Drei Zentner Sangeskraft fürs Boulevard

Von Rainer Pöllmann |
Luciano Pavarotti war ein angesehener, irrsinnig begabter und erfolgreicher Tenor, als er 1990 ins Showbiz wechselte. Da begann er mit Placido Domingo und José Carreras als die "Drei Tenöre" aufzutreten und fortan war Pavarotti mehr in den Klatschspalten als in den Opernhäusern zuhause. Jetzt, zu seinem 70. Geburtstag, will der Star-Tenor die Bühne verlassen.
Der Mann ist nicht gerade ein Model. Lebendgewicht: Drei Zentner. Er schwitzt leicht und zieht dann ein 19. Jahrhundert-Taschentuch aus dem Frack, um sich die Stirn abzutupfen. Eigentlich ist er die Karikatur seiner selbst. Was hat der Mann, dass sich die Klatschblätter um ihn reißen und gerne Storys aus seinem Privatleben erzählen? Er ist, so sagt man, ausgesprochen nett und umgänglich. Aber das kann nicht alles sein. Nein, der Mann hat – das hier:
Musik: Ausgehaltenes Hohes C aus "Die drei Tenöre"

Die Geburt des Medienstars Luciano P. datiert auf den Sommer 1990. Da traten "Die drei Tenöre" in unser Leben. Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras – drei Tenöre, deren Auftrittsgagen schon einzeln jedes Opernhaus arm machen konnten. Das Treffen der Giganten, in den Caracalla-Thermen. Unterste Schublade, was die musikalische Qualität angeht. Aber das Treffen hatte Folgen. Seitdem verfolgen uns die Tenöre. Im Dreierpack, die Ten Tenors, die Toughest Tenors, The German Tenors, The Irish Tenors, The Celtic Tenors, bis hin zu den so genannten "Jungen Tenören", die dem Volksmusikfreund geben, wonach es ihm verlangt. Eine einzige Vokalcombo schaffte es, das Trio Infernal zu übertreffen: Die drei Countertenöre, die dem Wahn ums Hohe C mit einer irrwitzigen Parodie begegneten.

Die Verantwortung für diese Flut der Tenöre wird auf ewig – zumindest zu einem Drittel – auf dem wuchtigen Leib des Luciano Pavarotti lasten. Und ebenso die des Duetts, das durch nichts als den Marketing-Gag begründet ist: Luciano und Sting, Luciano und Elton John, Luciano und Bon Jovi. Lauter schmächtige Popmusiker, die der Drei-Zentner-Mann mühelos an die Wand sang.

Deshalb gibt es nicht wenige, die den Tod des Sängers Luciano P. auf exakt jenen Sommer 1990 datieren. Da wechselte ein angesehener, irrsinnig begabter und erfolgreicher Tenor das Genre. Wechselte von der Kunst zum Showbiz, wechselte vom Feuilleton zur Yellow Press. Und von den Opernhäusern in die Sportstadien. Seitdem versteht er die Musik nicht mehr als Ausdruck persönlicher Gefühle und tiefer Wahrheiten, sondern bloß noch als sportive Veranstaltung. Ich bin zwar am dicksten, aber ich kann am längsten und ich kann es neun Mal hintereinander – das hohe C in Donizzettis "Regimentstochter".

Seinem Bankkonto tat dieser Transfer sicher gut. Luciano Pavarotti muss in den 90er Jahren gleich mehrere Vermögen verdient haben. Haarklein recherchierte der Spiegel, dass Pavarotti für ein Konzert auf dem Kölner Roncalli-Platz einen Stundenlohn von 500.000 Mark erhielt. Er hat sich allerdings auch immer wieder für karitative Zwecke eingesetzt, zum Beispiel zu Gunsten von Kindern in Tibet.

Ein "Ein-Mann-Konzern" wurde er gerade genannt. "Ein-Mann-Konzern", nicht etwa "Ein-Mann-Konzert". Das ist durchaus symptomatisch. Seit anderthalb Jahrzehnten interessiert sich eigentlich niemand mehr für seine Stimme. Luciano Pavarotti, das ist ein Thema fürs Vermischte. Als er im letzten Sommer schon einmal "Abschied nahm vom deutschen Publikum", da pries die Agentur seinen Auftritt in Hamburg als "einzigartiges Konzert" an. "Erstmalig in der Geschichte der Stadt" werde der Centre Court am Hamburger Rothenbaum dafür freigegeben.

Ein Kaffeeröster sponserte 2003 seine Tournee "A Night to Remember" und fand dafür hehre Worte: "Nach günstigen Golfsport- oder Schmuckangeboten bietet das Unternehmen seinen Kunden jetzt ein kulturelles Top-Event zu einem Preis, den sich jeder leisten kann." Und zum "kulturellen Top-Event" gehörte dann gleich auch der "Espresso del Maestro" – limitiert, teuer und exklusiv.

Aber wie alle "Promis" (und viel mehr als ein "Promi" war er da schon nicht mehr), zahlte er auch einen Preis. Ein ebenso peinlicher wie langwieriger Streit um eine Steuerzahlung in Millionenhöhe beschäftigte die Boulevardpresse über Monate. Und als Signore Pavarotti, wie viele andere Männer in der Midlife-Crisis, nach vier Jahrzehnten Ehe noch einmal was Neues erleben wollte und sich von seiner Frau scheiden ließ, um seine 35 Jahre jüngere Sekretärin Nicoletta Mantovani zu heiraten – da war die Yellow Press hautnah dabei. Mit rührseligen, ekelhaften Berichten und sehr unvorteilhaften Fotos – und ohne auch nur einen Schimmer davon, was Luciano Pavarotti früher einmal gewesen war.

Dabei soll der Sänger im persönlichen Umgang ausgesprochen herzlich und nett sein. Und er ist auskunftsfreudig. "Vor einem Teller Fettucine alla panna kann ich nicht Nein sagen." Wer würde da widersprechen wollen?