Dorothy West: "Die Hochzeit"

Hautfarbe ist einfach nur eine Zuschreibung

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Cover des Romans "Die Hochzeit" von Dorothy West.
In der Erzählweise eher konventionell, aber gesellschaftspolitisch bedeutend: "Die Hochzeit" von Dorothy West. © Deutschlandradio / Hoffmann und Campe
Von Maike Albath |
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Dorothy West gehörte zur Harlem Renaissance, die der schwarzen Community neues Selbstbewusstsein vermitteln wollte. Wie stark rassistische Klischees die US-Gesellschaft durchdringen, zeigt ihr 1995 erstmals veröffentlichter Roman "Die Hochzeit".
Hautfarbe ist nichts anderes als eine Zuschreibung. Eine äußerst fragwürdige noch dazu. So zumindest wirkt es, als sich irgendwann in den späten 1930er-Jahren eine blondgelockte, blauäugige Sechsjährige im Wald verläuft, die Polizei eine Suchaktion startet und nach einem schwarzen Mädchen fahndet.
Viele Einwohner der eleganten Ortschaft von Martha’s Vineyard bemerken das Kind – erkennen tut es niemand. Und Shelby selbst hört an diesem Tag zum ersten Mal, dass sie "eine Farbige" sei. Denn sie kommt aus einer schwarzen Familie, folglich ist sie schwarz, tatsächliche Hautfarbe hin oder her.
Shelby hat ihre helle Tönung von ihrer gestrengen, durch und durch weißen Südstaaten-Urgroßmutter Gram geerbt. Ihre früh verstorbene Mutter hatte einen schwarzen Vater, ihre Schwester heiratete einen tiefschwarzen Mann, und Shelby hat als erwachsene Frau 1953 dann die Chuzpe, einen weißen Jazzmusiker ehelichen zu wollen.
Ist es der ultimative soziale Triumph? Wie stark rassistische Klischees die Klassengesellschaft durchdringen und jeden einzelnen konditionieren, ist Gegenstand des spannungsreichen Romans "Die Hochzeit" von Dorothy West.

Der Vater, noch in der Sklaverei geboren

Dorothy West, Jahrgang 1907, deren Vater noch in der Sklaverei geboren wurde und sich ähnlich wie ihre Heldin in der schwarzen Oberschicht bewegte, gehörte zur Harlem Renaissance, einer kulturellen Strömung nach dem Ersten Weltkrieg, in der Philosophen wie Alain Locke den "New Negro" ausriefen und der Community ein neues Selbstbewusstsein vermittelten. Die Bewegung umfasste Literatur, Theater, Kunst und Musik, und Harlem kam auch bei weißen New Yorkern in Mode. Man ging zum "slumming" in die einschlägigen Lokale.
West war mit der Anthropologin Nora Zeale Hurst befreundet und verehrte den Dichter Langston Hughes, aber ihr Roman "The Living Is Easy" von 1948 ging unter, weil er sich nicht um Armut und Benachteiligung drehte, sondern um reiche Familien und ihr Verhältnis zum weißen Amerika.
West geriet trotz etlicher Kurzgeschichten und zweier Versuche als Zeitschriftenherausgeberin bereits in den 1960er-Jahren wieder in Vergessenheit. Erst 1995 veröffentlichte sie mit "Die Hochzeit" ihren zweiten Roman und landete einen Überraschungserfolg. Oprah Winfrey ließ das Buch von ihrer Produktionsfirma mit Halle Berry in der Hauptrolle verfilmen.

Ehen aus dynastischen Überlegungen

In großen Schleifen lässt West fünf Generationen Revue passieren und schildert den Aufstieg von Shelbys Vorfahren. Die Ehen in der Familie wurden häufig eher aus dynastischen Überlegungen geschlossen, tiefere Emotionen waren selten im Spiel, wie Shelbys Vater, Harvard-Absolvent und einer der bekanntesten Ärzte New Yorks, schmerzlich bewusst wird. Sie solle ihr Leben nicht verwirken, appelliert er an sie.
In der Erzählweise eher konventionell, vermittelt der Roman auf faszinierende Weise die Komplexität dessen, was in den USA "race" genannt wird. Nach einer überraschenden, etwas zu forcierten Schlusswendung schließt die Matriarchin Gram zum ersten Mal Shelbys tiefschwarzen Neffen in die Arme. Zumindest sie hat die Schranken überwunden.

Dorothy West: "Die Hochzeit"
Aus dem amerikanischen Englisch von Christa E. Seibicke
Hoffmann und Campe, Hamburg 2021
288 Seiten, 23 Euro

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