LGBTQ in den USA

Eine Dragqueen will in den Kongress

23:28 Minuten
Die Dragqueen und Politikerin Maebe A. Girl mit einem Schild auf dem "Trans Rights" steht vor einer orangefarbenen Kulisse.
"2022 war das schlimmste Jahr, besonders für trans* Menschen" - Dragqueen Maebe A. Girl will politisch Einfluss nehmen auf die Situation der LGBTQ-Community in den USA. © Emily Eizen
Von Katharina Wilhelm · 03.11.2022
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In den USA wurden 2022 mehr als 300 Gesetze verabschiedet, die die LGBTQ-Community diskriminieren. Gleichzeitig sind die Midterm-Wahlen am 8. November die diversesten aller Zeiten. Eine von rund 100 queeren Kandidierenden ist Dragqueen Maebe A. Girl.
West Hollywood an einem Sonntagmittag: Im Café „Stache“ trinkt das Publikum Sekt mit Orangensaft, isst Avocado-Toasts und wartet auf die Dragshow, die hier gleich anfangen soll.

Das Publikum wedelt mit Dollarnoten

Dragqueen Maebe A Girl, zu Deutsch also: "Vielleicht ein Mädchen", legt sich bei der Show in dem bekannten Gay-Viertel in Los Angeles ins Zeug.
Die blonde Langhaarperücke wippt im Takt der Musik, das aufgepolsterte Hinterteil unter dem 60er-Jahre Kleid schwingt, dazu macht sie Lipsync, also Playback. Das Publikum wedelt mit Dollarnoten, um die Dragqueens anzufeuern.
Die Dragqueen und Politikerin Maebe A. Girl in einem roten Outfit, lehnt an einer weißen Säule.
"Vor allem trans* Menschen sind in Gefahr, jeden Tag gibt es Angriffe auf sie", sagt Maebe A. Girl - und will das ändern.© Emily Eizen
Dies ist nicht nur eine Dragshow, sondern auch zugleich eine Politik-Kampagne, denn Maebe A. Girl steht am 8. November bei den amerikanischen Zwischenwahlen auf dem Stimmzettel in Los Angeles.
„Wählt mich nicht, weil ich eine Dragqueen bin, oder eine trans* Person, sondern, weil ihr an Krankenversicherung für alle glaubt, Wohnraum für alle, Klimagerechtigkeit und LGBTQIA-Rechte, Waffenkontrolle und dass wir in keine Kriege ziehen sollten!"

Drag ist mein Job, trans* ist, wer ich bin

Szenenwechsel und Outfitwechsel. Ich treffe Maebe A Girl als Maebe, der Name, den sie privat bevorzugt. Maebe erscheint zu diesem Interview in Privatklamotten.
Sie hat raspelkurze Haare, trägt ein weißes T-Shirt. Die 36-Jährige identifiziert sich selbst als trans* Person und als non-binär, das heißt keinem Geschlecht eindeutig zugehörig.
„Drag ist mein Job. Aber trans* ist, wer ich bin, das ist Teil meiner Identität!“
Trans* bedeutet, sich anders zu identifizieren als mit dem bei der Geburt zugewiesenen biologischen Geschlecht. Das kann, muss aber keine medizinische Geschlechtsanpassung zur Folge haben.
“Mir hat Drag tatsächlich geholfen, zu erkennen, dass ich eine trans* Person bin, und das ist eigentlich eine ziemlich häufige Erfahrung für trans* Menschen, wenn sie anfangen, sich mit Drag zu beschäftigen.”
Dani T, Trash und Maebe A. Girl posieren für die Kamera bei einer Gala in Los Angeles im Jahr 2016.
Drag verbindet: Dani T, Trash und Maebe A. Girl.© Getty Images / Greg Doherty
Sie betont aber auch: nicht jede Dragqueen wolle automatisch eine Frau sein und nicht jeder Dragperfomer sei immer ein schwuler Mann, auch wenn dies ein gängiges Klischee ist.
Maebe hat sich gefunden und sagt klar, wie sie sich gerne ansprechen lässt: Ihre bevorzugten Pronomen sagt sie, sind "sie" also weiblich und im Prinzip auch "sie" als Mehrzahl, was sich in der deutschen Grammatik schwer darstellen lässt. Dass allein die Anrede eine Provokation für manche Menschen ist, weiß Maebe.
„Menschen wie ich werden nicht nur von gewöhnlichen Menschen angegriffen, sondern von unseren Regierungen, die wir wählen, um uns zu regieren.“

