Der Antiquar mit der Spürnase
Neue Geschichten zwischen alten Büchern: Seit Jahren stellt Michael Solder seine Buchhandlung für die Dreharbeiten des ZDF-Krimis "Wilsberg" zur Verfügung. So wurde das Antiquariat in Münster zu einem Kultort.
Die kleine Straße in der Innenstadt von Münster wird immer wieder gesperrt. Das Produktionsteam ruft sich gegenseitig Kommandos zu. Schauspieler sind in Hab-Acht-Stellung. Zuschauer stehen hinter den Absperrungen. Unter ihnen ist Michael Solder, Chef des gleichnamigen Antiquariats. Doch, heute ist er nicht mehr Herr im eigenen Haus. Diesmal haben die Leute vom Film die Straße und die Räume des Buchladens in Beschlag genommen. Fünf Tage lang wird hier gedreht. Für Michael Solder immer wieder ein Erlebnis. Er hatte spontan ja gesagt, als im Jahr 1995 zum ersten Mal angefragt wurde, ob man bei ihm im Antiquariat für`s Fernsehen drehen dürfe. Vielleicht ein bisschen zu spontan.
"Dann stand ich also morgens um halb sieben, weil die ja immer sehr früh kommen zum Beleuchten im Laden, und sah dann auf einmal vier Siebeneinhalbtonner vor der Tür parken mit den dunkel gekleideten Beleuchtern, die als erstes kommen. Da habe ich den Schlüssel schnell noch einmal umgedreht und gesagt: Um Himmels Willen, das kann jetzt nicht sein, wenn die jetzt mit 40, 50 Leuten hier einfallen."
Michael Solder ist ein echter Westfale. Eher abwartend, zurückhaltend, ruhig. Einstellungen, die ihm als Antiquar durchaus helfen. Die aber mit der Hektik einer Film-Crew zuweilen schwierig zu vereinbaren sind. Nach gut 13 Jahren hat sich Michael Solder aber doch daran gewöhnt. Ein paar Mal im Jahr macht er sein Antiquariat für die Dreharbeiten dicht. Warum aber wurde ausgerechnet sein Laden ausgewählt? Klaus Rettig von der Produktionsfirma Eyeworks erinnert sich, dass dafür der Autor der Roman-Vorlage von Wilsberg den Impuls gegeben hat.
"Jürgen Kehrer kommt ja aus Münster – das spielte immer schon in Münster. Dieser Hintergrund eben für diesen Privatdetektiv, ein Antiquar, ein Buchantiquar zu sein, ist natürlich sehr attraktiv in einer alten, mit großem historischen Hintergrund, einer Stadt wie Münster, dort so ein kleines Antiquariat anzusiedeln, aber dann auch zu finden, weil wir haben es ja original gefunden. Das Antiquariat von Herrn Solder."
Alt, historisch und doch modern, sogar im Fernsehen. Bei aller Zurückhaltung ist Michael Solder ziemlich froh, dass die ganze Republik sein Antiquariat irgendwie schon mal gesehen hat. Als gemütliche Kulisse für den sympathischen Privatermittler Wilsberg, der mit Witz und Charme knifflige Kriminalfälle löst.
"Ja, also ich merke das schon, dass das ohne Übertreibung das bekannteste Antiquariat in Deutschland ist. Das ist immer gut, wenn so ein Laden bekannt ist. Allerdings hat es natürlich auch so gewisse Nachteile, weil es im Grunde nur über den Film bekannt ist."
Bevor die Dreh-Teams für die Wilsberg-Serie anfangen können, müssen sie erst einmal das Antiquariat umbenennen. Es heißt dann nicht mehr Solder, sondern eben Wilsberg. Ein schweres Holzschild wird von den Technikern angebracht. Für abendliche Drehs wird auch eine Beleuchtung installiert, die es sonst nicht gibt. Michael Solder muss eben sparen. Zwar bekommt er ein bisschen Miete für die Dreharbeiten. Aber dafür muss er auch mehrere Tage im Jahr auf Kunden verzichten, wenn sich die Fernsehmenschen in seinen Räumen tummeln. Hin und wieder werden aber auch genau diese ungewöhnlichen Gäste zu Kunden.
