Drei Cyber-Angriffe pro Tag auf Behörden

Moderation: Ute Welty |
Der Präsident des Verfassungsschutzes warnt vor neuen Bedrohungen durch Cyber-Kriminalität. Heute seien Trojaner relativ einfach zu bauen, sagte Hans-Georg Maaßen vor der heutigen Konferenz für Nationale Cybersicherheit in Potsdam.
Ute Welty: Deutschlandradio Kultur mit einem Szenario, das Angst machen kann: Im Prinzip hätten Sie heute früh schon mehrfach Opfer eines Cyberangriffs gewesen sein können – ausspioniert über Telefon und Laptop, lahmgelegt durch zerstörerische Software oder auch durch Fehlfunktionen der Hardware. Und was für die Privatperson gilt, gilt erst recht für ein Unternehmen oder für ein Land. Wie den Cyberangriff also verhindern oder abwehren? Darüber macht man sich heute in Potsdam Gedanken auf der Konferenz für nationale Cybersicherheit. Mit dabei unter anderem und vor allem der Präsident des Verfassungsschutzes. Guten Morgen, Hans-Georg Maaßen!

Hans-Georg Maaßen: Guten Morgen!

Welty: Welche Art von Cyberangriff befürchten Sie für Deutschland?

Maaßen: Ja, es gibt leider heute viele Szenarien, die wir uns vorstellen können. Vor einigen Jahren hatten wir vor allem Angriffe von ausländischen Staaten im Blick gehabt, weil nur ausländische Staaten in der Lage waren, derartige, ich würde mal sagen, Sophisticated-Angriffe durchzuführen, also Angriffe, wo man ein besonderes Know-how braucht. Daneben natürlich kriminelle Organisationen, die versuchen, Geld zu machen über das Internet. Heute kann man relativ einfach Trojaner bauen, so Selfmade-Kits gibt es im Internet, die man runterladen kann, und deswegen sehen wir das als eine zusätzliche Bedrohung an, die wir auch noch nicht so in der Dimension richtig einschätzen können, auch die Nutzung von Trojanern, von der Technik durch Extremisten, seien es nun Linksextremisten, Islamisten oder Rechtsextremisten.

Welty: Und was stellen Sie sich von Seiten des Verfassungsschutzes als Gegenmaßnahme vor, wenn die Bedrohungslage doch relativ indifferent ist?

Maaßen: Nun, zunächst einmal müssen alle, die für diese Sicherheit im Cyberbereich zuständig sind, noch besser und intensiver zusammenarbeiten. Eine Behörde und eine Organisation alleine kann dies nicht mehr machen. Das heißt aus Bundessicht, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das genau weiß, wo Angriffe an welche Schwachstellen zielen, die Wirtschaft selbst, die nun auch Hauptbetroffene ist, auch von elektronischen Angriffen, der Verfassungsschutz, der als Spionageabwehrbehörde detektiert, auf welche Bundesbehörden Angriffe durchgeführt werden, das muss zusammengebracht werden, es muss analysiert werden. Und dann müssen auch gegenüber der Wirtschaft und den Privaten Empfehlungen ausgesprochen werden. Wir haben mit dem gemeinsamen Abwehrzentrum, Cyberabwehrzentrum in Bonn einen derartigen, ich würde mal sagen, ein derartiges Kind geschaffen, das ist 2011 gegründet worden. Es muss jetzt weiter mit Leben erfüllt werden, damit es diesen Herausforderungen dann auch in Zukunft eine Antwort geben kann.

Welty: Frankreich hat bereits seit vier Jahren eine regierungsamtliche Cybersicherheitsbehörde. Wenn das Thema so wichtig ist, warum hört man so wenig darüber, und warum kann sich Deutschland noch nicht so richtig zu einem solchen Schritt entscheiden? Wir sind ja eigentlich nicht zögerlich, was Sicherheitsarchitektur angeht.

Maaßen: Die Frage ist, ob man wirklich eine Behörde braucht. Wir haben ja auch im Bereich der Terrorismusabwehr, Extremismusabwehr eine ganze Reihe von Behörden, die ihre Kenntnisse einbringen …

Welty: … und die nicht immer so super zusammenarbeiten.

Maaßen: Ja, aber es wird auch nicht besser, wenn alles von einer Behörde gemacht wird. Wir haben jetzt dieses Cyberabwehrzentrum, wo ich denke, das ist der gute und richtige Schritt, es muss nur noch gestärkt werden, weil wir vor allem auch die Wirtschaft als Partner brauchen. Wir haben zwar jeden Tag Angriffe auf die Bundesbehördeninfrastruktur. Wir haben im letzten Jahr durchschnittlich jeden Tag drei Angriffe gehabt, elektronische Angriffe auf die Bundesbehördeninfrastruktur. Die Wirtschaft hat auch Angriffe zu fürchten, und leidet auch darunter. Nur muss sie ihre Erkenntnisse auch einbringen, damit wir ihr dann auch helfen können mit unserer Expertise, und dafür brauchen wir ein gemeinsames Abwehrzentrum. Ich bin nicht der Meinung, dass eine Behörde alles besser machen kann, sondern ich glaube, dass jede Behörde ihren Teil besser einbringen kann in ein derartiges Zentrum.