Erste Dragqueen in einem öffentlichen Amt

Ein Grund für sie, in die Politik zu gehen. Und Maebe hat bereits jetzt Geschichte geschrieben: als erste Dragqueen, die in den USA in ein öffentliches Amt gewählt wurde. Das war 2019. 
Im sogenannten Silver Lake City Council, einem Nachbarschaftsrat ihres Stadtteils, setzt sie sich seitdem vor allem für die Rechte Obdachloser ein. Jetzt will sie mehr: Bei den Zwischenwahlen möchte sie ins US-Repräsentantenhaus in Washington einziehen, als linke, progressive Demokratin, die nicht von großen Unternehmen gesponsert wird, wie sie selbst sagt.
Dabei wird sie als demokratische Kandidatin in ihrem Distrikt gegen den langjährigen Kongressabgeordneten Adam Schiff antreten. Ebenfalls ein Demokrat und landesweit bekannt, weil er unter anderem das Amtsenthebungsverfahren gegen Ex-US-Präsident Donald Trump wegen der Ukraine-Affäre leitete.

Mit Chancen gegen Polit-Promi Adam Schiff?

Derzeit steht die Dragqueen und Politikerin Maebe hinter Berufspolitiker Schiff auf dem Listenplatz an zweiter Stelle und hat kürzlich eine lokale Debattenrunde gegen ihn gewonnen.

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Maebe hat eine breite Agenda: Gesundheitsvorsorge für alle, Klimaschutz, mehr Wohnraum – vor allem für Geringverdiener und Obdachlose. Doch im Fokus steht ihr Engagement für schwule, lesbische, queere und trans* Personen.
“2022 war das schlimmste Jahr in der modernen Geschichte für die Anti-Queer-Gesetzgebung. Es gab mehr als 300 Anti-LGBTQIA-Gesetze, mehr als die Hälfte von denen, die speziell auf trans* Menschen abzielen. Sie versuchen, uns zu kriminalisieren. Sie versuchen, so zu tun, als ob wir nicht existieren würden.”

Trans* Menschen besonders gefährdet

In konservativen Bundesstaaten wie Texas, Virginia oder Florida werden beispielsweise trans* Personen durch Gesetze vom Profisport ausgeschlossen, in Schulen dürfen die Worte “schwul” und “lesbisch” nicht mehr genutzt werden. Nur zwei von vielen Beispielen für eine queer-feindliche Gesetzgebung.
Vor allem trans* Menschen seien in Gefahr, jeden Tag gebe es Angriffe auf sie – auch ausgelöst, weil Ängste geschürt würden, sagt Maebe.
Das Capitol in Washington D.C. - im Vordergrund eine Straße mit Autos, im Hintergrund das Gebäude vor blauem Himmel. Die Straße wird von Bäumen gesäumt.
Für die Konservativen sei das wie das Ende der Zivilisation, sagt Genderforscher Chris Mitchell, wenn eine Dragqueen mit High Heels und viel Lippenstift den Kongress – das "heilige" Capitol in Washington – stürmen würde.© IMAGO / NurPhoto / Beata Zawrzel
Derzeit gebe es keine trans* Person im US-Repräsentantenhaus, dabei sei Repräsentation von Minderheiten so wichtig.

"Wenn ich Drag bin, fühle ich mich stärker"

Um genug Aufmerksamkeit für ihre Themen zu bekommen, zieht Maebe bewusst in ihrer Dragqueen-Persönlichkeit in den Wahlkampf: in High Heels, mit viel Lippenstift, engen Kleidern und wechselnden Perücken.
“Ich habe das Gefühl, dass ich mich ein bisschen stärker fühle, wenn ich in Drag bin. Es ist schwer, die Zwei-Meter-Frau in einem Raum zu ignorieren! Und ich habe das Gefühl, dass die Leute dir wirklich Aufmerksamkeit schenken.”
Drag sei der einfachste Weg, gängige Geschlechterrollen und Identitäten zu hinterfragen – und war somit schon immer politisch, sagt Chris Mitchell, der am Hunter College in New York Gender Studies lehrt.
Drag habe eine lange politische Tradition, beispielsweise bei den Stonewall Protesten 1979 in New York, als damals gegen Homophobie demonstriert wurde.
“Die Leute, die bei Stonewall an vorderster Front kämpften, wurden als Dragqueens beschrieben. Heute würden sie sich wohl eher als trans* bezeichnen!”

