Was bleibt, ist die Einsamkeit
08:43 Minuten
Während der Hausgeburt verliert Martha ihr Kind. In "Pieces of a Woman" schildern Regisseur Kornél Mundruczó und Drehbuchautorin Kata Wéber die Leere, die nach dem Verlust des Babys bleibt. Und auch, mit welchem Unvermögen das Umfeld darauf reagiert.
"Pieces of a Woman" gehörte zu den wenigen Filmen im letzten Jahr, die eine Weltpremiere wie aus einer anderen Zeit hatten. Beim physisch stattfindenden Filmfestival in Venedig nämlich. Da wurde der Film vor Publikum gezeigt und dann gewann Vanessa Kirby sogar den Preis als beste Hauptdarstellerin. Kurz danach sicherte sich Netflix die Rechte an dem Drama des ungarischen Autorenfilmers Kornél Mundruczó. Jetzt kann man "Pieces of a Woman" auf der Streamingplattform sehen. Patrick Wellinski hat sich in Venedig mit Regisseur Mundruczó getroffen, und auch mit seiner Drehbuchautorin Kata Wéber, die als Frau einen sehr besonderen Bezug zum Stoff hat.
Patrick Wellinski: Im Kern geht es in "Pieces of a Woman" um die Trauer einer Frau, einer Mutter, die keine sein konnte. Wir werden gleich zu Beginn in eine Geburt hineingeworfen. Ein junges Paar in Boston, glücklich, das erste Kind ist im Anmarsch, am Abend setzen die Wehen ein. Das Kind soll zu Hause geboren werden. Eine Hebamme kommt, aber etwas geht schief, ein Krankenwagen muss kommen. Das Kind ist tot.
Erst dann beginnt der eigentliche Film, also die "Pieces of a Woman" sind wirklich eine Frau, die sich aus einzelnen Teilen wieder zusammensetzen muss. Wir sehen, wie Martha mit dem Tod ihres Säuglings umgeht, wie ihre Ehe daran zerbricht, aber auch ihr Verhältnis zur Familie sich neu sortiert. "Pieces of a Woman" war zunächst ein Theaterstück, jetzt ist es ein Kinofilm. Und als ich Kornel Mundruczó und Kata Wéber zum Interview traf, wollte ich von ihnen wissen, was genau sie am Prozess der Trauer mit ihrem Film fassen wollten?
Patrick Wellinski: Im Kern geht es in "Pieces of a Woman" um die Trauer einer Frau, einer Mutter, die keine sein konnte. Wir werden gleich zu Beginn in eine Geburt hineingeworfen. Ein junges Paar in Boston, glücklich, das erste Kind ist im Anmarsch, am Abend setzen die Wehen ein. Das Kind soll zu Hause geboren werden. Eine Hebamme kommt, aber etwas geht schief, ein Krankenwagen muss kommen. Das Kind ist tot.
Erst dann beginnt der eigentliche Film, also die "Pieces of a Woman" sind wirklich eine Frau, die sich aus einzelnen Teilen wieder zusammensetzen muss. Wir sehen, wie Martha mit dem Tod ihres Säuglings umgeht, wie ihre Ehe daran zerbricht, aber auch ihr Verhältnis zur Familie sich neu sortiert. "Pieces of a Woman" war zunächst ein Theaterstück, jetzt ist es ein Kinofilm. Und als ich Kornel Mundruczó und Kata Wéber zum Interview traf, wollte ich von ihnen wissen, was genau sie am Prozess der Trauer mit ihrem Film fassen wollten?
Kata Wéber: Es gibt kein Rezept dafür, wie man trauert. Man kann einer anderen Person nicht sagen, was er oder sie tun sollte. Ich habe auch meine eigene Erfahrung mit einem solchen Verlust. Und ich habe viel von den Erzählungen anderer gelernt. Sie waren alle sehr unterschiedlich. Aber eine Sache war gleich: Alle Frauen sprachen über ein Gefühl der Isolation, der Einsamkeit. Das sollte ein Thema im Film sein.
"Die Umgebung respektiert nicht, wie jemand trauern möchte"
Wellinski: Es gibt psychologische Modelle, die besagen, dass die meisten Menschen gleich trauern. Es gibt diese fünf Stufen der Trauer. Nach Ihrem Film und auch Ihren Recherchen, würden Sie sagen, dass das nicht stimmt?
Wéber: Es stimmt überhaupt nicht. Viele Frauen haben gesagt: Ich war so einsam und viele Leute wollten, dass ich wieder glücklich und so wie früher bin – was aber nicht möglich war. Ich wollte nicht einfach weitermachen. Es gab da eine Verbindung zum Baby. Andere Frauen haben gesagt: Mir ging es okay. Ich bin mit meinem anderen Kind zum Spielplatz gegangen und da gab es dann Menschen, die fragten mich, wie ich zum Spielplatz kommen könnte, ob ich nicht leiden und trauern würde? Das sind zwei Beispiele, die so unterschiedlich und doch so verwandt sind. Die Umgebung respektiert nicht, wie jemand trauern möchte.
