Drago Jančar: "Wenn die Liebe ruht"
aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2019
394 Seiten, 25 Euro
Sinnloses Sterben in den Zeiten der Nazi-Herrschaft
06:41 Minuten
Drago Jančars "Wenn die Liebe ruht" beginnt nach dem Überfall der Wehrmacht auf Jugoslawien 1941. Der kühle deutsche Ludwig trifft auf die junge Sonja, deren Freund im Gefängnis ist. Nichts in diesem Roman geschieht aber, wie man es vermuten könnte.
60 Kilometer entfernt von Graz, in der Südsteiermark, liegt Maribor. Das einstige Marburg an der Drau wurde nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Slowenien zugeschlagen. Die bis dahin deutschösterreichische Mehrheitsbevölkerung der Stadt schrumpfte in den folgenden Jahrzehnten – auch sprachlich – zur Minderheit.
Drago Jančars Roman "Wenn die Liebe ruht" beginnt in Maribor nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Jugoslawien 1941. Das Hotel Orel wird zum Hotel Adler und das Wort Restavracija zu Restaurant. Neue, deutsche Straßennamen ersetzen schnell die slowenischen und Ludek, ein ehemaliger Drucker, stolziert jetzt in SS-Uniform durch die Gassen. Deutsch triumphiert wieder. Er heiße Ludwig, erwidert er kühl, als ihn die junge Sonja anspricht
Sonja war ein kleines Mädchen, als ihr Vater, ein Arzt, Ludek einst das Knie operiert hatte. Man war gemeinsam Ski gelaufen und der Mann, der ihr damals aus dem nassen Schnee hochgeholfen hatte, steht nun als Obersturmbannführer vor ihr.
Sonja bittet ihn, sich für ihren Freund Valentin zu verwenden, der im Gefängnis als mutmaßlicher Partisan gefoltert wird. Der SS-Mann lässt sich tatsächlich die Akte kommen – und stellt Sonja eine Bedingung. Aber nichts geschieht in diesem Roman, so wie man es vermuten könnte.
Es gibt keinen Anspruch auf Gerechtigkeit
Jančar, der auch als Filmdramaturg und Lektor gearbeitet hat, setzt die Handlung aus überschaubaren Szenen zusammen, in denen zumeist zwei Menschen aufeinandertreffen. Sie glauben, für ihr Handeln verantwortlich zu sein, aber letztendlich wird es von der historischen Situation diktiert. Auch wer gut sein will, wird schuldig. Und kaum einem kann man das vorwerfen. Ein gewisser Fatalismus durchzieht diesen großen Roman. Es gibt hier keinen Anspruch auf Gerechtigkeit, keine Belohnung für ein Opfer, keine Liebe für die Liebe. Stattdessen wird gestorben, sinnlos. Oder man überlebt, gezeichnet und ebenfalls sinnlos.
Der allwissende Erzähler dieser Geschichte, der auch über das Kriegsende hinaus in kurzen Schlaglichtern das Schicksal einiger seiner Protagonisten aufleuchten lässt, könnte ein müder, trauriger Gott sein.
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft – kunstvoll verschachtelt
Da er nichts ändern kann, schreibt er. Kunstvoll entwirft Jančar diesen Roman, verschachtelt Gegenwart und Vergangenheit, schaut auch schon mal in die weite Zukunft der Figuren, malt mit der Hingabe eines Genremalers die Szenen aus, windet die Handlung entschieden in die eine oder andere, oft überraschende, Richtung – doch er stößt immer auf die Härte des Daseins, die Ungerechtigkeit des Lebens wie des Todes.
Jančar hat einen historischen Roman geschrieben, der die Situation der Slowenen unter Herrschaft der Nazis genauso wie später unter den siegreichen Partisanen Titos plastisch darstellt. Und dabei erzählt, was es heißt, leben zu müssen, wenn die Liebe ruht.