Verzögerungen im Betriebsablauf
Die Berliner wetten spaßeshalber, wer zuerst fertig ist: der Pannenflughafen BER oder der Untersuchungsausschuss, der den Skandal aufklären soll? Vor drei Jahren fand die erste Sitzung statt, der Abschlussbericht ist nicht in Sicht. Eine Zwischenbilanz.
"Ja, das sind unsere Akten hier."
"Wie viele?"
"Keine Ahnung. Wir zählen die nicht, wir arbeiten die durch. Da geht es nicht darum, wie viele das sind, sondern darum, was da drin steht."
Dreimal fünf Meter misst der Raum, den Martin Delius und die Piratenfraktion im dritten Stock des Berliner Abgeordnetenhauses für die Durchsicht der Akten zur Verfügung gestellt bekommen haben. Die Nummern auf den Ordnern bleiben verborgen. Es ist auch nur ein kleiner Teil der Akten frei zugänglich, der Großteil befindet sich in einem vertraulichen Datenraum.
Martin Delius, der Vorsitzende des BER-Untersuchungsausschusses, hat das Beweismaterial trotzdem zusammen gezählt. 1.350 Aktenordner sind es, jeder gefüllt mit etwa 500 Blatt Papier. Es ist an der Zeit, eine vorläufige Bilanz zu ziehen.
"Kollektive Verantwortungslosigkeit, strukturelle Schwäche der Flughafengesellschaft, kein Controlling, keine Nachsteuerung, das gegen die Wand fahren lassen, das sprichwörtliche, was jeden einzelnen Bereich der Baustelle angeht, das war der Grund, warum das mit dem BER nicht funktioniert hat."
Das steht nicht nur zwischen den Aktendeckeln, das haben auch die Vernehmungen von bisher mehr als 50 Zeugen erbracht. Zudem, so Delius, durchforsteten er und seine Ausschusskollegen mehrere 100.000 E-Mails. Ein hartes Stück Arbeit in den vergangenen drei Jahren, aber absolut notwendig, um Licht ins Dunkel des Flughafen-Desasters zu bringen.
"Wir wissen aus öffentlichen Aussagen, dass die Geschäftsleitung an den Controllingberichten, die eigentlich unabhängig sein sollten, herumgeschrieben hat. Wir haben, und das ist halt auch Aufarbeitung dieses Aktenberges, Beweise dafür gefunden, dass die Geschäftsleitung dies ohne Begründung per Befehl an die Controller getan hat. Wir konnten nachweisen, dass bei einzelnen Formulierungen die Geschäftsführung gerade die negativen Aussagen abgeschwächt hat und in Auftrag gegeben hat, dass eben diese abgeschwächten Aussagen an den Aufsichtsrat weitergehen. Der Punkt ist: Wir können das dann auch endlich mal beweisen, was viele Leute denken."
Im Klartext heißt das: Die damalige Geschäftsführung der Flughafengesellschaft, die Herren Körtgen und Schwarz, beide längst entlassen, haben den Aufsichtsrat über die äußerst schwierige Situation der Bauarbeiten kurz vor dem geplanten Eröffnungstermin im Juni 2012 wissentlich falsch informiert.
Das Versagen der Geschäftsführung ist eine der zentralen Ursachen des BER-Debakels. Darin sind sich alle Mitglieder des Untersuchungsausschusses einig. Andreas Otto von Bündnis 90/Die Grünen nennt einen zweiten wesentlichen Grund:
"Man hat im laufenden Bauprozess Veränderungen vorgenommen. Stellen Sie sich vor: Die Wand steht halb und dann kommt jemand und sagt, die muss jetzt woanders hin. Also man hat solche Veränderungen vorgenommen, hat dadurch ein enormes Maß an Mehrkosten, an Mehraufwand und an Zeitverlust selber mutwillig generiert, das geht eben nicht. Das muss man sich, glaube ich, merken: keinerlei Veränderungen, von Anfang an sind die verboten."
Dafür sei nicht nur die Geschäftsführung verantwortlich gewesen, sondern eben auch der Aufsichtsrat. Der dann, nächster Fehler, nach dem Scheitern des Eröffnungstermins im Juni 2012 den Generalplaner rausgeschmissen hat. Was zu wenigstens einem Jahr Stillstand auf der Baustelle führte.
