Neuübersetzung von „I Have a Dream“
Im August 1963 hielt Martin Luther King seine berühmt gewordene Rede in Washington. Die neu erschienene Übersetzung setzt auf eine zeitgemäße Sprache. © picture alliance / United Archives
Weltberühmte Rede in moderner Sprache
10:15 Minuten
Unter dem Titel „I Have a Dream – Ich habe einen Traum“ ist die Rede des US-Bürgerrechtlers Martin Luther King von 1963 neu auf Deutsch erschienen. Es sei darum gegangen, rassismus- und gendersensibel zu formulieren, sagt Lektorin Marion Kraft.
In der berühmten Rede „I have a dream“ schildert Martin Luther King, seinen Traum von Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zwischen der afroamerikanischen und der weißen Bevölkerung in den USA. Am 28. August 1963 hielt er sie vor dem Lincoln Memorial in Washington vor mehr als 200.000 Menschen – ein einzigartiger historischer Moment. Die Worte des afroamerikanischen Baptistenpastors und Bürgerrechtlers wurden nicht nur in den gesamten USA, sondern auch in Europa übertragen. Bis heute gilt die Rede als eine der wichtigsten aller Zeiten.
Der Traum, von dem Martin Luther King darin gesprochen hat, ist bis heute nur zum Teil Wirklichkeit geworden. Rassismus und Diskriminierung gehören für Schwarze noch immer zum Alltag.
Nun ist diese Rede in neuer Übersetzung und zum ersten Mal in einer zweisprachigen Ausgabe erschienen, mit einem Vorwort der jungen Poetin Amanda Gorman, die bei der Amtseinführung von US-Präsident Biden mit dem Vortrag ihres Gedichts "The Hill We Climb" berühmt wurde. Lektoriert hat die Neuübersetzung die Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Autorin Marion Kraft.
"Negro" nicht mit "N-Wort" übersetzt
Beim Lektorat sei wichtig gewesen, so Kraft, „die Rede, dem heutigen deutschen Sprachgebrauch anzupassen, selbst diskriminierungsfrei zu formulieren und Begriffe, die veraltet sind in den letzten 60 Jahren, nicht zu verwenden oder zu wiederholen.“ Der Inhalt sollte nicht konterkariert werden durch einen Sprachgebrauch, der das, was King kritisiert, möglicherweise wiederhole. „Wir haben zum Beispiel, ich glaube zum ersten Mal in dieser Rede, das Wort ‚Negro‘, das ja eine ganz andere Konnotation im Englischen hat als im Deutschen, nicht mit dem deutschen ‚N-Wort‘ übersetzt, sondern mit dem, was eigentlich gemeint ist in der Regel, nämlich mit ‚schwarz‘ oder ‚Schwarze‘.“
Außerdem sei es etwa darum gegangen, wo möglich, eine genderbewusste Sprache zu wählen. So wurde beispielsweise aus „many of our white brothers” auf Deutsch “viele Weiße“. Geht da nicht ein zentraler Aspekt von Martin Luther Kings Versöhnungsidee verloren, denn er spricht ja von Weißen als Brüder? Den möglichen Eindruck, es handle sich um eine Interpretation des Textes, weißt Kraft zurück.
Formal sieht der Text von Kings Rede in der Neuausgabe aus wie ein Gedicht und ist im Buch im Rederhythmus gesetzt: Es sind immer nur wenige Wörter auf einer Seite. Diese Form sei eine gute Idee, sagt Kraft. Denn der Text sei „zumindest formal ein Gedicht“. Er sei nicht nur politisch, sondern auch sehr poetisch. „Deswegen bewegt er einen ja auch so.“ Auch Amanda Gorman hebt in ihrem Vorwort die poetische und rhetorische Kraft Kings hervor.
Traurige Aktualität der Rede
Aus heutiger Sicht sei erschütternd, dass ein großer Teil dessen, was Martin Luther King in seiner berühmten Rede angesprochen hat, noch sehr aktuell sei, gibt Marion Kraft zu bedenken. Der Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt im Mai 2020 – der zu starken Protesten der Black-Lives-Matter-Bewegung führte – sei lediglich die Spitze des Eisbergs. Zu Polizeigewalt und Diskriminierung, von denen Schwarze in den USA noch immer sehr stark betroffen seien, komme auch deren sehr häufig noch immer problematische soziale Situation.
Dennoch habe die Bürgerrechtsbewegung der USA, zu der auch Martin Luther King gehörte, auch Veränderungen bewirkt. Vor allem sei 1963 der politische Zusammenschluss der schwarzen Community stärker geworden. Außerdem seien weitere politische Bewegungen daraus entstanden. Und sehr wichtig: Es sei zum ersten Mal eine breite Solidarität entstanden; auch andere Gruppen, vor allem auch weiße Menschen in den USA, hätten sich „mit der Sache des Antirassismus solidarisiert“.