Drei für alle

Von Claudia van Laak |
Die Direktmandate in Berlins Osten haben für die Linke Symbolwert. Drei gelten als relativ sicher. Ob bei der anstehenden Bundestagswahl wie 2009 ein Viertes gewonnen werden kann, bleibt spannend. Denn die alten Genossen sterben aus und die Milieus in den angestammten Bezirken wandeln sich.
"S 75 nach Wartenberg, Endstation, bitte alle aussteigen."

Wer an der Endstation der S75 in Wartenberg aussteigt, steht mitten in einem sanierten DDR-Plattenbaugebiet. Das Ostseeviertel in Berlin-Lichtenberg.

An diesem Abend: Podiumsdiskussion der Direktkandidaten im Nachbarschaftshaus. Wer hier die Nummer eins ist, das ist schon vor Beginn der Veranstaltung klar. Während die Kandidaten von CDU, SPD und Grünen alleine mit der S-Bahn oder dem Privatauto anreisen, lässt sich die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch von der Linken in einer schwarzen Limousine vorfahren und von einem persönlichen Referenten begleiten. Bei der letzten Bundestagswahl holte die zeitweilige Bundesvorsitzende der Linken 47 Prozent der Stimmen im Wahlkreis Lichtenberg, genau wie Petra Pau im benachbarten Marzahn-Hellersdorf. Das beste Erststimmenergebnis bundesweit für die Linke.

Gesine Lötzsch: "Ich bin ja in Lichtenberg aufgewachsen, zur Schule gegangen, ich glaube, ich kenne mich da schon ganz gut aus."

Ganz gut auskennen – das ist eine glatte Untertreibung. Die 52-Jährige hat ihr ganzes Leben in diesem Stadtbezirk verbracht, in dem die DDR-Staatssicherheit ihre Zentrale hatte. Gesine Lötzsch saß nach 1990 für die PDS im Berliner Abgeordnetenhaus, seit 2002 ist sie direkt gewählte Abgeordnete der Linken im Bundestag. Diejenigen, die ihr nicht so wohlgesonnen sind, sagen: Sie tut, als ob ihr Lichtenberg gehöre.

Gesine Lötzsch: "Ich bin sehr optimistisch, dass wir diesen Wahlkreis Lichtenberg wie seit vielen Jahren mit einem guten Ergebnis für die Linke gewinnen werden."

Heimspiel für die Linke
Gesine Lötzsch muss viele Hände schütteln, bevor sie auf dem improvisierten Podium Platz nehmen kann. Die Linke in Berlin-Lichtenberg, das ist wie die CSU in Oberbayern.

"Schönen guten Abend, herzlich willkommen im Nachbarschaftshaus im Ostseeviertel, wir haben gemeinsam mit dem Bürgeraktiv dieses Stadtteils diese Runde eingeladen ... "

Die Moderatorin des Abends stellt die Kandidaten vor. Erik Gührs von der SPD, Bartosz Lotarewicz von den Grünen.

"Dann Frau, das ist sicherlich überflüssig, sie vorzustellen, Frau Gesine Lötzsch, seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestags ... "

Die 52-Jährige lächelt, sie weiß, es wird ein Heimspiel. Und in der Tat: Der Applaus der etwa 60 Anwesenden an diesem Abend gilt allein der Politikerin der Linkspartei. Applaus für die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn und einer Mindestrente. Applaus für ihre Aussage, die vier großen Energiekonzerne in Deutschland agierten wie Besatzungsmächte. Wie immer bei solchen Veranstaltungen in ehemaligen DDR-Plattenbaubezirken stehen zornige alte Männer auf, beschimpfen die "Raubritter aus dem Westen" und sprechen von "Anschluss", wenn sie "Wiedervereinigung" meinen.

Thema an diesem Abend auch: der Tierpark in der Nachbarschaft, dem die Besucher fehlen. Der Vorschlag eines Rentners: die Reisegruppen, die zur Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen wollen - "sogenannte" Gedenkstätte sagt er – könnten doch zum Tierpark umgelenkt werden:

"Es gibt so viele Reisegruppen, die von Ministerien unterstützt werden, die öffentlich unterstützt werden, nach Möglichkeit könnte man umsteuern, ja."

