Den Dingen ohne Vorurteil begegnen
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Von Berlin-Adlershof aus hat Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase das Kino geprägt: mit lebensnahen Dialogen und liebenswerten Figuren. Konzepte haben ihn nie interessiert. Er wollte der Wirklichkeit den Stoff entreißen.
So viele Drehbuchautoren, denen der Bundespräsident zum Geburtstag gratuliert, gibt es in Deutschland nicht. Wolfgang Kohlhaase ist einer von ihnen.
"Filme wie 'Solo Sunny', 'Die Stille nach dem Schuss' oder 'In Zeiten des abnehmenden Lichts' haben unsere Sicht auf die Welt und das Kino nachdrücklich geprägt", schreibt Frank-Walter Steinmeier zum 90. Geburtstag des Drehbuchautors, Regisseurs und Schriftstellers.
Geprägt hat Kohlhaase das Kino der DDR und das des wiedervereinigten Deutschlands. Dabei hat er mit Regisseuren wie Konrad Wolf, Volker Schlöndorff und Andreas Dresen zusammengearbeitet.
Kohlhaase habe immer eine "Synthese zwischen Lebenswirklichkeit, Wahrhaftigkeit und der Umformung im Kino" geschaffen, sagt der Filmhistoriker Günter Agde. Die Geschichte des Drehbuchautors ist eng mit der Geschichte der Stadt Berlin verbunden: "Er ist in Adlershof, also ein bisschen am Rande von Berlin, groß geworden und hat eigentlich diese Gegend nie verlassen."
Nicht nur Dialoge, auch großartige Figuren
Berlin sei für Kohlhaase nicht nur ein Ort, sondern eine Lebenshaltung. Das lässt sich auch an den Dialogen spüren, die er geschrieben hat: "Da ist viel Berliner Witz drin, die Berliner Art zu sprechen, zu verkürzen, zu kommentieren", so Agde.
Wobei es unfair sei, den Autor nur auf die Dialoge zu reduzieren. Er habe auch großartige Figuren erfunden: "Das ist das Einmalige in der Arbeit von Kohlhaase", sagt der Filmwissenschaftler, der mit ihm zusammen das Buch "Um die Ecke in die Welt – Über Filme und Freunde" geschrieben hat.
Neu an den früheren Werken von Kohlhaase wie "Berlin – Ecke Schönhauser" war, dass nicht im Studio oder auf dem Freigelände in Babelsberg gedreht wurde. Das Motto war: "Raus aus den Ateliers, keine gebaute Kulisse, sondern das Leben vor Ort drehen", sagt Agde.
Auch in der Filmsprache sieht der Filmhistoriker Parallelen zum italienischen Neorealismus: "Keine gelackten Bilder, sondern eine Art Grobkörnigkeit."
In der Wirklichkeit den Stoff entdecken
Trotz dieser Grobkörnigkeit bleibe sein Blick immer zärtlich, betont Agde: "Er mag alle seine Figuren, auch die kleinste. Sonst könnte er sie nicht mit dieser großen Wahrhaftigkeit gestalten."
Kohlhaase selbst hat das einmal so ausgedrückt: "Ich glaube, mit den Dingen erzählt man, indem man ihnen ohne Vorurteil begegnet. Indem man sich nicht für ein Konzept, das man hat, die Wirklichkeit sucht, sondern indem man für möglich hält, dass man in der Wirklichkeit den Stoff entdeckt."
(beb)