"Es gibt einen vom Ton zum Beispiel, der regelmäßig, weil er sehr begeisterter Reiser ist, Reiseführer bei mir kauft. Dem lege ich schon immer so einen Stapel da hin. Der ist also viel in der Welt unterwegs. Die Paule Kling ist Reiterin, die sucht immer was zum Reiten. Es gibt so in jedem Bereich was. Da ist nicht jeder gleich stark ausgeprägt."
Fragen wir doch mal den Produktionsleiter. Klaus Rettig sitzt sonst eher am Schreibtisch, als dass er sich am Set eines Drehs herumtreibt. Manchmal schaut er aber auch vor Ort bei den Dreharbeiten vorbei. Zum Beispiel im Antiquariat Solder oder Wilsberg:
"Wenn es dann mal die Möglichkeit gibt, dann stöbere ich ein bisschen. Das tun sicherlich auch andere Teammitglieder, ja."
Antiquar seit zwei Jahrzehnten
So manches hat Klaus Rettig hier schon gefunden. Inmitten tausender Bücher, die zum Lesen und Kaufen einladen. Einen Doppelband beispielsweise, für den er gerne fast 200 Euro hingeblättert hat. Eine Erinnerung an die eigene Jugend. Eine Mischung aus Roman und Reisebericht des schwedischen Autors Sven Hedin.
"Das war so für mich, also als ich Junge war, war das so ein Held, der da durch Asien streifte, und ich fand das alles sehr spannend. Und jetzt finde ich dieses Buch nach Jahrzehnten hier, mit wunderbaren Zeichnungen und Karten. Das ist eben, was so ein Antiquariat ausmacht für mich, das ist wie eine Erleuchtung. Da werden Dinge auf einmal wieder hervorgebracht, die verschüttet sind oder an die man lange nicht mehr gedacht hat. Das macht für mich den Reiz aus. Eben dieses Suchen, Finden, auch vollkommen neue Dinge finden. Wie gesagt, wenn man Bücher liebt. Und das ist in meinem Fall absolut gegeben."
Drehpause am Set. Die anderen sind Mittagessen. Wilsberg persönlich, also der Schauspieler Leonhard Lansink, nimmt sich ein paar Minuten Zeit. Diesmal für die neugierigen Fragen des Reporters. Sonst hat er hier inmitten all der Bücher anderes zu tun.
"Drehen besteht ja zum großen Teil aus Warten. In Wirklichkeit hat man sehr viel Zeit. Wenn man sich nicht gerade konzentrieren muss. Aber man hat schon sehr viel Zeit und kann hier durch die Regale stöbern. Ich ziehe auch gerne mal eins raus, staube das dann ab, setze meine Lesebrille auf, die wichtig ist in meinem Alter, inzwischen. Also ohne geht es nicht mehr. Dann kämpfe ich mich durch die schönen Buchrücken, die hier stehen."
Wenn der gemütlich wirkende Westfale da so gespannt auf die deckenhohen, prall gefüllten Bücherwände schaut, fällt ihm immer wieder Literatur über seine Heimat auf. Davon hat er schon das eine oder andere Werk gekauft. Aber auch die Belletristik hat es ihm angetan:
"Ja, ich kann mich erinnern, Till Eulenspiegel, meinen Lieblingsroman aus diesem Laden von Charles De Costa, so ein Belgier, der die Geschichte Till Eulenspiegels im 30jährigen Krieg verlegt hat. Super Buch, kann ich nur jedem empfehlen."
Leonhard Lansink ist belesen, und er ist irgendwie auch glücklich, seine Wartezeiten beim Dreh in einem Antiquariat verbringen zu dürfen. Dabei sollte die Serie ursprünglich in einer Münz- und Briefmarkenhandlung spielen. Dass man lieber in das Antiquariat Solder umgezogen ist und es kurzerhand zum Antiquariat Wilsberg gemacht hat, war nach eigenem Bekunden die Idee des Hauptdarstellers, des Fernseh-Profis eben:
"Rein gefühlsmäßig ist das prima, weil es noch mehr die gesellschaftliche Verzweiflung zeigt, in der er steckt, weil kein Mensch kauft Briefmarken und alte Münzen. Aber wir haben gedacht, erstens ist das scheiße zu zeigen, so Münzen und Briefmarken sind ja alle so klein. Dann fiel mir ein: Antiquar ist doch super, weil das ist so gebildet. Man vermutet, der hat die auch alle gelesen, die Bücher, vor denen er zu sehen ist. Das macht ihn dann auf einmal sehr schlau."
