Drei Generationen, ein Thema

Von Hartmut Krug |
Selbstfindung und Selbstverwirklichung, die Suche nach Glück und Erfolg, die Überprüfung des gelebten Lebens und die Hoffnungen für die Zukunft - das Staatstheater Cottbus fasst es zusammen als "Trilogie der Träume". Mario Holetzeck zeigt sich als kraftvoller Regisseur - unter dessen Lautstärke allerdings manche psychologischen Zwischentöne verloren gehen. Trotzdem: Soviel Jubel nach einer Schauspielpremiere gab es in Cottbus wohl noch nie.
Drei Stücke, drei Generationen, ein Thema: Träume vom Glück. Erzählt wird von Selbstfindung und Selbstverwirklichung, von der Suche nach Glück und Erfolg im Leben, von der Überprüfung gelebten Lebens oder von Zukunftshoffnungen.

Andri Beyelers "the killer in me is the killer in my love" zeigt die tastende Suche von drei Jungen und zwei Mädchen nach Nähe und Liebe. Es geht um neue Bikinis und erste Zigaretten, und allerersten Küssen folgen seelische Verletzungen. Beyelers Stück besitzt eine verknappende, soghafte Sprache und ist von sprachlichem Formbewusstsein wie von psychologischer Sensibilität geprägt.

Regisseur Mario Holetzeck setzt dagegen vor allem auf die äußerliche Beweglichkeit seiner Darsteller, die auf Rollerskates herein- und herumtoben. Die Männer markieren heftig jugendliche Coolness, ohne die Unsicherheit der Jungen, die unter ihrem aufgesetzten Posieren liegt, deutlich genug heraus zu arbeiten - während die Mädchen weniger aufdrehen. Ariadne Papst und Johanna Emil Fülle, aber ansatzweise auch Roland Schroll als Klein Gerber, finden für ihre Figuren durchaus psychologische Unter- und Zwischentöne.

Doch bereits bei diesem ersten Stück wird deutlich, dass der Regisseur des Abends die Spiel-Lust seines Ensembles und die Zuschau-Lust des Publikums mit direktem, gelegentlich auch allzu plakativem Theater zu wecken versucht.

Mit inszenatorischen Details sucht der Regisseur Verbindungen zwischen den Stücken zu schaffen. Zum einen huschen Darsteller anderer Generationen aus den anderen Stücken durch jedes Stück, und in jedem wird durch das Lied "Non, je ne regrette rien" die Haltung der älteren Generation verdeutlicht. Die Crossover-Cellistin Susanne Paul kommentiert stets live auf der Bühne das Geschehen, zum Beispiel mit einer der Version eines Stücks der Band "Nirvana". Und das ausnehmend hässliche Bühnenbild von Jürgen Kirner mit seinen Betonwänden und abgebrochenen Betonstreben lässt unter Einsatz der Drehbühne für jedes Stück eine neue Bühnensicht zu.

In Dominik Finkeldes "Die Nebensächlichen" versammeln sich im Atelier einer Malerin neun Menschen um die 40. Bei ihren früheren regelmäßigen Treffen als "Club der Lebensphilosophen" tauschten sie sich über Lebenshoffnungen und berufliche Träume aus. Wenn sie nun wieder einmal zusammen kommen, um eine Frau zu verabschieden, die als Ehefrau nach Amerika gehen wird, brechen alte Wunden auf, und Lebenslügen und Beziehungsprobleme werden offenbar.

So wird von einem alten Mordversuch wegen Liebesproblemen berichtet und ein neuer scheitert, und ein Mann unternimmt einen Selbstmordversuch, "um etwas zu fühlen". Das Gruppenporträt der Malerin empört fast alle wegen seiner bösen Wahrhaftigkeit, denn man muss sich eingestehen, weder eine Ideologie noch eine Orientierung besessen zu haben. Auch bei Finkeldes Stück zeigt sich Regisseur Mario Holetzeck als kraftvoller Regisseur, der seine Darsteller in ein unterhaltsames Spiel von äußerlicher Deutlichkeit zu treiben versteht- unter dessen Lautstärke allerdings manche psychologischen Zwischentöne verloren gehen.

Da setzt sich die Gruppe Tiermasken auf oder versammelt sich wie zum Abendmahl, und Finkelndes Stück, ein im Einverständnis mit dem Autor gekürztes Cottbusser Auftragswerk, wirkt in auf diese Weise wie die vergröberte Version eines Botho-Strauß-Stückes. Das Publikum zeigte seine Freude an der spielerischen Plakativität der Inszenierung und an der Leistung der durchweg wunderbaren Schauspieler mit viel Zwischen- und kräftigem Schlussapplaus…

… der sich nach Lutz Hübners "Blütenträume" zu einem wahren Jubelorkan steigerte. Hübners Stück zeigt Menschen der Generation 55+ beim Besuch eines Flirtkurses an der Volkshochschule. Jeder will in eine wie immer geartete Zweisamkeit finden. Hübner schrieb ein pointensicheres Stück mit wirkungssicheren Rollen, das viele Themen und Haltungen antippt.

Es geht um Alzheimer und um Seitensprünge, um den Tod eines Partners oder die Entfremdung von den Kindern, für die man nur noch Haushaltshilfe oder Kinderbetreuer ist, es geht um Überarbeitung im Beruf - und immer geht es dabei um Lebenslügen und um eine empfundene Leere.

Gegen die der junge Kursleiter mit seinen forschen Sprüchen und seinem rein formalen Vorgehen (eine Paraderolle für Thomas Harms, der unterm Überdrehten der Figur ihre verzweifelte Unsicherheit deutlich macht) nicht das richtige Mittel findet. Weshalb die "Senioren" ihn feuern und allein weiter zu machen versuchen. Das homogene und, hier stimmt das Klischee wirklich einmal, spielfreudige Ensemble zeigt sich in kömödiantischer Superform. So sind in Cottbus Hübners Figuren immer beides, erkennbare Klischees und Typen wie zugleich wiedererkennbare, realistische Figuren.

Trotz einiger Einwände gegen die plakative Inszenierungsform dieser "Trilogie der Träume": Mit ihr hat es der neue Schauspieldirektor Mario Holetzeck geschafft, sowohl das Ensemble wie das Publikum zu begeistern. Soviel Jubel nach einer Schauspielpremiere gab es in Cottbus wohl noch nie.