Dramatikerin der Alltagsabgründe

Von Susanne Burkhardt |
Sie ist die meistgespielte Dramatikerin der Gegenwart: In ihren Bühnenstücken erkundet Yasmina Reza die Abgründe hinter scheinbar kultiviertem Verhalten. In Berlin wurde nun ihr jüngstes Werk "Ihre Version des Spiels" uraufgeführt. Wir stellen die Autorin und ihre Arbeit vor.
Ihr Erfolg bekann mit "Kunst". Einer Geschichte, in der ein weißes Bild drei Freunde in Streitende verwandelt. Was ist "Kunst"? Und wer bestimmt es? Die Diskussion verrät am Ende nicht nur absurde Mechanismen des Kunstbetriebs, sondern viel von den Leben der drei Freunde – von erschlafften Träumen, Beziehungen und Karrieren.

Yasmina Reza gelingt in diesem Stück etwas, was auch die folgenden so außergewöhnlich macht: Alltagssituationen auf philosophische Momente hin zu sezieren. Dem scheinbar Banalen psychologisch genau beobachtete Gesetzmäßigkeiten pointenreich abzulauschen, die Abgründe hinter scheinbar kultiviertem Verhalten zu zeigen. Das führt nicht zwangsläufig zu neuen Erkenntnissen – spiegelt aber das eigene Tun und Sein in manchmal schmerzhafter, aber auch meist unterhaltsamer Nahaufnahme: Wie in "Gott des Gemetzels" – zunächst genial von Jürgen Gosch für die Bühne inszeniert, später dann auch als Film erfolgreich: Die Geschichte zweier Elternpaare, deren Kinder sich geschlagen haben und deren Versöhnungstreffen zum Desaster wird.

"Ich schaue nicht auf die Politik, ich beobachte Menschen", sagt die Französin Yasmina Reza, deren Eltern aus dem Iran und aus Ungarn stammen, in einem ihrer seltenen Interviews. Und so war es kein politisches, sondern eher literarisches Interesse, als sie 2006 Nicolas Sarkozy auf seiner Wahlkampftour begleitete. Das später entstandene Buch war vielleicht auch aus diesem Grund umstritten.

"Ich wollte durch diesen Menschen die Themen reflektieren, die mein Schreiben begleiten – das ist vor allem die Zeit – und unsere Art die Zeit zu bewohnen. Ein Buch über die Zeit und über die Ungeduld zu leben. Schneller zu sein als die Zeit und das Leben mit vollen Händen ergreifen zu wollen."

Wenn Yasmina Reza ein Interview gewährt, behält sie bis zum Schluss die Kontrolle. Weil sie ungern etwas von sich preisgebe. Und weil man sich als Interviewter immer in einem Zustand der Schwäche befinde. Journalisten besäßen Macht über die Befragten – so die Erfolgsautorin Yasmina Reza.

Jetzt hat sie diese Erfahrung zum Ausgangspunkt ihres neuen Vier-Personen-Stücks gemacht: Eine gefeierte Schriftstellerin folgt der Einladung eines Literaturliebhabers in die französische Provinz. Hier soll sie aus ihrem neuen Werk lesen, dessen Hauptfigur gerade einen Roman geschrieben hat. Neben einem Bürgermeister, dem der prominente Gast fürs Stadtmarketing willkommen ist, trifft sie auf eine prominente Kulturjournalistin, die sie penetrant auf autobiografische Bezüge in ihrem Buch anspricht. Eine schwierige Situation für die Autorin – die sich dem Literaturbetrieb eigentlich verweigert.
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