Doris Knecht: "Die Nachricht"

Nicht nur Opfer sein, sondern bleiben

06:18 Minuten
Buchcover zu Doris Knecht: "Die Nachricht"
Ein spannender und virtuos erzählter Roman: "Die Nachricht" von Doris Knecht. © Deutschlandradio / Hanser
Von Manuela Reichart |
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Doris Knecht erzählt in "Die Nachricht" von einer selbstbewussten und klugen Frau, die ein anonymer Stalker auf eine seelische Achterbahnfahrt der grausamen Art schickt. Ein Roman, der irritiert zurücklässt.
Im Zentrum des neuen Romans von Doris Knecht steht eine Frau in mittleren Jahren. Sie lebt gerne allein auf dem Land, hat sich in ihrem Leben als Witwe eingerichtet. Plötzlich wird ihr Alltag jedoch durcheinander gewirbelt. Sie verliebt sich. Und sie wird zum Stalking-Opfer.
Der Roman beginnt mit der ersten Nachricht, die die Ich-Erzählerin an einem schönen Septembersonntag erreicht. Sie sitzt im Garten mit einem Freund, sie wäre lieber allein und würde ungestört Instagram und Twitter durchsehen, ihre Mails und die neuen Nachrichten auf ihren beiden Facebook-Accounts lesen. Sie hat zwei Accounts: "Einen unter meinem Namen und einen privaten unter einem Namen, den nur meine Freunde kennen." Die Nachricht, die ihr Leben verändern wird, auch wenn sie das da noch nicht weiß, stammt von einem anonymen Facebook-Nutzer.

Der Absender weiß zu viel

Anonym wird dieser Mensch bleiben, der sich auf widerliche Weise fortan in ihr Leben drängt, in dem er ihr unablässig Nachrichten und Beleidigungen, Verleumdungen auch an ihre Freundinnen, die erwachsenen Kinder und Bekannte schickt. Er wird diese Frau, die dachte, sie habe ihr Leben besser im Griff als die meisten anderen, vollständig verunsichern und quälen. Er wird sie einsam werden lassen und ihr die Kraft rauben. Obwohl sie eigentlich abgehärtet ist, denn sie hatte lange als Fernsehmoderatorin gearbeitet und war daran gewöhnt, dass ihre Arbeit, ihr Aussehen kommentiert und kritisiert wurde.
Außerdem ist sie mittendrin in der elektronischen Welt, sie hat siebentausend Abonnenten, sie fand es auch normal, dass ihr emanzipierter Mann seine Erfahrungen als wickelnder Vater auf dem Herrenklo früh schon auf Facebook veröffentlichte. Sie ist eine moderne Frau, die mit allen digitalen Wassern gewaschen scheint. Das nützt ihr aber nichts. Die Messenger-Nachrichten zeugen davon, dass der Absender viel zu viel über sie weiß.
Die Verunsicherung, die einher geht mit derartigen anonymen Bedrohungen, ist der eine Strang dieses spannenden und virtuos erzählten Romans. Der andere dreht sich um die Verliebtheit, in die die Frau überraschend hineinschliddert, die sie heimsucht wie eine Krankheit, denn was heiter und vielversprechend beginnt, erweist sich bald als eine seelische Achterbahnfahrt der grausamen Art.

Wünsche siegen über Wissen

Doris Knecht erzählt von einer selbstbewussten und klugen Frau, die trotzdem ihren Gefühlen und Ängsten hilflos ausgesetzt ist, die wie ein unerfahrener Teenager immer wieder vom Geliebten an einer langen emotionalen Leine gehalten und schlecht behandelt wird, die trotzdem nicht die Kraft zur endgültigen Trennung findet. Psychologisch genau instrumentiert sie all die wider besseres Wissen getroffenen Entscheidungen, endlos scheinendes weibliches Verständnis. Die Wünsche siegen über das Wissen.
Dass irgendwann die beiden Erzählstränge allzu vorhersehbar ineinander laufen – das ist eine Schwäche des Romans – verwundert nicht. Dass der Stalker ungeschoren davonkommt, lässt einen dagegen irritiert zurück. Das Gefühl, nicht nur Opfer gewesen zu sein, sondern auch zu bleiben, weil der Täter nicht angemessen bestraft wird, ist vermutlich die schlimmste Folge solcher Taten.

Doris Knecht: "Die Nachricht", Roman
Hanser Berlin, Berlin 2021
254 Seiten, 22 Euro

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