Drake und Kanye West ab 2010

Depression und apolitische Dekadenz im Rap

09:28 Minuten
Der US-amerikanische Rapper Kanye West begrüßt in einer Weste der Security seine Anhänger in South Carolina bei einer Veranstaltung im Rahmen der anstehenden Präsidentschaftswahlen 2020
Der US-amerikanische Rapper Kanye West © imago
Fabian Wolff im Gespräch mit Andreas Müller |
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2010 werden zwei Superstars des Rap geboren: Drake bringt sein Debütalbum auf den Markt und Kanye West erfindet sich als Kunstrapper neu. Zu politischen Themen verhalten sie sich sehr unterschiedlich.
Andreas Müller: Vielleicht werden erst Historiker kommender Generationen genau sagen können, wann der Abstieg von Kanye West genau begann, denn es gibt reichliche Skandale, die zur Auswahl stehen. Bevor wir über den Fall eines der größten Musiktalente der letzten 20 Jahre reden, eine Erinnerung daran, wie er zu seinen kreativen Hochzeiten klang:
Das Stück "Blame Game" von Kanye West featuring John Legend vom Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" kalibrierte 2010 Hip-Hop und große Teile der Popmusik neu. Seitdem macht Kanye West immer mehr mit Ausfällen und problematischen Äußerungen und weniger mit Musik von sich reden. Aktuell soll er sich überlegen, für die US-Präsidentschaft zu kandidieren, obwohl er eigentlich Fan von Trump ist.
Über die Kämpfe und Krisen des Kanye West und was sie über das Genre erzählen, spreche ich jetzt mit dem Musikkritiker Fabian Wolff. Vor zehn Jahren war Kanye West die große Hoffnung des Hip-Hops, inzwischen gilt er als Lachnummer oder Ärgernis. Wie hat er seinen Ruf verspielt?
Fabian Wolff: Zu seiner Geschichte gehört, dass er vielen schon immer als Lachnummer oder als Ärgernis galt. Aber auch, dass er als Rapper und sehr guter Produzent einen ganz neuen Sound in den Hip-Hop gebracht hat. Er war einfach immer zu sehr von sich überzeugt, zu stolz, zu laut, zu religiös, zu verquer. All die negativen Zuschreibungen, mit denen gerade Schwarze Künstler zu tun haben, wenn sie bestimmte Rollen nicht spielen oder Tonfälle bedienen wollen.
Seine Paranoia und sein Gefühl, unfair behandelt zu werden, waren durchaus berechtigt. Schließlich erlebte er viel Hass, als er zum Beispiel nach dem Hurrikan Katrina den damaligen Präsidenten George W. Bush im Fernsehen kritisierte. Er hatte auch recht, als er Taylor Swift 2009 bei den MTV Video Music Awards unterbrach, dass Beyoncés Video besser war als ihres.
Aber die seelischen Brüche waren irgendwann nicht mehr übersehbar. Es war wohl der Tod seiner Mutter 2007, der latente seelische Probleme noch verstärkt hat. Seitdem erleben wir einen einzigen langen Nervenzusammenbruch, den er vor der Weltöffentlichkeit durchlebt.
Müller: Sie haben die Kritik an George W. Bush erwähnt: "He doesn't care about Black people", also zu Deutsch in etwa "Der schert sich nicht um Schwarze". Das hat er bei einer Charity-Sendung für die Opfer von Katrina gesagt. Wie endet so jemand als Trump-Fan?
Wolff: Kanye West war nie ein Intellektueller. Auch wenn seine Mutter Donda West Professorin für Literatur war, hat er oft stolz gesagt, dass er keine Bücher liest. Er ist ein Herzensradikaler, dessen emotionale Impulse sich immer um Anspruchsdenken drehen, nicht nur für sich, sondern auch für Schwarze Kultur.
Im Laufe der Zeit ging es immer mehr um sein eigenes verkanntes Genie. Der Weg zu Trump beginnt vielleicht damit, dass Präsident Obama ihn 2009 "jackass", also Trottel, nannte. Das nagt immer noch an West, gerade, weil seine ehemaligen Freunde Jay-Z und Beyoncé sich inzwischen von ihm distanziert haben, aber immer noch mit den Obamas gut stehen.
Dazu kommt seine religiöse Erweckung zum konservativen Evangelikalismus mit ultrarechter Agenda. Der Weg von diesen Bereichen der Black Church zu Trump ist nicht weit.
Ich hadere trotzdem damit, das als authentischen Ausdruck von politischen Ideen zu werten, auch wegen seines offenkundigen seelischen Zustands. Er selbst sagt, dass er bipolar sei. Man muss kein Psychiater sein, um zu erkennen, dass hier jemand leidet. Nicht nur sein Verhalten, auch seine Musik wurden immer erratischer.