Gesine Lötzsch umschifft diesen Vorschlag, die anderen Kandidaten auf dem Podium rollen mit den Augen. "Heute ist der 13. August, der Tag des Mauerbaus", erinnern Grüne und Sozialdemokraten.

Den alten SED-Genossen müsse er nicht nach dem Mund reden, meint SPD-Mann Erik Gührs:

"Ich muss ja gar keine Rücksichten nehmen, weil diejenigen, die noch in dem alten System verhaftet sind, die wählen mich ja eh nicht, egal was ich sage."

Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Partei Die Linke
Gesine Lötzsch hat den Wahlkreis Berlin-Lichtenberg bereits dreimal gewonnen.© Deutschlandradio - Bettina Straub
Boygroup gegen Lötzsch
Erik Gührs ist Teil einer dreiköpfigen Boygroup, die versucht, Gesine Lötzsch gefährlich zu werden. SPD, CDU und Grüne, drei Männer um die 30, die zusammen Bier trinken, sich duzen und die linke Bundestagsabgeordnete siezen. Sie arbeiten im Bezirk zusammen, treten aber im Bundestagswahlkampf gegeneinander an. Im Volksmund heißt der Bezirk Lichtenberg nach wie vor:

"Lötzschland. Weil die Linkspartei hier ihre Hochburg hat, es kommt jetzt allerdings ins Wanken. Es gibt viele junge Familien, die hierherziehen. Das sind nicht die typischen Linksparteiwähler und 2011 bei den Abgeordnetenhauswahlen haben wir erstmals als SPD zwei Direktmandate gewonnen und stellen seit 18 Jahren wieder den Bezirksbürgermeister. Insofern heißt es zwar noch Lötzschland, aber mal schauen, wie lange noch."

Möglichst lange, sagen die Fans von Gesine Lötzsch im Nachbarschaftshaus. Wer die Frage stellt, warum die Linkspolitikerin wieder in den Bundestag muss, erntet einen herablassend-lächelnden Blick. Die ist nicht von hier, die hat keine Ahnung, soll dieser Blick wohl bedeuten.

O-Töne Umfrage: "Weil sie die Politikerin ist, die am besten die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Wahlkreis vertritt. Und weil sie für soziale Gerechtigkeit ist, ist doch ganz simpel."

"Weil sie hier in Lichtenberg vom Prinzip her die Persönlichkeit ist, die sich für alles einsetzt, für jeden da ist, und Ansprechpartner für jeden ist, das ist der Hauptgrund."

Schon dreimal hat Gesine Lötzsch das Bundestags-Direktmandat für die Linke in Lichtenberg geholt. In den anderen Bezirken im Osten Berlins sieht es ähnlich aus: Gregor Gysi in Treptow-Köpenick und Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf sind unangefochten. Die Überraschung bei der letzten Bundestagswahl war das vierte Direktmandat: in Pankow/Prenzlauer Berg gewann Stefan Liebich und ließ Wolfgang Thierse alt aussehen.

Jetzt geht der SPD-Mann in den Ruhestand, trotzdem ist Liebich nicht siegesgewiss.

"Wackelig. Ich will jetzt den Wahlkreis natürlich verteidigen, ich habe ihn das letzte Mal gewonnen, aber sicher ist das nicht. Die Direktmandate in Ostberlin sind für uns eine Sicherungslinie für den Fall, der sehr unwahrscheinlich ist, dass wir die 5 Prozent nicht schaffen. Und zweitens ist es eine Frage der Ehre."

Eine Frage der Ehre ist es auch für Gesine Lötzsch in Lichtenberg. Die langjährige Bundestagsabgeordnete bleibt gelassen, wird sie auf den ehrgeizigen jungen Gegenkandidaten der Sozialdemokraten angesprochen:

"Na, ich erwarte natürlich von jedem Kandidaten, der antritt, dass der auch ehrgeizig ist, sonst wäre er falsch."

SPD-Außenseiter gegen Bezirksmutti
"Gesine Lötzsch gibt hier schon so ein bisschen die Bezirksmutti, die über allem schwebt. Die Ansprechpartnerin, die Kümmerin, die für die Probleme der Menschen da ist, das ist schon ihre Art und Masche","

kontert Erik Gührs. Aber der 31-Jährige weiß auch: im Ostberliner Bezirk Lichtenberg gegen Gesine Lötzsch das Direktmandat für die Sozialdemokraten zu erringen, ist fast unmöglich. Der 10. Platz auf der Berliner SPD-Landesliste ebenfalls nicht vielversprechend.

