Doron Rabinovici: "Die Einstellung"

Politroman über Umgang mit Rechspopulismus

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Das Cover zu "Die Einstellung" zeigt den Buchtitel in schwarzer Schrift auf einem blau-gelben Hintergrund.
© Suhrkamp

Doron Rabinovici

Die EinstellungSuhrkamp, Berlin 2022

224 Seiten

24,00 Euro

Von Fabian Wolff · 26.02.2022
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Ein Faschist steigt auf in der Politik Österreichs. Wie begegnet man ihm am besten? Mit Ignoranz oder Widerrede? Plausibel beschreibt Doron Rabinovici, wie ein gesellschaftlicher Grundkonsens aufbricht. Sein Roman hat nur eine Leerstelle.
Gerade erlebt Österreich keinen Historiker-, sondern einen Geschichtsstreit: Entzündet am neuen Innenminister und ehemaligen Direktor eines Museums für Engelbert Dollfuß, diskutiert das Land, ob dessen autoritärer "Ständestaat" und seiner massiven Inhaftierung politischer Gegnerinnen und Gegner Austrofaschismus zu nennen sei, auf den dann nach 1938 der Anschluss an den Hitlerfaschismus folgte.

Aufstieg des Faschisten Ulli Popp

Diese Debatte kommt zu spät, um noch Eingang in Doron Rabinovicis Politroman "Die Einstellung" zu finden. Aber sie ist eine produktive Folie für diese Beschreibung eines österreichischen Faschisten in Zeiten von Trump und Twitter mit dem weniger sprechenden denn dröhnenden Namen Ulli Popp, und des Wiener Medienmilieus, das auf seinen Aufstieg hilflos reagiert.
Vorne dabei mit Kamera und Motorroller ist der Fotograf August Becker, der für das liberale Magazin "Forum" arbeitet, und der, obwohl irgendwie links, finanziell davon profitiert, mit Popp ein bestechendes Motiv zu haben. Er bandelt mit der Kolumnistin Marion Ettl an, die als Stimme der Vernunft für das rechte Gratisblatt "Total" schreibt und sich als Entgifterin versteht.

Traumatisiertes Wiener Medienmilieu

Deutlicher in der Haltung ist Beckers Kollegin Selma Kaltak, die Popp mit Enthüllungsjournalismus bekämpft. Sie ist mit dem Macho-Künstler Dino Ahmetović zusammen, der bürgerliche Illusionen mit Harte-Männer-Kunst einschlagen will.
Rabinovici will sein Personal zu mehr als Stellvertreterfiguren für den Umgang mit Rechtspopulismus machen, und gibt Kaltak und Ahmetović Balkan-Biografien, die auf ein viel näheres historisches Trauma als Beckers Last mit seinem Nazi-Opa verweisen. Der Autor selbst scheint in der Figur des Avi Weiss aufzutauchen.

Keine Satire, sondern Diskurs-Analyse

Wirkliche Innenansichten gibt es aber nur von Becker, oft als Meditation über das Wesen der Fotografie. Dass er dabei regelmäßig von Fremden in Gespräche über die Tiefe seiner Arbeit verwickelt wird, obwohl er nur mittlerer Pressejournalist mit künstlerischen Ambitionen ist, gehört zu den unrealistischsten Elementen dieses an sich nicht unplausiblen Romans.
Eine Satire ist "Die Einstellung" nicht, die Kritik nimmt nicht den Umweg der Verwischung oder Übertreibung. Er zeichnet kein Gesellschaftspanorama, sondern analysiert einen Diskurs, auch auf die Gefahr hin, dass Diskussionen in Redaktionen und auf Twitter stets etwas langweilig sind – abgesehen von einem nicht ganz fairen literarischen Subtweet auf einen Schriftstellerkollegen, den Rabinovici eingebaut hat.

Jüngste Geschichte Österreich als Leerstelle

Es gibt keine Dystopie, kein Umkippen in den Terror. Der Roman ist dann effektiv, wenn er das Aufbrechen eines gesellschaftlichen Grundkonsenses einfängt, wenn Popp immer lauter hasst, der Antisemitismus offener, die Islamophobie brutaler wird. Die Frage, ob Rechtspopulismus sich am besten durch Ignorieren, Schweigen oder Widerworte, also Aufmerksamkeit bekämpfen lässt, kann der Roman nicht beantworten, aber die möglichen Antworten glaubhaft durchspielen.
Trotzdem gibt es eine wichtige Leerstelle. Die jüngste Geschichte der Rechten in Österreich, von Haider bis Strache, ist die Geschichte von türkisen Koalitionen, bei der die konservative Rechte um der Macht willen mit der harten Rechten paktiert, um sie so vorgeblich besser kontrollieren zu können, und dabei letztlich ihr Handwerk erledigt.
Schließlich wurde schon der Austrofaschismus von Dollfuß und Schuschnigg (die im an historischen Exkursen nicht armen Roman keine Erwähnung finden) von Karl Kraus damit verteidigt, dass er der einzige Schutz vor dem Nazifaschismus von Hitler (der dauernd erwähnt wird) sei.

Welches System lohnt es zu verteidigen?

Vielleicht war das Ziel, den Roman durch De-Austrianisierung allgemeingültiger zu machen, aber Strache ohne Kurz ist eben nur die halbe Wahrheit, und damit eigentlich keine mehr.
Der unausgesprochene Konflikt der Figuren ist, ob die Verteidigung eines politischen Systems gegen Popp überhaupt richtig ist, wenn sie einem wie ihm erst zum Erfolg verhilft. Das ist so nicht nur im besten Sinne irritierend an diesem Buch: ob es nun seine Figuren sind, die den Faschismus vor lauter Diskurs nicht erkennen, oder doch der Roman selbst.
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