Wellinski: Martha ist ein Mitglied einer Familie, die den Holocaust überlebt hat und gerade auch in den Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter, dargestellt von Ellen Burstyn, hatte ich das Gefühl, dass Trauern und Trauer für ein Mitglied einer solchen Familie etwas komplett anderes bedeutet. Wie verändert das die Trauer, wenn man Mitglied einer solchen Familie ist?
Wéber: Ja, ich habe diese Familiensituation gewählt, weil sie mir sehr vertraut ist, und ich wollte eine Umgebung schaffen, die ich gut kenne. Vielleicht ein bisschen zu gut. Die Familien geben diese "Fähigkeit" weiter, immer betrunken zu sein, immer perfekt, nie aufzufallen – sich anzupassen ist wichtig. Aber all das hilft Martha nicht. Sie muss sich ihrem Scheitern stellen. Und Scheitern sollte kein falsches Wort sein, sie muss das akzeptieren und auch ihre Mutter. Das war mir wichtig, dass es für Martha sehr persönlich ist, und dass sie so mutig ist, nicht andere zu beschuldigen, und sich gleichzeitig eingesteht, dass sie verletzlich ist und auch scheitern kann.
Wellinski: Kornél Mundruczó, Sie als Regisseur hatten ja jetzt die Herausforderung, Bilder zu finden für einen sehr internalisierten Prozess. Die Trauer passiert in Martha. Wie sind Sie da vorgegangen? Welche Bilder wollten Sie finden?
Wellinski: Kornél Mundruczó, Sie als Regisseur hatten ja jetzt die Herausforderung, Bilder zu finden für einen sehr internalisierten Prozess. Die Trauer passiert in Martha. Wie sind Sie da vorgegangen? Welche Bilder wollten Sie finden?
Kornél Mundruczó: Für mich ist der Film sehr abstrakt in dem Sinne, dass unser großes Thema Einsamkeit ist und der Wunsch, jemanden um sich zu haben, der nicht da sein kann. Das ist ein bisschen ein Antifilm-Thema. Wie kann man das darstellen? Wir hatten das Gefühl, dass es da ein paar andere Motive gibt, wie zum Beispiel den Apfel, der eine Verbindung zu den Toten herstellt. Und wir haben auch entschieden, mit der Kamera etwas Spirituelles zu schaffen. Um den Schauspielern eine gewisse Freiheit zu geben, wäre die offensichtliche Wahl eine Handkamera.
Aber das fanden wir zu persönlich. Hätten wir aus der Entfernung gefilmt, wären wir zu manipulativ gewesen, wir hätten so getan, als seien wir objektiv. Wir haben also nach etwas gesucht, das spirituell und persönlich und menschlich ist. Schließlich haben wir einfach eine Kamera Gimbal benutzt, also mit einer Aufhängung gearbeitet, sodass wir irgendwo zwischen Handkamera und Steadycam lagen. Ein Gimbal ist flexibel, macht die Bewegungen flüssig, es ist ein bisschen wie Ölmalerei. Das war die visuelle Sprache, die wir anstrebten. Und ich glaube, es ist die Perspektive der Person, die nicht da ist. Und auch das Publikum hat das Gefühl, nicht alleine zu sein. Irgendwas ist da noch um sie herum los.
Gedreht, als würde man die Katastrophe miterleben
Wellinski: Ihr Film beginnt mit einer fast 30-minütigen Sequenz in einer Einstellung. Es ist diese große Katastrophe, die Sean und Martha passiert. Die Geburt ihres Kindes, eine Hausgeburt, geht schief. Sie zeigen das, wie gesagt, in Echtzeit. Liegt das daran, dass wir mit den beiden diese Tragödie erleben und dass Sie dann einen Film von diesen beiden erzählen können, von Marthas Trauer, von Seans Trauer und nicht so sehr Bezug nehmen müssen auf eine universelle Art des Trauerns? Welche Funktion hat für Sie diese Sequenz?
Mundruczó: Es war ein langer Prozess, bis wir dahin kamen, aber die Szene nahm auch viele Seiten im Drehbuch ein. Als Regisseur stehst du vor einem Problem: Wie kannst du eine Geburt im Film zeigen? Jemand sagte mir, das sei ungewöhnlich. Natürlich ist es ungewöhnlich, denn es ist nicht machbar in so vieler Hinsicht! Wie geht man da also am besten vor? Wir sind dann bei der Idee der komprimierten Zeit gelandet. Und haben uns gefragt: Wie kann man zwölf Stunden zu 20 Minuten komprimieren? Welche Phasen der Geburt gibt es? Was ist die Funktion für eine bestimmte Phase?
Aber wir wollten keine Schnitte benutzen. Jetzt wirkt die Zeit endlos. Und weil wir nicht geschnitten haben, und nahe dran sind an Martha, fühlen wir alle mit ihr, auch wenn es grauenhaft und unkontrollierbar ist. Es sind höhere Mächte, die da am Werk sind, und das stellt etwas mit uns an. Am Ende fühlten wir uns alle ein bisschen wie Martha. Wir waren ja alle mal in einem Bauch. Und das hat mich interessiert. Und deswegen haben wir den Titel auch nach der Szene gesetzt. Es ist wie eine lange, monolithische Einleitung. Und dann beginnt der Film.