Der promovierte Physiker nimmt es sportlich: ""Vielleicht nimmst du einfach die Türanhänger und ich die Flyer, dann geht´s los."

Klinkenputzen im Lichtenberger Plattenbau. Erik Gührs versucht, mit potentiellen Wählern ins Gespräch zu kommen:

"(Klingelt) / "Ja bitte?" / Hallo wir sind von der SPD und wollen ihnen gerne drei kurze Fragen vor der Tür stellen." / "Nein." / (Klingelt weiter) / "Ja schönen Tag, mein Name ist Erik Gührs von der SPD und wir würden ihnen gerne drei kurze Fragen vor der Tür stellen." / "Nee danke.""

Jemand erbarmt sich, lässt den SPD-Kandidaten ins Haus. Elf Geschosse, 22 Wohnungen, kein Erfolg.

"Schönen guten Tag, mein Name ist Erik Gührs, ich kandidiere für den Deutschen Bundestag und wollte Sie nur fragen, was Sie von der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns halten." / "Mindestlohn?" / "Ja Mindestlohn." / "Meine Zeit ist vorbei." / "Darf ich ihnen noch einen Flyer in die Hand drücken?" / (Tür knallt zu) / "Darf ich nicht."

Neun von 22 Mietern öffnen die Tür. Keiner gibt dem SPD-Kandidaten die Chance, seine vom Willy-Brandt-Haus vorgegebenen drei Fragen loszuwerden: Was halten Sie vom Mindestlohn? Was ist das größte Problem hier im Kiez? Und: Gehen Sie am 22. September wählen? Das ist frustrierend, oder?

Erik Gührs: "Na ja, es gibt ja nicht nur alte SED-Mitglieder und Stasi-Bonzen in diesem Bezirk. Insofern ist das eine kleine Zielgruppe, nicht unsere Zielgruppe, aber Lichtenberg ist viel bunter als diese Leute und Lichtenberg ist schon lange nicht mehr Stasi und Nazi und Platte, sondern Lichtenberg ist bunt, offen und tolerant."

Zum Beweis lädt der SPD-Direktkandidat in den Kaskelkiez ein. Gehört zu Lichtenberg, fühlt sich aber nicht so an. Fünfstöckige sanierte Gründerzeithäuser, die wenigen unsanierten tragen Baugerüste. Die Kopfsteinpflasterstraßen gesäumt von Kugelahornbäumen, die Erde rundherum liebevoll von den Anwohnern bepflanzt. Die Mieten im Kaskelkiez haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Wo Eckkneipen, Videotheken und 1-Euro-Shops waren, befinden sich jetzt Galerien, Heilpraktiker und Bioläden. Und die Kneipe "Je länger, je lieber".

Zum Latte Macchiato in den Kaskelkiez
Erik Gührs setzt sich an einen Tisch auf dem Bürgersteig und bestellt Latte Macchiato. Vollbart, Hipsterbrille, Hütchen und dann noch Latte Macchiato. Das Klischee. Gührs lacht:

"Auf Arbeit trinke ich immer normal Kaffee mit Milch, aber manchmal kann man sich ja einen Latte Macchiato gönnen. Man kriegt´s ja überall mittlerweile, nicht nur hier im wunderschönen Kaskelkiez."

Hier im wunderschönen Kaskelkiez wohnen die Leute, die Erik Gührs wählen sollen. Zum Beispiel Stefan Albrecht, Kneipier vom "Je länger, je lieber". Der lässt sich allerdings nicht entlocken, was er von dem SPD-Direktkandidaten hält, der gerade bei ihm einen Latte Macchiato trinkt.

Nur so viel: Die Linkspartei wählt Stefan Albrecht nicht:

"Nein, absolut nicht: Ich bin zwar ein Kind der DDR, habe aber eher negative Erlebnisse gehabt. Auf Bundesebene ist es nicht die richtige Partei."

