Dramatische Zukunft

Von Susanne Burkhardt |
Junge deutschsprachige Bühnenautoren sind seit Jahren gefragt - und werden für ihre Werke zugleich heftig kritisiert. Zu unausgegoren und platt sei vieles, was geschrieben wird. In Berlin fanden sich mehr als 100 Autoren, Dramaturgen und Regisseure zusammen, um an sich selbst zu feilen.
Nachhaltigkeit - dieses Wort wird derzeit so inflationär verwendet, dass einige schon von einem Unwort sprechen. Jetzt hat die Nachhaltigkeitsdebatte, die wir bislang in Umwelt- und Politikzusammenhängen wahrnehmen, auch das Theater erreicht. Zuviel Förderung für junge Autoren - im Ergebnis zu wenig nachhaltige Stücke, so lässt sich die Ausgangsthese des zweitätigen Symposiums im Berliner Haus der Festspiele auf den Punkt bringen. Bevor man darüber diskutieren konnte, warum das so ist, musste man erstmal klären, ob es wirklich so ist. Franz Wille beispielsweise, Theaterkritiker der Zeitschrift "Theater Heute", sieht kein Problem im bestehenden Fördersystem:

"Ich glaube nicht, dass wir es in Sachen zeitgenössischer Dramatik mit einem Schleudergang zu tun haben, wir haben es mit einem ordentlichen Schonprogramm zu tun - mit vielen Förderungen und in der Folge der Förderungen mit einem überschaubaren Zuwachs an dramatischen Texten zu tun."

557 Uraufführungen zählt die Statistik für die vergangene Spielzeit - fast doppelt so viel wie noch vor knapp 10 Jahren. Doch die Zahl täuscht, geht es um die tatsächliche Anzahl von neuen Stücken. Schließlich werden zu den 557 Uraufführungen auch Adaptionen von Romanen oder Filmen sowie Theaterprojekte gelistet. Der Uraufführungswahn des überhitzten Theaterbetriebs führt dazu, dass immer schneller neue Stücke gebraucht werden. Die prasseln dann oft unfertig und schwach in die Häuser und auf die Bühne.

"Das neue Stück ist die DIVA – bei der Duse kam's auch nicht drauf an was sie spielte, sondern dass sie spielte - und so eine Rolle spielt das neue Stück bei den Theatern."

Die Sucht der Theater nach Aufmerksamkeit ist das akute Dilemma der Autoren. Der Dramatiker Moritz Rinke brachte das in einem fiktiven, aber sehr realistischen Dialog auf den Punkt:

"Hätten Sie Lust etwas neues für uns zu schreiben? […] Nicht überbewerten, das Thema…"

Sehr offen, selbstkritisch und erstaunlich frei von Frontenbildung diskutierten Autoren, Dramaturgen, Intendanten und Regisseure darüber, wie die Situation von Autoren verändert werden könnte und müsste. Die Schweizer Dramatikerin Maxi Obexer beschrieb, wie schwierig es sei, als freie Autorin zu existieren, vor allem dann, wenn man beim Schreiben unter Zeitdruck gerät, wenn es also passiert…

"…dass dann Stückaufträge reinkommen - heute von diesem Theater zum Thema Krise, dann zum Thema Organspende oder Altersvorsorge - das ist dem Hinfinden zum eigenen Schreiben auch nicht förderlich."

Zu wenig Zeit, zu wenig Kontinuität, One-Night-Stands statt langfristiger Arbeitsbeziehungen - schnell wurde in der zweitägigen Diskussion klar, woran es krankt. Eine Lösung schien da das Modell des Hausautors zu bieten. Festangestellt an einem Theater, mit viel Zeit und Raum und finanzieller Sicherheit ausgestattet. Es durfte geträumt werden. Schließlich hieß einer der drei Workshops "Wunschtraum Autor". Der Hausautor als Lösung aller Sorgen - am besten gleich drei pro Theater - aus diesem Luxus-Traum erweckte dann glücklicherweise der Intendant des Staatstheater Kassel, Thomas Bockelmann, die anwesenden Optimisten:

"Es soll schon der eine oder andere gute Text entstanden sein in der Weltliteratur ohne Hausautorenschaft - und ich glaube nicht, dass wir mit 50 Hausautoren dann automatisch drei Georg Büchners kriegen. Ich glaube, dass gute Texte auch dadurch entstehen, dass jemand in sich die Notwendigkeit hat, über etwas zu schreiben."

Dass neue Dramatik nicht länger mit junger Dramatik verwechselt werde soll, darüber waren sich fast alle einig. Auch darüber, dass der Jugendwahn im Fördersystem aufhören müsse. Altersgrenzen sollten aufgehoben werden - schließlich wolle man als 40-jähriger Autor nicht mehr gefördert werden, sondern einfach nur arbeiten. Stückaufträge könnten hier hilfreich sein. Doch wie sich der Ruf nach mehr Zeit für ein Miteinander von Autoren und Dramaturgen in Zeiten einer 30 Prozent höheren Arbeitsbelastung in den Theatern realistisch umsetzen lassen kann - diese Antwort blieben die Anwesenden schuldig. Auch in der Diskussion um die Qualität der Texte blieb einiges offen.

Martin Heckmanns, erfolgreicher Autor und gleichzeitig Dramaturg am Dresdner Staatsschauspiel, nahm die jungen Autoren gegen Vorwürfe, ihre Themen seien oft nicht geeignet für die große Bühne, in Schutz:

"Es gibt in der Generation davor - jetzt bei den 35- bis 40-Jährigen mit Schimmelpfennig, Bärfuss, Dea Loher - gibt’s ja Autoren, die auf den großen Bühnen gespielt werden, deren Stücke eventuell auch die Zeit überleben. Insofern hoffe ich, dass das für die 25-Jährigen irgendwann auch mal zu sagen ist."

Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Symposiums, sieht dagegen durchaus einen Mangel an außergewöhnlichen Autoren:

"Ich finde, es gibt wenig gute, die sich durchsetzen, es gibt viele mittelmäßige und viele, die schnell gehyped werden und dann wieder fallen gelassen werden."

Auch Thomas Bockelmann vom Staattheater Kassel vermisst wirklich große zeitgenössische Stücke:

"Wir haben im Moment auch das Problem, dass junge Leute für Studios kleine Stücke schreiben, die dann von jungen Regieassistenten inszeniert werden - das heißt, wir haben manchmal nicht viel Welthaltigkeit, wir haben Beziehungsprobleme, Nabelschau, Inzest - wenn ich mir anschaue, wenn ich einfach mal rekapituliere, wenn ich mir die 30 letzten Stücke anschaue, die ich gelesen habe…"

Was tun? Statt Debatten um untaugliche Begriffe wie Welthaltigkeit weiterzuführen, wurden ein paar originelle Vorschläge zur Förderung der zeitgenössischen Dramatik offeriert: Darunter eine "Klassikerabgabe" für Neue Stücke oder Film-Trailer, in denen vor jeder Theateraufführung ein neues Stück beworben wird. Dass all diese durchaus wichtigen Diskussionen natürlich auf einer Luxusebene stattfanden, daran erinnerte, die Harmonie etwas störend, der Schweizer Journalist Tobi Müller:

"Wenn sich Theater ranschmeißt an die Welt - das können andere viel besser. Theater muss über Produktionsbedingungen nachdenken, als Tanker, der langsam untergeht."

Wer weiß - vielleicht inspiriert diese düstere Vision eines sinkenden Theaterdampfers einen der anwesenden Autoren zu einem neuen Stück. Natürlich nachhaltig, weltläufig und frei von jeder Nabelschau.