"Sehr oft fehlt die Ermunterung"
Doris Dörrie ist nicht nur erfolgreiche Filmemacherin, sondern auch seit 20 Jahren Dozentin an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen. Ihren Studenten will sie den Druck nehmen, den ihnen "die Alten" machen - und sie dazu ermutigen, auch mal zu scheitern.
Doris Dörrie: Man freut sich über jeden Preis, oder, aber hier ist es schon besonders schön, weil ich tatsächlich mit meinem ersten Film hier war und da damals den Publikumspreis bekommen habe und noch ein paar andere Preise und jetzt hier nach – ich kann es gar nicht so genau ausrechnen – 35 Jahren, 34 Jahren wieder zurückzukommen, ist schön.
Patrick Wellinski: In Ihrer Dankesrede, ist uns aufgefallen, haben Sie erstaunlich häufig von Ermunterung gesprochen, wenn es darum geht, welche Tipps Sie den jungen Nachwuchsfilmemachern geben würden. Welche Bedeutung hat Ermunterung?
"Sind in Deutschland immer schnell mit Kritik dabei"
Dörrie: Ja, das liegt mir wirklich sehr am Herzen, weil ich immer schon das Gefühl hatte, dass wir das nicht so gut können in Deutschland und dass wir immer sehr schnell mit Kritik dabei sind und uns das auch einfach näherliegt zu kritisieren als erst mal zu sagen, toll, und jetzt mach, und trau dich, und wird schon, und riskier's, und scheitere auch ruhig, ist nicht so schlimm, mach einfach weiter, mach, mach, mach. Das fehlt uns, und ich habe das wirklich so als Motto für meinen Lehrstuhl schon vor 20 Jahren – den habe ich jetzt schon 20 Jahre – begriffen, dass man diese Ermunterung auch zu leisten hat als derjenige, der vielleicht in seinem Beruf so ein bisschen was geschafft hat. Dann, finde ich, hat man die Verpflichtung, diese Ermunterung dann weiterzugeben an die Jüngeren.
Was ich eben beobachte, ist, dass es nicht nur zu wenig gibt, sondern eigentlich das Gegenteil sehr stark stattfindet: Entmutigung, und zwar gar nicht so sehr mit dem ersten Film – das ist großartig, da gibt es hier das Festival, da gibt es auch Förderung, da gibt es jede Menge eigentlich –, aber der zweite und dritte Film, das ist so der Knackpunkt, und da verschwinden viele tolle Filmemacher, die einen wirklich interessanten, tollen Film gemacht haben. Warum? Weil sie dann natürlich an diese Schwelle kommen, wo es knirscht und wo es mühsam wird und wo man sehr viel Standing-power auch braucht, und da braucht man eigentlich umso mehr Ermunterung, und die fehlt sehr, sehr oft, und die fehlt aber nicht nur im Filmbereich, sondern allgemein, dass wir uns doch sehr schwer tun zu begreifen, dass das unsere Nahrung ist, unsere wirkliche Seelennahrung, das ist die Kultur.
Dörrie will Klima der Angstfreiheit schaffen
Susanne Burg: Sie sind ja an der HFF in München. Was Sie beschrieben haben, wie integrieren Sie das denn dann in den Alltag als Dozentin, wenn die Studenten ankommen mit Projekten? Da geht es ja auch erst mal darum, dann an den konkreten Projekten zu arbeiten.
Dörrie: Einmal das, aber zum anderen geht es sehr stark darum, wirklich Angst zu vertreiben und dafür eben auch jede Menge Tricks zu lernen – da habe ich schon einige auf Lager inzwischen –, und die befällt einen immer, wenn man mit sich selbst konfrontiert ist und mit dem nächsten Projekt, mit dem nächsten Drehbuch. Also diese berühmte Angst vor dem weißen Papier oder vor der leeren Mattscheibe. Das ist ja nicht nur diese Mattscheibe, die einen da bedroht, sondern eben dieser Kanon aus negativen Stimmen, den jeder von uns im Kopf hat, der einem eigentlich immer einreden will, dass man es sowieso nicht schafft und dass es alles total banal ist, was man da macht, und schon tausendmal gemacht worden ist und, und, und. Da dagegen zu halten ist irre schwer.
Es ist sowieso schon so schwer, und da nicht nur Tricks zu lehren, sondern auch so ein Klima zu schaffen, was angstfrei ist, das liegt mir sehr am Herzen. Also da auch immer wieder dieses Spielen nicht nur zu betonen, sondern die Studenten auch dazu aufzurufen, sich das zu gestatten, und das wird immer schwerer, weil der Druck immer höher wird, aber Druck verhindert oft Kreativität. Manchmal ist es auch ganz günstig, aber im Prinzip verhindert Druck Kreativität.
Wellinski: Also muss man, sagen wir mal, Ihr Ermunterungsmotto auch verstehen als Einladung zum Scheitern, als Weg, um sich weiterzuentwickeln?
