Drei Jahre reformiertes Sexualstrafrecht

Im Zweifel gegen die Frauen

09:14 Minuten
Nein heisst Nein steht während einer Kundgebung in Berlin, auf dem Aufkleber einer Teilnehmerin.
Noch immer kursieren in Gerichtssälen Mythen, so die Erfahrung von Expertinnen. Z.B. dass eine Frau erobert werden wolle, wenn nötig auch mit Gewalt. © imago/ Markus Heine
Von Peggy Fiebig |
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Ende 2016 trat das neue Sexualstrafrecht in Kraft mit dem Grundsatz „Nein heißt Nein“. Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, scheitern aber immer noch zu oft an der Schwierigkeit, die Tat zu beweisen.
"Es ist nicht einfach für mich, es auf deutsch zu erzählen, aber es ist sehr wichtig. Weil es ist eine deutsche Geschichte, und deshalb ich will diese Geschichte auf deutsch erklären."
In einem Café im Berliner Bezirk Neukölln: Johanna Luyssen sitzt hinten in der Ecke. Die junge französische Journalistin hat kürzlich in einer Tageszeitung ihre Geschichte öffentlich gemacht: Sie wurde vergewaltigt. Vermutlich hatte ihr der Täter vorher K.o.-Tropfen in den Wein gemischt.
"Wir waren im Restaurant mit meiner Freundin und es war ein relativ normaler Abend, wir haben Tapas aus Spanien gegessen und Wein getrunken. Es war eine gemütliche Atmosphäre. On peut dire Atmosphäre?"

"Es ist ein normaler Abend"

Als die Frauen zum Rauchen aus dem Restaurant gingen, trafen sie auf einen jungen Mann.
"Er war ganz normal. Es ist nicht einfach, ihn zu beschreiben, ein ganz normaler Typ. Und er rauchte, meine Freundin rauchte auch, und ich war da, und wir reden. Es ist ein normaler Abend in einer großen Stadt in Europa."
Doch irgendwann ist nichts mehr normal. Im Restaurant bestellt der Mann Wein, auch für Johanna. An das, was danach passierte, kann sie sich nicht erinnern. Totales Blackout. Am nächsten Morgen gegen sieben wacht sie auf, in einem fremden Bett, in einer fremden Wohnung. Nackt.
"Und ich habe ein sehr, sehr, sehr seltsames Gefühl. Als wenn ich in einem großen Flugzeug wäre. Mein Kopf, alles in meinem Körper ist seltsam. Aber ich weiß nicht warum."
Auch der Mann aus dem Restaurant liegt in dem fremden Bett, in der fremden Wohnung. Sie fragt ihn, ob sie miteinander geschlafen hätten. Ja, natürlich, sagt er.
"Er war sehr entspannt, als ob alles normal war. Und er war nicht überrascht, dass ich keine Erinnerungen mehr hatte an diese Nacht."

Erst nach und nach realisiert sie, was passiert ist

Johanna zieht sich an und geht nach Hause. Sie ist wie gelähmt. Erst nach und nach realisiert sie, was passiert ist. Sie geht zum Arzt, der sie in die Notaufnahme schickt, von dort wird die Polizei informiert. Ihr Blut wird getestet, ihr Urin.
"Es ist aber zu spät, um K.o.-Tropfen festzustellen. Ich habe zu langsam reagiert. Sie sind nur bis maximal bis zwölf Stunden, nachdem sie in den Körper gelangt sind, nachweisbar."
Mehrfach sagt Johanna aus, wieder und wieder muss sie die Geschichte erzählen, bei der Polizei, bei der Staatsanwaltschaft. Die stellt letztendlich das Verfahren ein. In dem Brief der Staatsanwaltschaft heißt es sinngemäß, dass die von den Ärzten festgestellten Verletzungen im Intimbereich zwar Zeichen eines ungewünschten Verkehrs sein könnten, es aber nicht zwangsläufig sind. Es gebe damit keine stichhaltigen Beweise, dass der Sexualkontakt nicht einvernehmlich erfolgt sei. Damit endet das Verfahren. Johanna beschließt, nicht weiter zu kämpfen.
"Meine Anwältin schreibt mir, wir können weitermachen, aber es wird Geld kosten, und die Erfolgschancen sind gleich null."