Wer vom Kaskelkiez aus ein paar Minuten in Richtung Süden spaziert, landet in der Rummelsburger Bucht. Auch dieser Teil von Berlin-Lichtenberg hat sich in den letzten 20 Jahren gänzlich verwandelt. Wo zu DDR-Zeiten große Industriebetriebe standen, leben heute Mittelschichtsfamilien in neuen Eigentumswohnungen und schwarz-weißen Reihenhäuser. Im Hof die Hütte für den Hund, vor der Tür der Fahrradanhänger für das Kind und der Kombi für die gesamte Familie. Genau wie der Kaskelkiez fühlt sich auch die Rummelburger Bucht nicht an wie Lichtenberg. Keine Plattenbauten, keine älteren Herrschaften in beigen Westen, die Gerechtigkeit für Ostrentner fordern.

Camilla Schuler: "Nein, wobei sich Lichtenberg in den letzten Jahren entwickelt hat. Als wir hierhergezogen sind, da war ja selbst Friedrichshain grau, da war nichts und das Ostkreuz, das war gruselig."

Die Eventmanagerin Camilla Schuler ist Mitglied der Grünen, wohnt mit Familie und Hund in einem dieser schwarz-weißen Reihenhäuser. Sie und ihre Nachbarn wählen:

"Grün. Sie sind sehr auf Nachhaltigkeit bedacht, Familie hat einen großen Stellenwert, es ist ein grünes Klientel hier vorhanden."

Deshalb haben die Grünen zum "Solaren Samstag" in die Rummelsburger Bucht eingeladen.

Die Trommelgruppe darf genauso wenig fehlen wie die Hüpfburg und das Kinderschminken. Der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin fährt mit dem Solarboot, ein E-Bike-Händler präsentiert seine Fahrräder, ein Ökostromanbieter seine Verträge. Auch die Imkerinitiative "Berlin summt" ist vertreten. Bei Biobier und Tofu-Sandwiches machen sich die Grünen in Lichtenberg Mut.

Moderne Reihenhäuser im Ortsteil Rummelburg von Berlin-Lichtenberg
Moderne Reihenhäuser im Lichtenberger Ortsteil Rummelburg© picture alliance / zb / dpa / Manfred Krause
Biobier und Tofu-Sandwich bei den Grünen
Allen voran ihr Direktkandidat Bartosz Lotarewicz:

"Es verändert sich viel, es kommen ganz viele Menschen nach Lichtenberg, die vieles verändern werden. Ich würde jetzt keine Wahlvorhersage machen, aber ich merke auch bei Frau Lötzsch, dass die Intensität des Wahlkampfes zugenommen hat und dass das, was noch 2009 und davor sicher war, gar nicht mehr als so sicher gilt."

Der 30-Jährige mit der doppelten deutsch-polnischen Staatsbürgerschaft weiß, dass er keine Chance hat gegen die Linke Gesine Lötzsch. Nur knapp 9 Prozent der Stimmen holten die Berliner Grünen bei der letzten Bundestagswahl in Lichtenberg.

Doch Bartosz Lotarewicz ist überzeugt davon, dass der gesellschaftliche Wandel auf der Seite der Grünen ist. Er erlebt – oder erhofft sich – eine verunsicherte Linke:

"Ich glaube, sie merken auch, dass sich einiges im Bezirk verändert. Ich habe das Gefühl, dass sie nicht wirklich wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen."

Mit der Frage, wie die Linke mit dem Verschwinden der DDR-Milieus umgehen soll, damit beschäftigt sich Benjamin-Immanuel Hoff. Zu Zeiten der rot-roten Koalition in Berlin war Hoff Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Gesundheit. Heute arbeitet der 37-Jährige Sozialwissenschaftler als Politikberater, in erster Linie für die Partei Die Linke.

Er gibt Entwarnung: Das DDR-Milieu verschwinde zwar, erläutert Hoff, aber in die Plattenbauten im Ostteil Berlins zögen Menschen, die ebenfalls potenzielle Wähler der Linken seien – Familien, die sich teure Wohnungen im Stadtzentrum nicht mehr leisten könnten:

"Und wenn wir diesen konkreten Fall nehmen. Eine Familie, die warum auch immer in Hartz IV gekommen ist und bisher die Linke nicht gewählt hat, wird sich möglicherweise, wenn sie politisch hinreichend interessiert ist, die Frage stellen: Wer vertritt meine Interessen am stärksten? Und derzeit und auch auf absehbare Zeit ist es die Linke, die in diesem Milieu die stärkste Repräsentanz haben wird. Weil sie auch die entsprechenden politischen Angebote für dieses Milieu macht."