Kein Ramsch, nur gehobene Literatur
Und was denkt Leonhard Lansink über Michael Solder? Den Antiquar, für den der Job zwischen den Büchern eben nicht die willkommene Kulisse ist, sondern das wahre Leben?
"Ja, das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich ist das ein Buchhändler, der aber mit den Neuerscheinungen nicht mehr zurechtkommt. Ich glaube, der hat viel Zeit im Internet zu surfen. Weil, die meisten Antiquare, glaube ich, machen ihre Geschäfte inzwischen online."
Aber fragen wir ihn doch selbst: Den Mann, der in Münster inzwischen seit 20 Jahren davon lebt, dass er alte Bücher kauft und verkauft. Michael Solder hat in Münster Geisteswissenschaften studiert. Im Antiquariat seines Vorgängers hat er sich dafür durch historische Bücher gewühlt. Kurz vor dem Examen wurde der Inhaber krank, und dann machte er ihm ein Angebot, das Solder nicht ablehnen wollte.
"Dann hat er gesagt: Du musst dich entscheiden. Wenn du den Laden übernehmen willst, jetzt oder nie! Dann habe ich überlegt, und nach langem Hin und Her habe ich dann gesagt: Ja, ich mache das. Weil, mit Philosophie als Hauptfach war jetzt der Arbeitsmarkt auch nicht so rosig. Dann habe ich halt vormittags oben drüber eine kleine Wohnung gehabt und da die Arbeit geschrieben, und nachmittags bin ich in den Laden gegangen. Eine aufregende Zeit."
Und: Aufregend findet er seinen Job auch heute noch. Sein tägliches Leben an einem alten, hölzernen Schreibtisch, wartend auf Kunden, die mal mehr, mal weniger zufällig in sein Antiquariat kommen. Die fachsimpeln möchten über außergewöhnliche Werke. Die den Wert ungewöhnlicher Bücher zu schätzen wissen.
"Ich arbeite mit Büchern zusammen, von denen ich immer geträumt habe. Das sind alte Drucke, angefangen aus dem 16. Jahrhundert in der Philosophie, was auch mein Fach war. Das ist traumhaft, die Sachen in den Händen zu haben und die in die ganze Welt zu verschicken, an alle Bibliotheken und Museen, das ist eine tolle Sache. Zu wissen, dass Library Of Congress, dass da Bücher aus meinem Laden stehen, das ist toll. Da habe ich sehr viel Spaß dran."
Bei Michael Solder gibt es so gut wie keine einfachen Taschenbücher. Er hat sich spezialisiert auf gehobene Literatur. Wenn er Bücher aufkauft, ist erst einmal sortieren angesagt. Wenn gerade keine Kunden im Laden sind oder keine Dreharbeiten stattfinden, sitzt Solder viel am Computer. Den Schreibtisch voll gepackt mit Büchern, nimmt er sich für jedes ein paar Minuten Zeit.
"Ich schaue rein und überlege einfach, ob ich aufgrund meiner Erfahrung, was so im Laden passiert, was im Internet passiert, irgendwie einen Markt dafür sehe. Das ist entweder so, dass das was Dekorativeres ist, was ich dann direkt im Laden oder auf Messen verkaufen kann, oder halt wissenschaftliche Titel."
Das Antiquariat ist also nur seine Schalt-Zentrale. Viel spielt sich auf brancheninternen Veranstaltungen ab. Und natürlich im Internet. Manchmal fühlt sich Michael Solder dabei schon ein bisschen wie Wilsberg. Dann hat auch er knifflige Fälle zu lösen. Geht mit nahezu kriminalistischer Neugier auf die Suche nach der Geschichte eines Werkes. Zum Beispiel bei einem Buch von Goethe, das einen handschriftlichen Eintrag hatte.
