Dramatische Verschlechterung der Lage in Syrien

Wissam Tarif im Gespräch mit Christopher Ricke · 04.05.2011
Die Situation der syrischen Opposition spitzt sich nach Angaben des Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation "Insan", Wissam Tarif, dramatisch zu. Es gebe eine Welle von willkürlichen Verhaftungen. Alle Kommunikationsnetze würden massiv gestört.
Seit Donnerstag habe sich die Lage in Städten wie Daraa, aber auch in den Vororten von Damaskus deutlich verschlechtert, sagte Tarif. Es gebe eine Welle von willkürlichen Verhaftungen, die nicht nur von der Polizei, sondern auch von der Armee durchgeführt würden. Von den wenigen, die wieder frei gelassen wurden, wisse man, dass es massive Formen von Folter gegeben habe. Außerdem bestehe im Land inzwischen ein umfassendes Kommunikationsproblem: "Alle Handynetze, aber auch die Festnetze werden massiv gestört und manipuliert." Es sei daher nicht mehr möglich, Kontaktpersonen in Syrien zu erreichen.

Über das Angebot der syrischen Führung, wonach jeder der sich innerhalb der nächsten Tage stellt, straffrei bleiben solle, sagte Tarif: "Präsident Assad hat seit elf Jahren Versprechungen gemacht, die er nicht gehalten hat und insofern kann man ihm auf keinen Fall vertrauen." Die Signale, die das Regime derzeit aussende, gingen eindeutig in Richtung Brutalität und Einschüchterung der Bevölkerung. Tarif:

"Wie kann man eine Amnestie überhaupt verhängen, wenn diese ganzen Verhaftungen eigentlich illegal sind? Wir haben offiziell keinen Kriegszustand in Syrien, der ist niemals verhängt worden. Insofern macht das auch überhaupt keinen Sinn von einem legalen Standpunkt aus betrachtet."

Gleichzeitig kritisierte Tarif das Verhalten der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem syrischen Regime. "Hillary Clinton hat ihn vor einigen Wochen noch als Reformer bezeichnet." Auch sei es nicht gelungen, eine Resolution im UN-Sicherheitsrat durchzubringen, die Syrien verurteilt. "Das alles führt dazu, dass die Syrer sehr enttäuscht sind, was diese weiche und schwammige Reaktion der internationalen Gemeinschaft angeht."

Die Syrer wollten nicht, dass eine ausländische Macht ihnen hilft oder sogar militärisch interveniert. Vielmehr wünschten sie sich, dass internationales Recht angewandt wird. "Es gibt ja Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die könnte man hier verfolgen. Doch es werden einfach nicht die Signale ausgesendet, die man aussenden könnte."

Gespräch mit Wissam Tarif als MP3-Audio