"Drei Wunder erlebt"

Krzysztof Wojciechowski im Gespräch mit Susanne Führer · 17.06.2011
1991 kam Krzysztof Wojciechowski nach Frankfurt / Oder - in "eine voll-kommunistische Stadt". Heute sei das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen nicht mehr so emotional und "sexy", aber dafür sei man einander sympathischer als damals.
Susanne Führer: Genau 20 Jahre ist er alt, der – so der amtliche deutsche Titel – Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit. Anlass für uns, über das Verhältnis von Polen und Deutschen zu sprechen mit einem Polen, dem auch die Deutschen sehr vertraut sind. Ich begrüße in einem Studio in Frankfurt an der Oder Krzysztof Wojciechowski, Verwaltungsdirektor des Kollegiums Polonicum, das ist eine gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung der Europa-Universität Viadrina und der Adam-Mickiewicz-Universität aus Poznan. Guten Morgen, Herr Wojciechowski!

Krzysztof Wojciechowski: Guten Morgen, Frau Führer!

Führer: Ja, Juni 1991, vor 20 Jahren, da haben Sie schon im Gründungsbüro der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder gearbeitet. Wenn Sie mal zurückdenken an die Zeit und vergleichen, wie sind Ihnen die Deutschen damals eigentlich begegnet, vor 20 Jahren?

Wojciechowski: Uff! Das war eine schwierige Zeit, und mit gemischten Gefühlen denke ich an diese Zeit zurück. Ich kam nach Frankfurt/Oder am 27. Februar '91 zu einem Vorstellungsgespräch in dem Universitätsgründungsbüro. Ich hatte natürlich schon langjährige Kontakte mit der DDR und auch mit der Bundesrepublik, aber das waren Kontakte, sozusagen, auf privater Ebene, und ich habe mir nie vorstellen können, dass ich an der deutsch-polnischen Grenze mit einem größeren Fuß auf der deutschen Seite und einem kleineren Fuß auf der polnischen Seite arbeiten werde. Damals fand ich Frankfurt/Oder als eine voll-kommunistische Stadt vor: Plattenbauten, eine breite zentrale Straße, Menschen in Standardanzügen aus der DDR-Zeit, selbst die Brötchen in der Kantine im Rathaus hatten den alten DDR-Touch, und ich dachte mir: Also, hier soll eine neue Schmiede für Europa entstehen, eine neue europäische Universität, das wird was sein! Dann ging ich über die Brücke und erlebte noch einen schlimmeren Schock, nämlich die benachbarte Stadt Slubice war ein dunkles Kaff mit Finstermännern an jeder Ecke, mit bröckelnden Fassaden, mit kaputten Bürgersteigen, und in der zentralen Straße auf dem Grünstreifen lagen zwei Leichen. Ich wollte den Notarzt holen, und es hat sich herausgestellt, es waren Betrunkene, die einfach so diesen Platz für die Ausnüchterung ausgesucht haben. Also, eine …

Führer: … alles finster rundum?

Wojciechowski: … alles finster rundum …

Führer: … und heute zwei pulsierende Städte! Wollen Sie darauf hinaus, Herr Wojciechowski?

Wojciechowski: Ja, genau! Zwei pulsierende Städte, und Menschen, die sich so von den damaligen Menschen unterscheiden wie Tag und Nacht. Wir haben hier in diesen 20 Jahren – ich nenne das drei Wunder erlebt: Das erste Wunder, das ist das Wunder der Zusammenarbeit, das zweite Wunder, das ist das Wunder der offenen Grenze, und das dritte Wunder, das ist das anthropologische Wunder, nämlich heute merkt man kaum einen Unterschied zwischen Deutschen und Polen hier in diesem Grenzgebiet, was das Verhalten, Aussehen, Benehmen anbetrifft. Damals konnte man sofort einen Deutschen und einen Polen auf den ersten Blick erkennen, und die Distanz, psychologische Distanz, war gewaltig.

Führer: Es ist ja aber immer noch so, dass die meisten Deutschen, wenn wir jetzt mal von der Grenzregion absehen, Polen kennengelernt haben – nach dem Fall des eisernen Vorhangs – erstmal durch die Polenmärkte, die überall entstanden sind, dann später als Putzfrauen und Handwerker; Sie sind als Akademiker ja doch eine Ausnahme, merken Sie das noch so im Kontakt, wie man Ihnen begegnet?

Wojciechowski: Immer weniger, Immer weniger. 1991 – "Der Spiegel" hat eine Umfrage durchgeführt, also so eine Sympathie-Umfrage unter den jungen Deutschen, bis 30 Jahre, und es wurden 20 Nationen vorgestellt den Befragten, und sie sollten sagen, wen sie schätzen, wen sie nicht schätzen. Die Polen landeten damals auf Platz 19, Hinter den Polen waren nur die Romas. Natürlich, den Polen sagte man diebische Tendenzen, Motive nach …

Führer: … kaum gestohlen, schon in Polen, ja.

Wojciechowski: … genau, dann also Putzfrau, Gärtner, höchstens … nie etwas mit der Kultur zu tun haben, geldbedacht, und so weiter. Heute hat sich das Bild sehr stark verändert. Wir haben zwar keine … wir führen keine Umfragen durch unter dem Motto "Hältst du weiter Polen für Diebe" oder so was, aber dieses Meinungsbild der Deutschen bei den Polen und der Polen bei den Deutschen wandelte sich dramatisch im positiven Sinne des Wortes.