US-Dragshows erreichen riesengroßes Publikum

Dragqueens sind auf den Showbühnen nicht nur bunt, schrill, laut: Viele von ihnen machen Stand-up-Comedy, kritisieren in ihren Rollen Gesellschaft und Politik. Dass diese Shows mittlerweile ein riesengroßes Publikum erreichen, das liegt auch an der amerikanischen TV-Show „Ru Paul’s Drag Race“, eine Art “Germanys Next Topmodel” für Dragqueens.
Die Sendung ist seit ihrem Start extrem erfolgreich, wurde mit 24 Emmys ausgezeichnet und hat Drag den Weg in den Mainstream geebnet. In der Jury der Show saßen schon Stars wie Sängerin Lady Gaga, Schauspieler Jeff Goldblum oder die demokratische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez.
Die amerikanische Dragqueen und Politikerin Maebe A. Girl geht in einem Café mit einem Fächer. An den Tischen drumherum sitzen Menschen.
Warten auf die Dragshow - im Café „Stache“ in Los Angeles schaut die Chefin auch mal persönlich bei ihrem Publikum vorbei.© Katharina Wilhelm, ARD-Studio Los Angeles
Auf großen Messen wie der DragCon in Los Angeles wird die Drag-Szene zelebriert. Tausende strömen jedes Jahr dorthin, um ihre Dragstars zu treffen, die auf Laufstegen ihren Fans winken oder sie können sich über die neusten Trends beim Drag informieren.

Silikonbrüste, damit oben rum "mehr los ist"

Auch Alexander aus dem US-Bundesstaat Georgia ist dabei. Er tritt selbst als Dragqueen auf und betreibt außerdem einen Shop, der Dragqueens ausstattet mit allem, was so notwendig ist.
“Wir haben Schmuck und wir machen diese Brustplatten, wenn sich die Mädels ausstopfen, können sie die umhängen, damit hier etwas mehr los ist!”
Erklärt er und zeigt die Silikonbrüste. Sie gibt es in unterschiedlichen Hautschattierungen. Die werden unter den aufwendigen Kleidern oder hautengen Anzügen getragen. Auch Ohrringe gibt es. Handteller-groß und größer – die meisten Queens würden sie mit Superkleber für ihre Shows anbringen.
Lange Zeit sei Drag eher nur etwas für eine spezielle Szene gewesen, meint Alexander.
“Als ich mit Drag angefangen habe – Anfang 2005  – war das ein Tabu, sogar in der Schwulenszene. Typen wollten dich nicht daten, wenn du eine Dragqueen warst. Und mit der TV-Show 'Drag Race' hat sich das geändert. Es hat die Dragqueens in die Wohnzimmer der Leute geholt und so normalisiert! Unsere größte Zielgruppe sind Teeniemädchen, die uns gut finden. Das hätte ich nie erwartet.”
Während ein größerer Teil der Gesellschaft Dragqueens kennt und akzeptiert, sei das in konservativen Kreisen ganz anders, meint Genderforscher Chris Mitchell.
„Sollte Maebe A. Girl in den Kongress ziehen, wäre das für die Konservativen so etwas wie das Ende der Zivilisation.“

Drag als politisches Statement

Die Freiheit, sich selbst in verschiedenen Rollen auszuprobieren und das Geschlecht selbst zu wählen, in dem man lebt, sei keine Selbstverständlichkeit. Die hart erkämpften Freiheitsrechte seien in Gefahr sagt Maebe und möchte deswegen nach Washington, ins US-Repräsentantenhaus. Sie weiß, wenn sie dort als Dragqueen auftauchen würde, wäre dies ein Spektakel und eine große Provokation.
“Allein der Akt des Drags, egal ob du beabsichtigst, dass es ein soziales oder politisches Statement ist oder nicht, ist ein soziales und politisches Statement. Weil wir in einer Welt leben, die immer noch von Geschlechternormen diktiert wird.”
Bis zum 8. November hat sie noch Zeit, Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen.
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