Welty: Verdoppelt und verdreifacht das nicht die Kosten der Abwehr?

Maaßen: Das glaube ich nicht. Wir schaffen Synergieeffekte durch eine derartige Einrichtung, weil die Behörden, die schon in der Vergangenheit ihre Erkenntnisse in anderen Lebensbereichen gefunden haben, wie beispielsweise in meinem Amt, das für die Spionageabwehr zuständig ist, können wir unsere Analyseergebnisse aus der Realwelt, auch aus Internetforen einspeisen. Wir schaffen damit nichts Neues, sondern wir bringen im Grunde genommen unsere Erkenntnisse ein und bündeln sie mit den Erkenntnissen vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und vom Bundeskriminalamt.

Welty: Wo soll die notwendige Kompetenz herkommen? Hochtechnologie im Zusammenhang mit deutscher Verteidigung und deutscher Sicherheit ist ja zurzeit ein eher schwieriges Thema.

Maaßen: Ich würde sagen, die Kompetenz ist durchaus da, die ist auch durchaus in meiner Behörde und in anderen Behörden da, wir müssen nur noch etwas stärker werden. Wir brauchen mehr Leute mit IT-Kompetenz, die für uns arbeiten, die mit uns arbeiten wollen, aber ich denke, was wir auch brauchen, ist große Kooperation mit der Wirtschaft, mit Privatleuten, die uns da in unserem Abwehrkampf gegen elektronische Angriffe auch unterstützen.

Welty: Die Veranstalter der Potsdamer Konferenz beeilen sich zu betonen, sie hätten keine eigenen wirtschaftlichen Interessen. Ist es das, was die Sache so kompliziert macht, dass Schutz in diesem Zusammenhang auch immer Verkauf von Produkt bedeutet?

Maaßen: Ich sehe das nicht an als ein Problem des Kommerzes, Verkauf von Produkten. Man muss sich schützen, und man ist sich auch darüber im Klaren, dass Sicherheit auch ihren Preis hat. In der Realwelt weiß man das, dass man einen Türriegel kauft oder einen Safe kauft. Und in der virtuellen Welt muss jedem das auch bewusst sein, dass es nicht damit getan ist, einen Computer aufzustellen, sondern dass man auch eine vernünftige Firewall braucht, dass man noch einen vernünftigen Trojanerschutz braucht. Und dafür muss man natürlich auch Geld in die Hand nehmen.

Welty: Auch die NATO-Außenminister beraten heute zum Thema. Was wird dabei mehr herauskommen, als dass man mit dem nackten Finger anklagend auf die Chinesen zeigt, und wie soll an dieser Stelle eine US-Chinesische Arbeitsgruppe zum Thema entstehen?

Maaßen: Es bestehen offenkundig Probleme im internationalen Bereich und vor allem im bi- oder multilateralen Bereich. Diese Probleme müssen, denke ich, offen angesprochen werden, auch gegenüber den Betroffenen. Es hilft nicht, dass mit dem Finger auf andere Staaten gezeigt wird, sondern man muss an den Verhandlungstisch. Und ich glaube, das, was die Amerikaner machen, mit den Chinesen hierüber Gespräche zu führen, ist, denke ich, der einzig gangbare Weg. Und ich denke, das sollten wir als Europäer auch genau so machen. Wir als Europäer haben unsere Interessen, und die müssen wir gegenüber den Chinesen auch klar und deutlich formulieren.

Welty: Was wünschen Sie sich als Ergebnis für heute?

Maaßen: Ich wünsche mir als Ergebnis für heute, dass das Thema Cyber und vor allem Sicherheit im Cyberbereich noch deutlicher bei den Zuhörern ankommt. Sicherheit hat natürlich einen Preis, aber darüber hinaus muss einem auch klar sein, dass Sicherheit eine Notwendigkeit ist, um den Cyberraum auch nutzen zu können. Ohne Sicherheit im Cyberbereich verschenkt man zu viel und gefährdet seine eigenen Interessen, und das muss heute, glaube ich, rüberkommen.

Welty: Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen auf dem Weg nach Potsdam zur Konferenz für Nationale Cybersicherheit. Ich danke für den Gedankenaustausch zum Thema und wünsche eine erhellende Zusammenkunft!

Maaßen: Vielen Dank fürs Gespräch! Wiederhören!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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