"Es hat sich herausgestellt, dass das jemand aus dem Goethe-Freundeskreis war, der also eine Widmung an seine Frau darauf geschrieben hat, die auch mit Goethe irgendwie verbandelt war. Das Buch stand ein Jahr, und ich habe es nicht bearbeitet, mir immer wieder vorgenommen, und mich dann dran gesetzt für einen Katalog. Das ist dann spannend, wenn man solche Sachen raus findet. Das dauert dann auch mal eine Woche."
Wenn die Siebeneinhalbtonner mal wieder in der Straße stehen, die Autofahrer manchmal minutenlang warten müssen, darf Michael Solder höchstens in den Drehpausen in sein Antiquariat, das gleichzeitig sein Büro ist. Dann steht er manchmal draußen vor der Tür und schaut sich das bunte Treiben an. Mit ihm warten stets Dutzende Schaulustige darauf, dass wieder etwas passiert. Dass die Schauspieler auftauchen und ihre Texte aufsagen. Die Texte, die erst Monate später im Fernsehen zu sehen sind. Deshalb darf man sie auch nicht mitschneiden. Fotografieren darf man nur ohne Blitz. Und vor allem nicht ins Bild laufen. Das alles kontrollieren die Mitarbeiter der Produktionsfirma Eyeworks um Klaus Rettig.
"Ja, wir haben eine Menge Zuschauer hier. Dem Wilsberg sehr gewogene Zuschauer, muss man wirklich sagen. Überhaupt die Stadt Münster: Hier in Münster zu drehen, ist wirklich eine Freude."
In Münster weiß eigentlich jeder, was hier gespielt wird, wenn die Menschen vom Fernsehen rund um das Antiquariat beschäftigt sind.
"Ja, eigentlich immer, wenn ich hier vorbei laufe, bleibe ich eigentlich immer stehen und gucke mal. So Dreharbeiten zuzugucken, ist schon echt interessant. Und man kann echt lange stehen bleiben und zugucken. Ja, ich finde es ganz gut."
Die junge Münsteranerin wohnt direkt um die Ecke, war aber noch nicht im Antiquariat Solder. Neben ihr reihen sich aber auch Neugierige ein, die nicht aus Münster kommen, sondern eine längere Anreise hatten. Beispielsweise dieser Mann aus Osnabrück.
"Das ist jetzt ein Zufall. Wir sind jetzt hier aufgetaucht, um ein paar Buchhandlungen abzuklappern, Antiquariate. Ich hoffe, wir kommen noch dazu. Ich weiß ja nicht, wie lange das dauert."
Lange dauert es, und nein: Zum Stöbern wird dieser Mann nicht mehr kommen. Vier Tage bleibt das Antiquariat bleibt für die Dreharbeiten noch geschlossen. So schlimm findet es der Tourist aus Osnabrück aber nun auch wieder nicht. Er interessiert sich zwar besonders für Sachbücher aus dem Bereich der Naturwissenschaft, die Solder durchaus zu bieten hat. Aber irgendwie sei dieses Antiquariat nicht nur wegen der Fernsehaufnahmen außergewöhnlich.
"Es ist was Besonderes, weil es besonders teuer ist. Da habe ich noch nie was gekauft, muss ich ehrlich zugeben. Aber es ist schön, mal zu stöbern."
Ein paar Meter weiter steht ein Mann schon seit längerer Zeit. Er verfolgt aufmerksam die Dreharbeiten. Im Gespräch erzählt er, dass er aus Gütersloh kommt. Das Antiquariat Solder hat er vor vielen Jahren schon einmal entdeckt.
"Ich suchte speziell ein Werk über Westpreußen. Weil mich das interessiert. Mein Vater stammt aus der Region. Deswegen habe ich da mal nachgeschaut."
Der wahre Grund für seinen Besuch ist aber nicht alleine die Besichtigung der Dreharbeiten. Die Tochter des Mannes arbeitet im Produktionsteam, er will einfach mal schauen, wie sie ihren Job so macht. Aber das Antiquariat als Drehort hält er auch für spannend.
"Och, das Ambiente finde ich sehr gemütlich, muss ich sagen. Das ist so richtig wie ein kleines Wohnzimmer. Wie bei Leuten, die ihre Bücher sammeln und nicht weg geben. Ich finde es eigentlich sehr niedlich, dieses Antiquariat Solder."