Drake steht dafür, für nichts zu stehen

Müller: Wenn Kanye West die meisten Diskussionen ausgelöst hat, dann hat wohl der Rapper Drake in den letzten Jahren die meisten Hits versammelt. Was hat er von Kanye West gelernt?
Wolff: Wenn die Nullerjahre von "In the Club"-Hymnen leben, dann hat sich das in den Zehnerjahren die Party in irgendwelche VIP-Séparées, Designerapartments und leere Lofts verlagert, wo exzessiv feiernde Männer viel konsumieren - Mode, Drogen, auch Frauen sind da nur Konsumgut – und trotzdem nur Leere spüren. Bei Kanye West war das der Ausdruck einer authentischen Krise, so unangenehm egozentrisch das auch verhandelt wurde.
Porträtfotos von zwei der prominentesten Rapper: der Kanadier Drake (l.) und der US-Amerikaner Kanye West (undatierte Fotos)
Zwei der prominentesten Rapper: der Kanadier Drake (l.) und der US-Amerikaner Kanye West (undatierte Fotos)© picture alliance / empics / PA Wire
Drake hat das von jeder emotionalen Tiefe befreit. Am Ende waren nur Solipsismus – die Außenwelt wird nur als Bewusstseinsinhalt des als allein existent angesehenen eigenen Ichs gesehen - und attraktive Melancholie übrig, das alles untermalt von geschickt eingekauften oder kopierten Sounds aus London, der Karibik oder Afrika.
Ansonsten steht Drake dafür, für nichts zu stehen, aber nicht Warhol-mäßig als Meta-Kommentar, sondern einfach als leeres Produkt. Was nicht heißt, dass es nicht auch Kontroversen gibt, wie sein öffentliches Bedrängen von Rihanna, oder scheel beäugte Freundschaften zu minderjährigen Mädchen wie damals noch Billie Eilish.

Diskussionen über Drake und Schwarzsein

Müller: Trotz dieser Leere war Drake in den vielleicht giftigsten Rap-Beef des Jahrzehnts verwickelt, bei dem der Rapper Pusha-T intimste Details verriet. Worum ging es in diesem Streit und warum wurde es so persönlich?
Wolff: Für die gesamte Geschichte braucht es wohl eine Netflix-Serie. Kanye West ist in diesem Beef zentral, weil Pusha-T sein Label GOOD Music leitet. Drake hat sich von West nach anfänglicher Nähe distanziert. Im Sommer 2018 wurden Disstracks ausgetauscht. Pusha-T warf Drake vor, seine Texte nicht selbst zu schreiben, Drake schoss zurück, dass der sich gern als ehemaliger Drogenkönig gerierende Pusha-T nie viel Kokain verkauft hätte.
Dann zündete Pusha-T eine Bombe namens "The Story of Adidon", in der er, neben einer tatsächlich geschmacklosen Zeile über die MS-Erkrankung von Drakes Produzent, vor allem verriet, dass Drake einen Sohn habe, den er vor der Welt versteckt und als Marketingstunt für eine eigene Adidas-Linie enthüllen möchte. Das Cover war ein altes Foto von Drake in Blackface, wohl Teil eines Kunstprojekts.
Dieses Bild führte zu Diskussionen über Drake und Schwarzsein, denn seine Mutter ist weiß und jüdisch, sein Vater Schwarz und er kommt aus Kanada. Es gab neben unschönem colorism also dem Vorwurf, dass er nicht wirklich Schwarz oder nicht Schwarz genug sei. Auch die legitime Kritik, dass er sich aus politischen Anliegen, egal ob in Kanada oder in den USA, zurückhalte und auch zu Rassismus und "Black Lives Matter" kaum Stellung beziehe.
Müller: Das unterscheidet ihn von anderen Rappern, die verstärkt sozialkritisch auftreten wie Kendrick Lamar, dessen "Alright" zur Hymne der BLM-Bewegung wurde. Ist das eine Reaktion auf die vorherige Generation?
Wolff: Die Sache ist komplizierter, da werden oft Leute gebündelt, die nicht viel miteinander zu tun haben. Kendrick Lamar ist ein religiöser Künstler, dessen Sozialkritik immer in seinem Glauben und auch in einem gewissen Konservatismus grundiert ist.
Das ist ähnlich bei Chance the Rapper aus Chicago, der sich mal als Erbe des positiven alten Kanye präsentiert, nur dass er stattdessen bei der Sozialdemokratie gelandet ist. Dann ist da noch die Rapperin Noname, ebenfalls aus Chicago, die vielleicht die interessanteste Karriere der letzten Jahre hat: Nach einem sehr guten Mixtape und einem sehr guten Album, auf dem es auch um Rassismus und um mental health geht, hat sie sich von der Musik größtenteils losgesagt.
Diese Entscheidung war nicht aus einer Krise heraus, sondern bewusste politisch, um nicht mehr weiße Erwartungen und kapitalistische Verwertungsstrukturen zu bedienen und sich stattdessen Aktivismus zu widmen. Teil des Aktivismus ist ein Book Club, bei dem Klassiker der radikalen Literatur wie Frantz Fanon, Angela Davis und neue wichtige Stimmen wie Michael Twitty oder Zoé Samudzi gelesen werden. Also Bewusstseinsbildung als Reaktion auf die Gegenwart, Bildung als Selbstermächtigung: Obwohl sie so eine gute Rapperin ist, liegt für Noname die Lösung außerhalb der Musik.

"The revolution will not be televised", wusste schon der Musiker Gil Scott-Heron. Aber was, wenn sie schon angekündigt war – und dann nicht stattfindet? In unserer Serie "Musik und Revolution" beschäftigt sich Fabian Wolff mit gescheiterten Aufständen und abgesagten Umstürzen, mit persönlichen Krisen und sterbenden Genres.

Die fünf Folgen decken 50 Jahre Pop-Geschichte ab und kehren jeweils zum Beginn eines Jahrzehnts zurück: vom Ende der Bürgerrechtsbewegung und "There's A Riot Goin‘ On" von Sly & the Family Stone Anfang der 1970er bis zu Drake und Kanye West und dem Aufstieg Donald Trumps zu Beginn der 2010er-Jahre.

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