Eine Inszenierung, die keinen Anstoß erregt
Karin Henkel inszeniert die Oper "Der Spieler" in Gent. Gediegen und literarisch fundiert, urteilt unser Kritiker Frieder Reininghaus - doch leider auch wenig innovativ.
Die Einrichtung "Hotel" oder ganz einfach "Das Hotel" wurde in den 1920er-Jahren zu einem der beliebtesten Orte für Opern-Libretti. Markante Beispiele dafür sind das "erstklassige Haus" in Kreneks "Jonny spielt auf", das "Savoy-Hotel" in Hindemiths "Neues vom Tage" oder das "Luxus-Foyer" und der "Roulette-Tisch" im Paris-Akt von Wedekinds und Bergs "Lulu".
Mit Sergej Prokofjews "Spieler", komponiert 1915–17 nach einer vom Komponisten vorgenommenen Bearbeitung von Fjodor Dostojewskijs "Igrok" ("Aus den Erinnerungen eines jungen Mannes"), begann die Eroberung des Hotel-Milieus und des Spielcasinos durch das Musiktheater.
Der Spieler und sein Zweibett-Zimmer
Muriel Gerstners Ausstattung von Karin Henkels "Der Spieler" in Gent zeigt zunächst ein Zweibett-Zimmer, in dem der alleingelassene spielsüchtige Hauslehrer Aleksej von seinen Erinnerungen gepeinigt wird. Das Zimmer wird zudem eine halbe Etage höher geschickt verdoppelt, später verdreifacht und vervierfacht. In dieser Installation mimt ein Double den von Polina endgültig düpierten, derangierten und heruntergekommenen Hauptdarsteller. Singend stellt ihn der sympathische Tenor Ladislav Elgr dar, der seine Partie von der Sprache her anlegt und ohne Belcanto-Allüren bestreitet.
Die adrette Anna Nechaeva ist der Widerpart mit schöner und zugleich willensstarker Sopranstimme. Sie tariert die Launen und Gemütsschwankungen der Polina virtuos aus. Dmitri Jurowski sorgt dafür, dass das Symphonisch Orkest die Protagonisten und das zahlköpfige Ensemble der mitunter outriert spielenden Spieler transparent und weithin zurückhaltend begleitet. Aber auch den quirligen Momenten wird ihr Recht eingeräumt.
Ein Ensemble, das sich die Seelen auf den Leibern zappelt
Karin Henkel, kürzlich mit dem Theaterpreis Berlin bedacht (20.000 Euro), debütierte an der Opera Vlaanderen als Opern-Regisseurin. Sie bezog drei aus Dostojewskijs Roman destillierte Statements ein: Über den Mensch im Spieler und den Spieler im Menschen, zur menschlichen Unberechenbarkeit und zur Fassungslosigkeit angesichts der eigenen "Natur". In der Akzentuierung des Literarischen und mit getreulich geführten Figuren gelingt Henkel eine solide, unaufregende Inszenierung in unbestimmt historischer Kostümierung. Mancher Bewegungseinfall kollidiert mit der Musik, etwa wenn die Kinder des Generals auf den Betten hüpfen oder wenn das Ensemble der Spieler des Casino-Personals sich die Seelen aus den Leibern schütteln und zappeln.
Aber es gibt da nichts, was konservative Augen beleidigen könnte, schon gar keine Nachaufnahmen der sexuellen Verwicklungen in Roulettenburg. Der Genter "Spieler" würde auch in München, Salzburg oder Mailand keinen Anstoß erregen. Von Henkel geht keine Gefahr für das Musiktheater aus, aber auch keine Innovation. Man dankt es der inzwischen 47-jährigen Nachwuchshoffnung, die sich für gehobene Leitungspositionen empfiehlt.