Nur wenige Fälle landen vor Gericht

Fälle wie dieser sind eher die Regel als die Ausnahme: Nur etwa 25 Prozent der angezeigten Sexualstraftaten landen letztendlich bei Gericht, der Rest wird vorher eingestellt, sagt Sebastian Büchner, Staatsanwalt in Berlin:
"Und dann haben wir noch die Situation, dass eben in den Gerichtsverfahren es dann noch zu Freisprüchen kommen kann. Das ist, wenn ich es richtig überblicke, in etwa 20 bis 25 Prozent der Fälle dann tatsächlich der Fall, aber eben in 75 Prozent der Fälle folgt dann irgendeine gerichtliche Sanktion."
Das Hauptproblem für die Strafverfolger: Es ist gerade bei Sexualstraftaten häufig schwierig, die Straftat nachzuweisen. Oft steht Aussage gegen Aussage. Und da dann das Prinzip in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten – gilt, wird eben nicht angeklagt, wenn es keine eindeutigen Beweise gibt. Und an diesem grundsätzlichen Problem hat sich auch nach der Rechtsreform von 2016 nichts geändert.
Damals wurde das Prinzip "Nein heißt Nein" im Gesetz verankert. Ein sexueller Übergriff ist seitdem nicht mehr nur strafbar, wenn der Täter Gewalt oder Drohungen anwendet, sondern auch, wenn lediglich ein entgegenstehender Wille der anderen Person erkennbar war, über den sich der Täter hinweggesetzt hat. Allerdings ist in diesen Fällen eine Beweisführung häufig noch schwieriger. Nochmal Sebastian Büchner:
"Das ist in der Tat relativ schwierig zu vermitteln, auch sozusagen dann, wenn Opfer einer Sexualstraftat dann eben auch kritischer befragt werden."

Frauen aus der Opferrolle herausholen

Carola Klein ist Beraterin bei "Lara", der Berliner Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen. Seit Beginn der Debatte um "Nein heißt Nein" kommen deutlich mehr Frauen zu ihr, sagt sie. Und dabei geht es unter anderem auch darum, Frauen darauf vorzubereiten, dass eine Anzeige gegebenenfalls eben ins Leere laufen könnte.
"Natürlich ist es für die meisten Frauen, wenn sie da durch gehen und dann kommt es entweder zu einer Einstellung oder sogar zu einem Freispruch. Das ist sehr, sehr bitter. Das ist bitter, das tut weh, das fühlt sich enorm ungerecht an. Ich versuche aber, sie dahingehend zu bestärken, dass es eben nicht auf das Ergebnis ankommt, sondern dass sie in eine Position eintreten, in der sie aus der Opferrolle herauskommen. Dass sie sagen, dieser Übergriff, diese Gewalt, das ist nicht meine Privatsache. Ich versuche die Frauen dahin zu orientieren, dass das Empowerment darin besteht, dass sie den Mund aufmachen."
Auch die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm, die seit vielen Jahren von Sexualstraftaten betroffene Frauen vertritt, muss ihre Mandantinnen regelmäßig auf die geringen Erfolgsaussichten hinweisen. Sie meint allerdings, dass man die niedrigen Anklage-und Verurteilungsraten nicht einfach hinnehmen sollte. Ermittlungsbehörden und Justiz müssten personell aufgestockt werden, bisher fehle es hier an den notwendigen Kapazitäten, um die Verfahren effektiv und in angemessener Dauer zu erledigen, sagt sie. Aber auch in den Köpfen muss sich etwas ändern.
"Ich glaube, wenn man mehr Bewusstsein und mehr Wissen auch über sexualisierte Gewalt hätte, würde man anders damit umgehen. Deswegen käme es auch bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, meines Erachtens, zu mehr Verurteilungen, als wir das heutzutage haben."

Mythen in den Gerichtssälen

Zu sehr würden in der Gesellschaft und auch in den Gerichtssälen noch Mythen kursieren, wie das der Frau, die erobert werden wolle, wenn nötig auch mit Gewalt. Dass eine Frau eigentlich ja meint, wenn sie nein sagt. Oder dass Frauen Männer wegen Vergewaltigung anzeigen, weil sie sich rächen wollen. Spielen solche Mythen vor Gericht eine Rolle, ist das sogar ein Verstoß gegen Internationales Recht, erklärt Leonie Steinl. Sie ist Vorsitzende der deutschen Strafrechtskommission des deutschen Juristenbundes djb. Und ihrer Ansicht nach sind Klischees und Vorurteile noch allzu oft im Bewusstsein von Ermittlern und Richtern verankert. Der djb fordert deshalb eine bessere Fortbildung von Polizei, Staatsanwaltschaften und Justiz.
"Es braucht noch mehr, damit das wirklich in den Köpfen aller, auch in den Köpfen der RechtsanwenderInnen ankommt. Unsere gesellschaftliche Wahrnehmung ist doch sehr geprägt von Geschlechterstereotypen, aber eben auch von Sexualitäts- und Vergewaltigungsmythen. Das sieht man in der Unterhaltungsindustrie, das sieht man in den Medien. Und es gilt vielmehr, die offenzulegen und die auch zu benennen und auch in den Urteilen zu sehen oder in den Entscheidungen von Gerichten, wo sie sich auch widerspiegeln und das auch kritisch zu hinterfragen."
Aber die Debatte um die Sexualstrafrechtsreform und die anschließende Diskussion um "Me too" haben auch schon einiges bewirkt: Das Thema sexualisierter Gewalt ist in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion angekommen. Nochmal Rechtsanwältin Christina Clemm:

"Deswegen würde ich schon sagen, das war eine richtige und sinnvolle Änderung des Gesetzes. Es ist nur noch nicht alles gut. Man muss sagen, es muss noch ganz viel geschehen. Das sind aber faktische Probleme, die gelöst werden müssen. Das ist im Moment nicht ein gesetzliches Problem, sondern man muss besser, mit größerer Kompetenz ermitteln und letztendlich auch urteilen."
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