Als er vor Jahren ein Buch über Westpreußen suchte, wurde er in Münster zwar nicht fündig. Aber er lernte den "echten" Hausherrn wenigstens persönlich kennen.
"Ich hatte jemand gesprochen, ob es Herr Solder war, weiß ich nicht mehr genau. Aber ich denke, dass es sich um den Besitzer handelte. Er war sehr hilfsbereit. War ja dieses eine Mal, wo ich drin war. Da hat er mich gut beraten. Ja, muss ich sagen."
Während der Dreharbeiten steht "Wilsberg" an dem Laden
Der Mann aus Osnabrück wird in dieser Wilsberg-Folge auch einen kleinen Auftritt haben. Damit sich seine Wartezeit auch lohnt, wurde er als Statist eingeplant. Darf also seiner Tochter ganz nah über die Schulter schauen, wenn er für den Film mit dem Fahrrad durch`s Bild fährt. Darf mit Michael Solder plaudern. Und natürlich warten. Wie das bei Dreharbeiten eben üblich ist.
"Es werden ja mehrere Szenen gedreht, manche werden wiederholt. Wegen der Einstellung. Wir sind hier den ganzen Tag tätig."
Unter die Schaulustigen hat sich auch wieder Michael Solder gemischt. Mit skeptischem Blick registriert er, was die Leute vom Fernsehen aus seinem Antiquariat machen.
"Ich frage mich gerade, was eigentlich dieses Segelboot da im Fenster zu suchen hat. Das steht irgendwie seit einer der ersten Folgen dort. Ich habe mich immer gefragt, was soll so ein Segelboot eigentlich im Schaufenster? Nein, das ist so ein bisschen interessant und ich gucke immer bei den Wühlkisten, die draußen stehen, dass nicht zufällig ein Buch von drinnen da draußen landet und ein Glücklicher dann ein Buch raus fischt, das dafür nicht vorgesehen war."
Im Prinzip bleibt in dem kleinen Bücherladen aber immer alles so, wie es vorher war. Nur ganz vereinzelt wird die Dekokration fernsehgerecht verändert, erklärt Produktionsleiter Klaus Rettig.
"Manchmal ging es um die Auslage oder so, die wurde so ein bisschen neu arrangiert. Aber im Wesentlichen sind das natürlich die Bücher. Wir haben keine neuen Bücher rein gebracht und haben nichts Neues präsentiert. Nein, das ist schon das, was er da hat."
Michael Solder hat da eine etwas andere Einschätzung. Die Welt der Fernsehproduktion und die des Antiquars liegen manchmal eben doch ziemlich weit auseinander. Mit umfangreichen Folgen.
"Ich hatte mal so einen sehr sensiblen Regisseur. Der hat gesagt: Alles was weiß ist, muss raus. Dann haben die halt alle weißen Bücher raus genommen oder was in die Richtung ging, weil es halt sehr stark reflektiert. Das war eine Herausforderung, weil die alle in einen Karton kamen, und dann hatte ich also aus 30, 40 Sachgebieten die weißen Bücher und durfte dann einen Tag lang wieder zurück sortieren. Aber das ist kein Problem."
Und überhaupt ist das, was man im Fernsehen sieht, oft nur die halbe Wahrheit. Zum Beispiel, wenn Wilsberg mit seinem Team durch eine Tür im Antiquariat schreitet und plötzlich in seiner geräumigen Wohnung steht. So sehr man in Münster danach sucht, man wird diese Räume nicht finden. Es gibt sie nämlich gar nicht. Diese Szenen werden in einem Studio in Köln gedreht, weit weg von Münster, eben nicht bei Michael Solder.
" Ja. Das wäre schön, wenn eine große Wohnung da wäre. Das ist in Wahrheit in so einer Fabrikhalle eingerichtet. Da ist eine winzige Küche dahinter. Da passt keine Maus mehr rein, gerade wenn wir alles umgeräumt haben, von vorne nach hinten."