Der Wahlslogan der Linken "100 Prozent sozial" zielt genauso auf diese Wählerschaft wie "Genug gelabert. 10 Euro Mindestlohn jetzt!" oder das Plakat mit dem Slogan "Mindestsicherung statt Hartz IV".

Diese Forderungen kämen in den Plattenbaugebieten von Lichtenberg, Marzahn und Hellersdorf bei den alten Genossinnen und Genossen genauso gut an wie bei Leiharbeitern oder Hartz IV-Empfängern - ist Politikberater Hoff überzeugt:

"Am Beispiel von Petra Pau und dem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf kann man sehen, wie ein ostdeutsch DDR geprägtes Akademikermilieu kleiner wird. Dass aber gleichzeitig linksaffine Gruppen, weniger von der ideologischen Ausrichtung als mehr von der sozialen Ansprache her, dort wohnen und ansprechfähig sind. Und geprägt werden durch eine Region, in der die Linke einfach stark ist."

Die These: In einer Gegend, die traditionell von der Linken geprägt ist, wählen auch neu Hinzugezogene diese Partei, wenn sie die Akteure erst einmal kennengelernt haben.

Applaus für erklärten Pazifismus: Gregor Gysi beim Bundesparteitag der Linken
Gregor Gysi hält auch diesmal ein viertes Direktmandat für möglich.© picture alliance / dpa / Jan Woitas
Ist Linke wählen ansteckend?
Die beiden direkt gewählten Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch und Gregor Gysi halten diese These für überzeugend. Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag holte 2009 mit souveränen 45 Prozent der Erststimmen das Direktmandat im Bezirk Treptow-Köpenick.

Gregor Gysi: "Ich habe Leute erlebt, die aus Baden-Württemberg nach Mitte zogen und plötzlich die Linke wählten. Auf die Idee wären sie in Baden-Württemberg gar nicht gekommen, weil durch das Umfeld, durch die Gespräche, in Gaststätten kriegt man plötzlich eine andere Haltung dazu."

Gesine Lötzsch: "Augenscheinlich ist links wählen ansteckend, dort wo man hinzieht, passt man sich ein bisschen an."

Deshalb sieht Gesine Lötzsch keinen Grund, ihren Politikstil, ihre Ansprache zu verändern. Wohlhabende wählen ebenfalls die Linke, ist sie überzeugt:

"Natürlich läuft auch bei Leuten, die eine Eigentumswohnung kaufen, nicht immer alles glatt und nach oben. Die Menschen haben auch Probleme: Kann man weiter die Kredite abzahlen, ist der Arbeitsplatz sicher. Warum sollte der nicht die Linke wählen."

Doch ein früherer SED-Funktionär, der mittlerweile ein Haus gekauft hat und zum Vermieter geworden ist, wird vielleicht nicht der Partei seine Stimme geben, die Mieterhöhungen am liebsten verbieten will. Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Der linke Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich fordert seine Genossen deshalb auch auf, sich bewusst dem Wandel zu stellen:

"Die Verhältnisse in Ostberlin haben sich geändert, es bringt nichts, auf das alte Stammpublikum in den Plattenbauten zu setzen."

Doch Stefan Liebich ist zu schlau, die eigenen alten Genossen für ihren Politikstil zu kritisieren. Er wählt den Sozialdemokraten Wolfgang Thierse als Beispiel:

"Das heißt, dass man nicht, wie Wolfgang Thierse es gemacht hat, auf die Schwaben schimpft, sondern bei den Schwaben auf diejenigen setzt, die auch für Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden sind. Und genau das mache ich."

Insgesamt 15 Direktmandate für die Linke, davon allein vier in Berlin – die letzte Bundestagswahl war ein Riesenerfolg, der sich so vermutlich nicht wiederholen wird.

Doch Frontmann Gregor Gysi ist davon überzeugt, dass die Linke in Ostberlin auch diesmal nicht vom Hof gejagt wird:

"Bei dreien sind wir sehr optimistisch, aber ich bin auch beim Vierten optimistisch."

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Der Deutschlandfunkblog zur Bundestagswahl 2013
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