Dramatik ohne Eitelkeit

Die Johannespassion mit René Jacobs

Dirigent und Spezialist der barocken Musik René Jacobs
Dirigent und Spezialist der barocken Musik René Jacobs während der "Idomeneo" Premiere am Wiener Theater am 13.11.2013. © imago stock&people
Von Haino Rindler |
Ein Karfreitag ohne Matthäus- oder Johannespassion, das wäre irgendwie ein unvollständiger Tag, so Dirigent René Jacobs, einer der renommiertesten Dirigenten auf dem Gebiet. An dem Osterfeiertag ist er mit dem RIAS Kammerchor in der Berliner Philharmonie zu erleben.
"Ich bin immer traurig, wenn ich am Karfreitag keine Passion dirigiere, weil ich zum Beispiel Opernproben habe."
Rene Jacobs sitzt etwas erschöpft am Tisch, neben ihm das Dirigierpult, auf dem nicht die Johannespassion liegt, sondern ein dickes Buch mit der Aufschrift: "Georg Philipp Telemann, Emma und Eginhard". Premiere ist Ende April. Die Proben sind anstrengend und man hat das Gefühl, er freut sich darauf, die Oper für einen Moment zu vergessen. Stattdessen Johannespassion - Heimspiel für den Dirigenten.
"Ich habe die Altus-Partie in beiden gesungen. Matthäus-Passion sogar zweimal. Aber vor diesem Stadium auch als Knabe gesungen."
Jacobs erinnert sich an seine Zeit in Gent, wo die Aufführungen der Bach-Passionen einen festen Platz in seinem Terminkalender hatten. Zuerst als Sänger, später als Dirigent des von ihm gegründeten Ensembles Concerto Vocale Gent.
Die Johannes-Passion, so Jacobs, werde seltener aufgeführt als die Matthäus-Passion, diese sei etwas berühmter, weil Felix Mendelssohn sie im 19. Jahrhundert wiederentdeckt und öffentlichkeitswirksam inszeniert habe.
"Aber Schumann hat den gleichen Stellenwert da drin wie Mendelssohn. Weil er der der Mann war, der die Johannespassion zum ersten Mal wieder aufgeführt hat, auch romantisiert. Zum Beispiel hat er in der Arie ´Es ist vollbracht` Trompeten hinzugefügt usw. Aber er hat das Stück sehr geliebt, und er hat auch behauptet, die Johannespassion ist besser als die Matthäuspassion."
Wer sich mit dem Stück eingehender beschäftigt, stößt auf vier Fassungen, die von Bach hinterlassen wurden. Man kann sich aus heutiger Sicht nur mit Grausen vorstellen, welche Beugungen, Abwandlungen, Kürzungen, Harmonisierungen und Instrumentierungen das Werk in seiner Geschichte erfahren hat. Mittlerweile ist das weitestgehend auf den Ursprung zurückgeführt.
"Die Tatsache, dass ich diese Urtextfassung, die auf Bachs Autograph basiert, voller Respekt als Basis nehme, schließt das nicht meine eigene Phantasie aus. Aber ich brauche da überhaupt nichts zu ändern an Bachs Instrumentierungen oder so. Das macht man heute nicht mehr."
Instrumente, die dem alten Bach als Idealklang vorschwebten
René Jacobs steht in diesem Konzert mit der Akademie für Alte Musik Berlin ein Ensemble zur Verfügung, das auch solche Instrumente nutzt, die Johann Sebastian Bach als ideal für seine Klangvorstellungen ansah: Die Laute, die man im modernen Orchester durch gezupfte Geigen imitiert, oder die Viola d’amore, die oft genug durch gedämpfte Geigen ersetzt wurde.
"Es ist immer noch ein seltenes Instrument, aber man braucht unbedingt diese Farbe für die Arie 'Erwäge' und das Bass-Arioso vorher. Es war damals auch ein seltenes Instrument. Bach hatte es nicht immer zur Verfügung. Oder er hatte es zur Verfügung und hatte Spieler, die nicht sehr virtuos darauf waren. Deswegen gibt es Fassungen dieser Arie von Bach selbst mit sordinierten Geigen. Er musste sich manchmal auch behelfen."
Auffallend an Bachs erster Passion, der Johannespassion, ist ihre Dramatik, ihre dichte und rasende Erzählstruktur, ihre beschleunigende Dramaturgie. Man fühlt sich an die Oper erinnert. Es gab auch Versuche, das Werk zu inszenieren. Doch davon hält René Jacobs wenig.
"Es gibt da Charaktere wie Jesus und Petrus und Pilatus. Die singen da. Aber es sind keine Opernrollen. Man darf eigentlich nicht sagen, der Bass X singt Christus, die Christus-Partie. Es ist keine Partie, es sind die Worte Jesu. Es ist musikdramatisch in dem Sinne, dass Bach die Sprache der Oper benutzt, die Dacapo-Arie zum Beispiel, oder Rezitative, sehr expressive Rezitative. Und er geht über die Oper hinaus, was die Chöre anbelangt. Es gibt keine Oper mit solch virtuosen Chören in dieser Zeit. Aber es hat überhaupt nicht die Eitelkeit der Oper."
Bach als Opernkomponist: keine schlechte Vorstellung, sagt René Jacobs. Allerdings hätte Bach wohl im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Händel die deutsche Oper gepflegt und sein Herz nicht an die italienische Oper verkauft.
Unsere Interview-Zeit läuft ab, die Proben zur Telemann-Oper gehen weiter. Wie es mit Karfreitag steht, will ich noch wissen. Begeht man diesen Tag anders, wenn man sich lange genug mit der Passionsgeschichte und Bach beschäftigt? René Jacobs kommt ins Grübeln.
"Ich habe sehr oft darüber nachgedacht. Und bin auch in Grenzgebiete gegangen, wo ich da alles nicht mehr glauben konnte. Aber ich komme mehr und mehr zurück. Und je mehr ich Bachs Musik spiele … eine Anzahl von Jahren habe ich sehr wenig Bach gemacht, ich war immer in den Opernhäusern. Und je mehr ich jetzt mit den Stücken arbeite, die ich dachte zu kennen.... – ich dachte sie zu kennen, aber ich kannte sie nicht, weil ich die theologischen Hintergründe der Texte nicht studiert hatte. Und jetzt mache ich das mit viel Lust sogar. Und ich glaube, das beeinflusst auch meine musikalischen Entscheidungen."

Das Konzert übertragen wir am Freitag, den 3. April 2015, ab 20:03 Uhr live aus der Berliner Philharmonie.

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