Im geschnittenen Film machen Solders Bücher nur noch wenige Sekunden aus. Im Mittelpunkt stehen die Szenen rund um Wilsberg. Das Antiquariat in Münster bleibt Kulisse. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Das weiß auch der Münsteraner Jürgen Kehrer, der die Romanvorlagen für die Krimiserie geschrieben hat. Er freut sich immer, beim Dreh – und damit bei Michael Solder – mal vorbei zu kommen.
"Münster ist ja, obwohl eine Großstadt, doch irgendwo ein Dorf, und man läuft sich da immer über den Weg. Wir verstehen uns immer gut. Ein bisschen schade finde ich, dass er immer noch nicht meine Bücher verkauft. Sie sind immer noch nicht antiquarisch."
Dass nicht eine Münz- und Briefmarkenhandlung, wie von Jürgen Kehrer zunächst beschrieben, im Mittelpunkt der Handlungen in den verfilmten Wilsberg-Krimis steht, ärgert den Autor nicht. Ein Antiquariat sei eine würdige und faszinierende Kulisse.
"Also, an jedem Buch hier, da hat jemand ein Jahr, vielleicht sogar zwei, dran gearbeitet. Diese Bücher sind über Jahre, Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte aufbewahrt worden. Viele haben die in den Händen gehabt. Es ist schon ein besonderes Gefühl, in so einer Bibliothek zu sein mit lauter alten Büchern. Man denkt, wie viele Menschen standen da mal vor und haben drin rum geblättert. Dass so was in der freien Wirtschaft noch existiert, dass man in einen Laden geht und sieht da so Jahrhunderte alte Objekte, das gibt es eigentlich sonst nicht."
So sehr das Ambiente den Schriftsteller fasziniert, ist er doch ein bisschen distanziert. Das Antiquariat Solder, das während der Dreharbeiten Antiquariat Wilsberg heißt, bleibt ihm doch ein bisschen fremd.
"Ich muss zugeben, ich bin kein typischer Leser von antiquarischen Büchern. Wenn ich Romane lese, dann meist Neuerscheinungen. Also was frisch auf den Markt kommt. Und auch bei Sachbüchern bin ich eher auf den neueren Stand der Wissenschaft angewiesen. Ich sammle auch in dem Sinne keine Büchern. Insofern bin ich kein Antiquariats-Kunde."
Und so geht es offenbar vielen Menschen, die sich für Wilsberg und seinen imaginären Arbeitplatz interessieren. Sie finden es spannend, in Regalen voller alter Bücher zu stöbern, sie wollen aber nicht unbedingt welche kaufen. Wenn die Fernsehteams mal wieder abgezogen sind, muss sich Michael Solder deshalb noch intensiver auf seine Arbeit konzentrieren, um Geld in die Kasse zu bekommen. Er hat alle Bücher durchnummeriert, die er seit zwei Jahrzehnten im Angebot hatte – oder noch hat. Derzeit vergibt er Nummern um die 28.000, aber es liegen auch noch einige Ladenhüter in den Holzkonstruktionen.
"Ich verkaufe immer wieder Bücher, die haben eine ein- oder zweistellige, dreistellige Nummer. Die muss ich also mindestens schon zehn Jahre am Lager haben. Da weiß ich nie, ob ich mich freuen soll oder ärgern soll, weil ich mir denke, war das so klug, das überhaupt zu kaufen? Aber es ist dann verkauft."
Das hat Michael Solder mit vielen Antiquaren in ganz Deutschland gemeinsam. Trotzdem liebt er seinen Beruf – und er ist davon überzeugt, dass er auch weiterhin davon leben kann. Da hilft es natürlich, dass in der Fernsehserie Wilsberg der Hauptdarsteller in seinem Antiquariat auftritt und ein sympathisches Bild dieser Branche vermittelt. Auch wenn ein großer Teil des Geschäfts mit gebrauchten Büchern mittlerweile weltweit über das Internet abgewickelt wird, macht es für den Münsteraner Michael Solder immer noch Sinn, sein Ladenlokal weiter zu betreiben. Nicht nur wegen Wilsberg.
"Da erlebe ich häufig, dass Leute reinkommen und was ganz anderes mitnehmen als sie eigentlich haben wollten. Das ist das, was zum Beispiel einen großen Unterschied auch zum Internet ausmacht. Dieses Stöbern können, auf Sachen stoße."