"Da kommt man relativ schnell darauf, dass der langjährige Vorsitzende des Aufsichtsrates, Klaus Wowereit, maßgeblich Verantwortung trägt für den Misserfolg des BER. Der Aufsichtsrat hat sich überhaupt nicht gekümmert darum, wie diese Organisation Flughafengesellschaft aufzubauen ist, mit welchen Kapazitäten, und was die eigentlich machen soll."
Im Parlament ist der Untersuchungsausschuss ein Kampfinstrument, viele halten ihn für das schärfste Schwert, das der Opposition zur Verfügung steht. Wie scharf das Schwert tatsächlich ist, hängt allerdings immer auch davon ab, was der Ausschuss aufklären kann.
Welche Mitschuld trägt Klaus Wowereit?
Rückblick – 24. Mai 2013: Berlins damals noch Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, SPD, wird als Zeuge vernommen. Er war von 2001 bis Januar 2013 Vorsitzender des obersten Kontrollgremiums der Flughafengesellschaft. Entsprechend groß ist das Interesse der Öffentlichkeit. Etliche Medienvertreter verfolgen die Anhörung im Stehen.
Fast sechs Stunden lang steht Klaus Wowereit dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort. Die Parlamentarier wollen wissen, warum er die gravierenden Probleme auf der Baustelle nicht viel früher erkannt hat und ob er deshalb seine Aufsichtspflicht als Vorsitzender des Gremiums verletzt hat. Antwort Wowereit: Ein Scheitern des Eröffnungstermins sei für ihn bis zum Schluss nicht erkennbar gewesen. – Stefan Evers und Ole Kreins, die Obleute der Koalitionsfraktionen CDU und SPD, zeigen sich im Anschluss an die Befragung mit dem Auftritt des Regierenden Bürgermeisters zufrieden.
Evers: "Für viele war es, glaube ich, eine Nachhilfestunde zur Aufgabenverteilung zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsführung. Dennoch bleibt festzuhalten, dass, egal wie intensiv man sich mit diesen Akten beschäftigt, man Klaus Wowereit als Aufsichtsratsmitglied keine objektive Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen können wird."
Kreins: "Ich hätte nicht gedacht, dass Klaus Wowereit sich tatsächlich auch so tief reingekniet hat. Aber ein Aufsichtsrat ist natürlich auch immer nur so gut wie ihm die Geschäftsführung Informationen zuarbeitet."
Ganz anders urteilt die Opposition. Schon damals sieht Andreas Otto von Bündnis 90/Die Grünen in Klaus Wowereit den Hauptschuldigen im Flughafen-Debakel:
"Es hat sich bewahrheitet, dass wirklich dieser Aufsichtsrat ein Ort der Inkompetenz ist. Fachliche Gesichtspunkte spielen überhaupt keine Rolle. Und das ist, glaube ich, für ein Milliarden-Bauprojekt falsch. Wenn Herr Wowereit darüber hinaus einen Stab hat von zwei Verwaltungsmitarbeitern, dann muss ich sagen: Damit kann man ein Milliarden-Bauprojekt nicht begleiten. Wenn er dann darüber hinaus noch zugegeben hat, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in baufachlichen Fragen, das Terminal betreffend, nicht ein einziges Mal konsultiert wurde, muss ich auch da sagen: Das ist Ignoranz und Selbstüberschätzung, so kann man so ein Projekt nicht machen."
Wie auch immer der Untersuchungsausschuss in seinem Abschlussbericht die Rolle Klaus Wowereits beim BER-Debakel bewerten wird - zweieinhalb Jahre nach der Befragung geben mittlerweile auch die beiden Obleute der Koalitionsfraktionen zu: Da ist etwas schief gelaufen in der Arbeit des Aufsichtsrates, aber auch des Parlaments insgesamt. Stefan Evers, CDU, und Ole Kreins, SPD:
Evers: "Ich muss in Kauf nehmen – und das finde ich auch richtig so – dass wenn ich ein Projekt habe, das von drei öffentlichen Eigentümern, dem Land Berlin, Brandenburg und dem Bund gemeinsam getragen wird, auch Politiker diese Verantwortung übernehmen. Das ist völlig in Ordnung, aber sie müssen sich umgeben im Aufsichtsrat und nicht nur in ihren Mitarbeiterstäben, sondern auch im Aufsichtsrat mit Menschen, die etwas vom Bauen verstehen, und das waren doch recht wenige."
