in der ganzen Stadt spielt, und sie definiert sich ja nicht ausschließlich durch ihre Herkunft aus dem Osten. Das ist für sie bis zu einem gewissen Grad dann genauso prägend und entscheidend, wie es für mich Hannover war oder für Sie, ich weiß nicht, wo Sie herkommen.
König: Aus Lübeck, aber dann auch Wahlberliner, schon lange, ja.
Dörrie: Okay, aber da kann man natürlich auch gleich über Marzipan reden und über Kindheitserinnerungen und Geruch von Marzipan, keine Ahnung. Aber dass sie das geprägt hat und dass es wichtig ist für ihre Biografie, das ist doch eigentlich für jede Figur, für jeden Charakter so. Und damit habe ich auch versucht, sehr genau umzugehen, und auch, dass sie dann zurückzieht nach Marzahn, was ich nicht kannte, was ich natürlich alles kennenlernen musste, was ich mir genau angeguckt habe. Also, das wichtig zu nehmen und gleichzeitig es nicht zum Beherrschenden zu machen, das war hier, glaube ich, auch Teil der Übung.
König: Ja, wichtig nehmen, das finde ich auch, nur, also, ich gebe zu, als ich dachte, Doris Dörrie und Berlin-Marzahn, das, dachte ich mir, das muss auch irgendwie etwas Exotisches für Sie gehabt haben. Vielleicht bin ich da auch falsch oder es ist nur so eine gedankliche Pirouette. Sie haben sehr viel in Japan gedreht, Sie waren in Mexiko – und nun plötzlich Berlin-Marzahn als, sagen wir mal, Ort der Handlung. Dass da auch viele andere Dinge mit eine Rolle spielen, dass man es auch abstrahieren kann, dieser Lebensweg, der da beschrieben wird, dass der natürlich auch woanders spielen kann, ist klar. Gab es so etwas – ich nenne es so, weil mir kein besseres Wort einfällt – wie dieses Exotische des Stoffes für Sie?
Dörrie: Exotisch bedeutet übersetzt für mich erstmal fremd. Natürlich war Marzahn fremd, aber Tokio war auch fremd und andere Plätze auf dieser Welt. Und eigentlich nähere ich mich fremden Orten immer gleich, ich bin neugierig, versuche, sehr offen zu bleiben und zu sein und so viel wie möglich zu lauschen, zuzuhören und zuzugucken. Und das habe ich mit Marzahn genauso gemacht.
König: Sie beschreiben das, als ob es das Einfachste der Welt wäre.
Dörrie: Was heißt das Einfachste – es ist schon auch meine Lieblingsbeschäftigung, an Orte zu kommen, wo ich mich nicht auskenne und zu gucken, wie machen die das hier eigentlich? Wie sehen die so aus, was haben die für Schuhe an, was tragen die für Frisuren, wie reden die, was essen die? Das liebe ich!
König: Sitzen Sie dann daneben und schreiben sich das auf, wenn Sie beobachten?
Dörrie: Vieles schreibe ich mir auf, aber vieles merke ich mir auch. Also, ich merke mir zum Beispiel das sensationelle Schmalzbrot im Kaufpark Eiche, das habe ich mir für immer gemerkt unter vielen anderen Dingen.
König: Wie schwer war es für die Drehbuchautorin Laila Stieler, für Sie als Regisseurin, für Gabriela Maria Schmeide als Hauptdarstellerin, wie schwer war es, diesen Ton zu treffen einer Friseuse aus Marzahn? Ich meine, dem Volk aufs Maul zu schauen, wie man so sagt, das sagt sich leicht, aber es ist doch schon eine große Herausforderung, das, was man so als normale Leute beschreibt, auf die Leinwand zu bringen, ohne es zu karikieren, ohne es vielleicht auch ein bisschen auszustellen.
Dörrie: Ich hatte natürlich das Buch als meine Vorlage und darüber hinaus war es eben für mich ganz, ganz wichtig, sehr oft im Frisierstuhl von Frau Cieplik zu sitzen und über sie diesen Sound zu lernen und mitzubekommen und wirklich so einzusaugen, dass ich mich dann damit auch sehr sicher gefühlt habe. Sie war dann so mein innerer roter Faden, dem konnte ich dann ganz gut folgen, diesem inneren Sound, den ich von ihr drauf hatte.
König: Ich wollte gerade nachfragen, innerer Sound, meinen Sie die Sprache?
Dörrie: Das ist die Sprache, das ist eine Art, das ist eine Körperlichkeit, das ist so eine Temperatur, die von ihr ausgeht, so was sehr Warmherziges, Herzliches, das sind all diese Dinge.
König: Was hat Kathleen Cieplik zur Figur der Kathi König gesagt, als die dann fertig war?
Dörrie: Das war für mich ein wichtiger Moment, als sie den Film gesehen hat und da war ich auch nervös und habe sie dann auch sehr genau gefragt, wie das auf sie gewirkt hat, was sagt sie.
König: Ob der Film vor ihr besteht sozusagen.
Dörrie: ... ob der Film vor ihr besteht, und da hat sie mir sehr, sehr genau und auch sehr anrührend Bericht erstattet und hat gesagt, ja, manchmal hat es sie auch wirklich noch mal zu Tränen gebracht – also zum Beispiel diese Szene, wo die Frau Krieger ihr sagt, Sie sind unästhetisch und Sie können hier deshalb nicht bei mir arbeiten –, und gleichzeitig hat sie sich sehr gefreut und der Film hat sie dann auch glücklich gemacht. Und das hat mich natürlich sehr gefreut. Also, es war schon so die Feuerprobe, es ihr zu zeigen und zu gucken, was ...
König: Und Sie waren dann sehr erleichtert, das so zu hören.
Dörrie: Sehr, sehr, sehr, denn man weiß ja immer nicht, ob man nicht dann doch verletzt oder doch vielleicht Dinge falsch erzählt hat oder den falschen Ton erwischt hat.
König: Das ist ja schon auch fast ein intimer Akt, ein Leben auf diese detaillierte Weise abzubilden beziehungsweise neu zu erschaffen, neu zu erfinden.
Dörrie: Ja, ja. Und die zweite Feuerprobe war eben gestern der Friedrichstadtpalast.
König: Und wie war es?
Dörrie: 1900 Leute, da kann man schon in die Knie gehen, und da wusste ich auch: Wer jetzt hier sitzt, der hat ganz feine Ohren, was diese Figur angeht, diese Person angeht in Marzahn, der hört jeden falschen Ton und sieht jede falsche Einstellung. Und dass dann die Resonanz von der ersten Minute an so großartig war und es einen solchen Jubel dann gab – was Schöneres kann einem nicht passieren als Filmemacher.
König: Jetzt auf der Berlinale "Die Friseuse"- der neue Film von Doris Dörrie. Frau Dörrie, ich danke Ihnen für das Gespräch und drücke die Daumen: Alles Gute für Ihren Film!
Dörrie: Danke, Ihnen auch alles Gute!