Dörrie: Ja, das Scheitern gehört unabdingbar dazu, und auch das ist in einer Welt, die auf ständige Optimierung aus ist, sehr, sehr schwierig oder gefährlich geworden. Oder die jungen Studenten oder die jungen Filmemacher haben das Gefühl, es geht ihnen dann wirklich an die Gurgel. Das muss nicht unbedingt so sein. Die Angst davor ist größer als das, was dann wirklich passiert, weil man im Rückblick dann doch oft auch sagen kann, es war sehr, sehr wichtig, dass ich an dem Punkt gescheitert bin. Aber da immer wieder auch den Druck rauszunehmen, den die Alten halt machen, den machen die Jungen sich ja nicht von ungefähr, sondern der wird von den Alten gemacht. Und diese Angst ist ja nicht nur auf den Film bezogen, sondern gesellschaftlich so verbreitet, und es macht uns alle dann doch auch schnell zu Zwergen. Also Angst macht klein, und im Moment habe ich eh das Gefühl, dass viele zu menschlichen Zwergen verkommen, und da müssen wir einfach dagegenhalten, koste es, was es wolle.
Fernsehmacher "verachten das eigene Programm"
Burg: Sie machen das ja eben auch schon 20 Jahre, haben Sie gesagt. Wir hören von einer Kollegin von Ihnen, die in Ludwigsburg lehrt, dass die Studenten da häufig hinkommen und eigentlich sehr am Markt orientiert sind, also sehr schon in Formaten denken, sie müssen produzieren für den 90-Minüter im Fernsehen, und sie hat gesagt, dass das auch über die Jahre stärker geworden ist. Wie empfinden Sie, wie ticken die Studenten, die zu Ihnen kommen?
Dörrie: Na ja, klar, die sind immer schlauer als die Alten. Die Jungen sind immer schlauer als die Alten, und die versuchen natürlich, diesen Geruch, der in der Luft liegt, aufzunehmen und den wittern die sehr schnell, dass sie sich auf jeden Fall anpassen müssen, weil sie sonst keine Chance haben, aber das ist eben eine Message, die ihnen beigebracht wird. Und wenn sie sich schon so früh darauf orientieren oder versuchen, darauf hinzuarbeiten, dass sie einen 90-Minüter für das Fernsehen machen – was denn bitte –, einen von diesen Krimis oder Tatorten oder diese Formate, die von den Leuten, die im Fernsehen das Sagen haben, also ganz oben in der Hierarchie, sogar verachtet werden, das ist ein Phänomen, was immer mehr sich ausbreitet, dass die, die wirklich da am Drücker sitzen, ihr eigenes Programm verachten, weil sie sich immer drauf rausreden, dass "der" Zuschauer das so will, und im selben Atemzug sagen sie aber, ich sehe eigentlich auch nur Netflix und Amazon.
Das ist Gift, was sich da ausbreitet, die Verachtung für das eigene Programm, und wenn es dann so ist, dass junge Leute ein Produkt herstellen müssen, was sie eigentlich verachten, und das sieht man am Drehort schon, also da kann man rund rum fragen, und keiner sieht das Programm, was er da gerade herstellt, weil alle irgendwie nur Netflix und Amazon sehen, und wenn diese Verachtung immer mehr zum Status quo wird, und ich glaube, das ist schon soweit, dann wird es richtig, richtig schlimm, denn es ist Gift, das ist Gift, was wirklich durch alle Adern dann fließt, und sich davon wieder zu erholen ist auch sehr, sehr mühsam.
"Eigene Stimme zu entwickeln, ist sehr mühsam und gefährlich"
Wellinski: Welchen Einfluss hat diese Tendenz eigentlich auf die Inhalte, die da entstehen? Kann ich mir das so vorstellen, dass Studenten vor Ihnen sitzen und sagen, ich möchte eine Serie machen wie "Breaking Bad" oder ich möchte einen Film machen wie Quentin Tarantino, aber dass da eher weniger Leute sitzen, ich will einen Film machen, den ich machen will?
Dörrie: Ja, das hat natürlich mit Angst zu tun, dass sie erst mal versuchen, sich zu orientieren an dem, was andere gemacht haben, was ja im Prinzip nicht schlecht ist. Also sich auszukennen, in Filmgeschichte auszukennen, das ist gut, aber dann eine eigene Stimme zu entwickeln, das ist sehr fragil, das ist mühsam, das ist gefährlich, damit macht man sich verletzlich. Das sind alles Dinge, die man sich auch zumuten muss, und dafür braucht man halt wieder Ermunterung und Ermutigung.
Burg: Welche Bedeutung haben, nach dem, was Sie jetzt gesagt haben, eigentlich dann Festivals wie hier das Festival Max-Ophüls-Preis?
Dörrie: Die haben eine immer größere Bedeutung, weil sie wirklich Inseln der Glückseligkeit sind, also wo auch dann ein wirklich interessiertes Publikum da ist und wo man gesehen wird, wahrgenommen wird, denn das wünscht sich jeder natürlich mehr als alles andere, dass die Filme gesehen werden, und da erwischt man dann auch ein "normales" Publikum wie hier. Das war erstaunlich, wer alles am Montagabend in dem Eröffnungsfilm war. Also wirklich begeistert war ich davon. Deshalb sind diese Festivals sehr, sehr wichtig, aber die Gefahr liegt auch schon darin, dass man sich dann darüber hinwegtäuscht, dass ein Festival oder eine Reihe von Festivals – inzwischen hat ja fast jede Stadt ein Festival – noch nicht eine funktionierende Filmlandschaft ausmachen. Sie sind Inseln, aber dazwischen muss man dann wieder durch sehr kalte Gewässer schwimmen.
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