Kreins: "Wir als Abgeordnete müssen uns die Aufgabe annehmen, intensiver das zu begleiten. Wenn Sie schauen, was in der letzten Legislatur an Fragen zum Flughafen gekommen sind, im Rahmen von kleinen schriftlichen, großen Anfragen, tendiert das gen null. In dieser Legislatur holen wir das alles nach. Das ist auch unsere Verantwortung."
Das Thema ist umfangreich, kompliziert und trocken
Der Vorsitzende des BER-Untersuchungsausschusses, Martin Delius, gehört mittlerweile zur politischen Prominenz der Stadt. Und die fordert ihren Preis. Mit einem Plastikflugzeug in der Hand posiert er in den weiten Fluren des Berliner Abgeordnetenhauses für ein Fotoshooting.
Martin Delius ist Mitglied der Piratenfraktion. Kenntnisreich und humorvoll treibt er die Arbeit des Untersuchungsausschusses voran, stößt aber auch an Grenzen:
"Das Thema ist umfangreich, kompliziert und trocken. Zeugenbefragungen sind keine Regierungs-PKs, und Zeugenbefragungen sind auch keine Showeinlagen."
In den Medien findet die Aufarbeitung des Flughafen-Skandals fast nicht mehr statt. Waren es anfangs, vor drei Jahren, 20 Journalisten, die an den Untersuchungsausschusssitzungen teilnahmen, kommen jetzt manchmal nur noch ein oder zwei. Meldungen über die Arbeit des Ausschusses sind Randnotizen.
Thorsten Metzner vom Berliner "Tagesspiegel" berichtet kontinuierlich über den Skandal auf der Baustelle. Die Sitzungen des Untersuchungsausschusses besucht er nur ganz selten:
"Es ist nicht so, dass dieser Ausschuss hier unwichtig ist. Und manches Problem, was heute noch, drei Jahre später, auftaucht, um das überhaupt zu verstehen, einordnen zu können - da ist das schon sehr wichtig, dass man ein präziseres Bild bekommt, wie das alles passieren konnte."
Aber, fügt er hinzu, die Frage, die die Menschen am meisten bewegt: wann der Flughafen endlich eröffnet wird, die kann der Untersuchungsausschuss eben nicht beantworten.
Lernen, wie es besser geht, die richtigen Schlüsse ziehen für zukünftige Großprojekte - das hat sich der BER-Untersuchungsausschuss auf die Fahnen geschrieben. Jutta Matuschek, die Obfrau der Linken, zweifelt daran, dass das klappen wird. Sie findet: Es werden schon wieder die gleichen Fehler gemacht wie vor dem gescheiterten Eröffnungstermin im Juni 2012.
"Konkret hatten wir neulich auch eine öffentliche Sitzung im Hauptausschuss, da hörten wir dann eben von der politischen Seite so ne Sätze wie 'der Aufsichtsrat hat keine Veranlassung, an den Angaben der Geschäftsführung zu zweifeln', 'der Kostenrahmen steht, der Terminplan wird überarbeitet'. Diese Sätze finden wir alle in verschiedenster Formulierung seit 2010. Immer wieder. In Aufsichtsratsvorlagen, in Geschäftsführungsvorlagen, in Sitzungsprotokollen. Und diese Sätze sind nun nicht gerade vertrauenserweckend, belegen aber, dass man jetzt offensichtlich immer noch nicht richtig gelernt hat, was ist denn da eigentlich alles schiefgelaufen."
Wenn es nach Andreas Otto von Bündnis 90/Die Grünen ginge, sollte die öffentliche Hand zukünftig die Finger lassen von Großprojekten:
"Die Frage ist, was macht man, wenn man trotzdem irgendwas Großes realisieren will, dann muss man geeignete Organisationsformen finden, muss sich mit Privaten zusammentun und muss das dann machen. Eine Idee, die ich zwischendurch hatte, war die, ob wir nicht viel stärker eine materielle Verantwortung einführen müssten, also sagen wir mal: Ein Prozent der Mehrkosten trägt der Regierende Bürgermeister."