Führer: Ja, wobei erstaunlich ist, dass die Polen die Deutschen sympathischer finden als umgekehrt – also, wenn ich jetzt auf die aktuelle Umfrage zurückkommen darf, Herr Wojciechowski –, woraus ich geschlossen habe, dass die Polen ihr Bild von Deutschland wesentlich stärker noch mal geändert haben als umgekehrt. Waren nicht 1991 die Deutschen für die Polen hauptsächlich noch sozusagen als Kriegstreiber und Besatzer in Erinnerung?

Wojciechowski: Wesentlich schon. Damals haben sich die Deutschen bei den Polen, sagen wir, im negativen Bereich platziert, auf der Sympathieskala – solche Untersuchungen gab es auch in Polen – waren sie im negativen Bereich. Heute sind sie sichtbar im positiven Bereich, also, werden gemocht – werden gemocht und irgendwie … und 80 Prozent der Polen sind der Meinung, dass man am stärksten unter allen Nationen mit den Deutschen kooperieren könnte, was eine unvorstellbare Wandlung der Gesinnung ist. 91 wären das die Amerikaner, mit denen man kooperieren muss und mit denen man rechnen muss in einer Problemsituation. Heute sind das die Deutschen!

Und das ist auch ein Verdienst der Deutschen, die zwar natürlich eine gewisse … von oben herab auf die Polen schauen, aber doch in diesen 20 Jahren und in der Nachkriegszeit schön die Hausaufgaben gemacht haben, sehr fürsorglich die Polen betrachtet haben, sehr dafür gesorgt haben, dass die Schuldgefühle aus dem Zweiten Weltkrieg, wegen des Zweiten Weltkrieges, auf eine richtige Weise ausgedrückt werden, und natürlich auch, sagen wir, alle Formen der wirtschaftlichen und der – außer natürlich der Freizügigkeit – der wirtschaftlichen, der kulturellen, der politischen Zusammenarbeit gefördert werden. Das wussten die Polen zu schätzen, und deswegen änderten sie ihr Deutschen-Bild.

Führer: Herr Wojciechowski, am Collegium Polonicum haben Sie ja mit Wissenschaftlern und Studenten nicht nur, aber vor allem, eben aus Polen und Deutschland zu tun. Wie ist das eigentlich? Ich meine, vor 20 Jahren war das ja wirklich etwas ganz Neues, man konnte sich so gegenseitig entdecken. Ist heute das Interesse, die Neugier, auch die wissenschaftliche Neugier, das Interesse aneinander eigentlich noch genau von so einem Pioniergeist beseelt wie damals oder ist das einer großen Normalität gewichen, die Zusammenarbeit da?

Wojciechowski: Das ist eine schöne Frage, Frau Führer! Sie trifft den Punkt. Damals, zu Beginn der 90er-Jahre, haben wir mit dem Menschen zu tun gehabt, die eben von spezifischen Motiven angetrieben wurden. Auf der deutschen Seite waren das Professoren, die zwischen 45 und 55 Jahren alt waren, also eine Generation, die zwar nach dem Zweiten Weltkrieg geboren war, aber irgendwie sich doch verpflichtet fühlte aus historischen Gründen, den Polen die Hand zu reichen. Auf der polnischen Seite hatten wir eine Generation von Professoren, die zwar schon im Ausland reisen durften und einige Erfahrungen hatten, aber sehr neugierig waren und für die die deutsch-polnische Zusammenarbeit sehr aufwertend war.

Diese Generation ist mittlerweile in die Rente gegangen, wir haben eine neue Generation, und wir haben die fast vollständige Normalisierung der Beziehungen erreicht, und es stellt sich heraus. Diese Normalisierung ist ein großes Problem, weil die neuen Professoren, die haben natürlich nichts gegen Polen; das sind aufgeklärte Europäer, sie betrachten die Polen als Nachbarn. Aber sie orientieren sich nach den globalen Erkenntnismustern. Das heißt, schauen in Richtung Westen, was in Amerika gemacht wird, möchten da mit den Amerikanern zusammenarbeiten und konkurrieren, beziehungsweise schauen auf die global interessanten Gegenden wie China, Lateinamerika, und so weiter. Für sie ist Polen ein normaler Nachbar, dem sie zwar nichts schulden, den sie partnerschaftlich betrachten, aber der nicht mehr sexy ist!

Führer: Na ja, das sind die normalen Probleme, die die deutsch-französischen Beziehungen auch haben, aber besser als Krieg und Erbfeindschaft auf jeden Fall, oder?

Wojciechowski: Ja, natürlich! Also, wenn wir so eine, sagen wir Skala, der idealen Zustände aufballen könnten, dann kommen wir zu einem Paradoxon: Das was wir haben, ist etwas schlechter als das, was wir vorhin hatten. Wir hatten zwar Probleme, die wir lösen mussten, aber wir hatten eine emotionale und intellektuelle Spannung, die uns dazu bewegt hat, diese Probleme zu lösen, die Kontakte zu fördern. Momentan haben wir eine Situation – und das ist sozusagen die Aufgabe für die nächsten 20 Jahre –, dass wir in die gewünschte Normalisierung hineinschlüpfen. Und diese Normalisierung bedeutet eine gewisse Neutralität bis Gleichgültigkeit der beiden Partner, weil nämlich sich die Polen auch nach diesen globalen Mustern sozusagen umsortieren intellektuell, und sie schauen auch nach Amerika, China und Lateinamerika – und der Nachbar interessiert sie etwas weniger! Obwohl natürlich, die Deutschen naturgemäß werden für die Polen immer das nächste westeuropäische hochentwickelte und reiche Land sein, was einen gewissen Teil der Energien immer binden wird.

Führer: Heute vor 20 Jahren wurde der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag unterzeichnet, aus diesem Anlass habe ich mit Krzysztof Wojciechowski vom Collegium Polonicum gesprochen. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!

Wojciechowski: Danke schön, Frau Führer!
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