Dorling Kindersley (Hg.): Das Soziologie-Buch: Wichtige Theorien einfach erklärt
mit Texten von Mitchell Hobbs, Megan Todd, Sarah Tomley, Marcus Weeks sowie den Fachberatern Christopher Thorpe und Chris Yuill
übersetzt von Kirsten Lehmann
gebunden, mit 290 Fotografien und Illustrationen
Dorling Kindersley Verlag, München 2016
24,95 Euro
Handbuch für soziologische Laien
In acht großen Themenblöcken wie Kultur und Identität oder Arbeit und Konsum werden in diesem Buch 99 Theorien und Protagonisten der Soziologie vorgestellt. Anfängern zeigt dieses Werk, wie man anspruchsvoll über unsere Gesellschaft nachdenken kann.
Knallige Farbflächen, bunte Textkästen, Fotografien und Grafiken satt – so präsentiert sich die Sachbuchreihe "Wichtige Theorien einfach erklärt", in der nun "Das Soziologie-Buch" erschienen ist.
Der erste Soziologe, liest man hier, lebte vor über 600 Jahren: Es war der muslimische Gelehrte Ibn Chaldun. Seine Reisen durch Südeuropa, Nordafrika und Vorderasien inspirierten ihn zu den frühesten dokumentierten Reflexionen über Geburt und Untergang von Zivilisationen. Wie viele moderne Soziologen interessierte sich Ibn Chaldun besonders für die Solidarität als Kitt sozialer Gruppen.
Im 20. Jahrhundert dann explodierte das Fach zur vollen Blüte. 99 seiner Theorien und Protagonisten werden im Buch in acht großen Themenblöcken vorgestellt. Es geht um die Frage der sozialen Gerechtigkeit und das Leben in der globalisierten Welt, um Kultur und Identität, Arbeit und Konsum, die Rolle der Institutionen und um das private Leben.
Wie im englischsprachigen Raum auch für das anspruchsvolle Sach- und Lehrbuch üblich, sind die einzelnen Kapitel mit wunderbar aussagekräftigen Überschriften versehen: "Lass alle Hoffnung auf Totalität fahren – Ihr, die Ihr eintretet in die Welt der flüchtigen Moderne" – wer möchte da nicht weiterlesen?
Unsicherheit und Zwangsflexibilität
Hier wird der britisch-polnische Soziologe Zygmunt Bauman mit seiner niederschmetternden Diagnose der Jetztzeit vorgestellt: Unsicherheit und Zwangsflexibilität allerorten; der Mensch privat wie beruflich ein Heimatloser, der seinen Platz in der Welt zu finden versucht, indem er sich rastlos und angsterfüllt in Selbstreflexion und Nabelschau ergeht.
Neben den großen Gründungsfiguren des Faches wie Auguste Comte, Max Weber und Émile Durkheim finden sich in dem Buch erfreulich viele moderne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, schwarze Theoretiker und Feministinnen, wie auch zahlreiche Perspektiven des globalen Südens.
Der von Indien in die USA emigrierte Arjun Appadurai untersucht, wie unterschiedlich sich Gesellschaften das Material der Moderne aneignen. So adaptiert China die wirtschaftliche Dimension der Globalisierung in einem atemberaubenden Tempo, während es sich gegen einen weltanschaulichen Umbau imprägniert.
Kunstgriff Personalisierung
Obwohl sich das Lexikon der Theorieproduktion widmet, bleibt es doch immer spannend und erzählend, dank eines Kunstgriffs, der dieser gesamten Buchreihe ihren Reiz verleiht: Wo immer es sich anbietet, personalisiert das Team der Autorinnen und Autoren die Themen, webt Lebensgeschichten und biografische Hintergründe der Theorieschaffenden ein. Eine gelungene Mischung.
Gerade weil "Das Soziologie-Buch" so aufgeräumt und verständlich daher kommt, kann es seine wichtige Aufgabe umso besser wahrnehmen: Wie Zygmunt Bauman treffend analysiert (und die Flut der Ratgeberliteratur zeigt), verlieren sich Menschen heute aus seelischer Not in Ideen der Selbstoptimierung.
Ein Nachschlagewerk wie dieses macht soziologische Laien und junge Menschen damit vertraut, wie sich anspruchsvoll und tragfähiger über den Einzelnen und die Gesellschaft von heute nachdenken lässt.