Ein gewagter Vorschlag. Jutta Matuschek findet: Mehr Personal täte es auch schon.
"Erste Aufgabe für die öffentliche Hand für ein Großprojekt ist, die eigene Struktur in einem solchen Projekt so aufzustellen, dass man gewachsen ist den privaten Firmen. Dass man also nötiges Know-how, was man braucht, bindet bei sich selbst. Und zwar nicht per Dienstleistungsvertrag mit Firma XY, sondern bei sich selbst, bei der öffentlichen Hand, beim Bauherrn. Man muss auch damit rechnen, dass bestimmte Prozesse mehr Zeit brauchen als man politisch sich vielleicht geben möchte."
Ist der Staat mit Großprojekten überfordert?
Auch das ist eine Erkenntnis nach drei Jahren Aufklärungsarbeit: Öffentliche Großprojekte wie der Bau eines Flughafens sind quasi dazu verdammt, den vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen zu sprengen. Klingt wie ein Naturgesetz, ist aber vor allem den Haushalts- und Vergaberechtlichen Vorschriften geschuldet. Im Fall des BER kommt hinzu, dass die drei verschiedenen Gesellschafter – Berlin, Brandenburg und der Bund – nicht immer am gleichen Strang ziehen.
Seit drei Jahren durchkämmen die Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses Berge von Akten, studieren Gutachten, befragen Zeugen. Die Opposition ist überzeugt: Der Untersuchungsauftrag ist noch längst nicht abgearbeitet. Zum Thema Kostenentwicklung habe man noch viel zu wenige Zeugen gehört. 2,4 Milliarden Euro sollte der Bau des Flughafens ursprünglich kosten, inzwischen liegen die Schätzungen bei wenigstens 5,4 Milliarden, Tendenz steigend.
Die Koalition dagegen stellt fest: Viele für den Flughafenbau verantwortliche Personen handelten inkompetent und fehlerhaft. Den einen Schuldigen für das Debakel wird man nicht benennen können. Deshalb fordern sie, die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu beenden. Noch einmal Stefan Evers, CDU, und Ole Kreins, SPD.
Evers: "Mein Anspruch ist es nicht, bis zur letzten Schraube zu klären, was in diesem Flughafen im Argen liegt. Ob das die Deckenventilatoren sind oder abzureißende Wände, Lichtschalter, die nicht funktionieren, Klospülungen, die täglich gedrückt werden müssen, damit es nicht zu stinken beginnt am Flughafen: all das kann ich einordnen in diesen Kontext, und es ist immer vergleichbar. Mein Anspruch ist es, dass wir die strukturellen Ursachen dieser Probleme aufarbeiten, und das haben wir getan. Insofern denke ich, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an dem wir eigentlich unsere Arbeit auch zu einem Abschluss bringen können und nicht den Anspruch zu erheben, der erste ewige Untersuchungsausschuss des Berliner Parlaments zu sein."
Kreins: "Wir sind so weit als SPD, dass wir sagen können, wir können schon Dinge aufschreiben, an die Öffentlichkeit bringen und thematisieren, was unsere Ergebnisse aus der Untersuchung sind, und nicht bis zum Sanktnimmerleinstag zu bohren und zu popeln."
Die Koalition erzählt Quatsch, wenn sie behauptet, sie könnte jetzt den Untersuchungsausschuss beenden und den Abschlussbericht fertig machen, meint hingegen der Ausschussvorsitzende Martin Delius von den Piraten:
"Der Abschlussbericht ist noch gar nicht in einem Zustand, in dem man sagen könnte: Wir haben alle Informationen. Die Diskussion über das, was dann schlussendlich drinsteht, wird in 2016 stattfinden, schneller geht's nicht."
1.231 Tage sind mittlerweile vergangen, seitdem der "Fluch-Hafen" nicht eröffnet wurde. Eines ist klar: Wetten werden mittlerweile nicht mehr angenommen, wer zuerst fertig ist - der BER-Untersuchungsausschuss oder der BER-Flughafen.
"Ich habe gesagt: Wir sind zuerst fertig. Tja, und Recht hatte ich!"