Dreikönigstreffen

Die FDP nutzt ihr Potenzial nicht

Ein Plakat mit dem Logo der Partei FDP hängt am 05.01.2015 vor dem Opernhaus in Stuttgart.
Im Stuttgarter Opernhaus kommt heute die FDP zum Dreikönigstreffen zusammen. © pa/dpa/Weißbrod
Nils Goldschmidt im Gespräch mit Nana Brink |
Was bedeutet eigentlich die liberale Idee? Dies müsse die FDP klarmachen, wenn sie wieder wahrgenommen werden will. Dies findet der Wirtschaftswissenschaftler Nils Goldschmidt anlässlich des Dreikönigstreffens der Partei in der Staatsoper in Stuttgart.
Die Grundidee des Liberalismus bedeute das aufgeklärte Recht auf Selbstverwirklichung. Während die frühen Liberalen angenommen hätten, es reiche, den Menschen von Zwängen zu befreien und dann wende sich alles zum Guten, habe die Geschichte gelehrt, dass dies zu wenig sei: "Ein heutiger Liberalismus muss deutlich machen, dass er den Menschen zur Freiheit befähigen will, dass es gesellschaftliche Strukturen braucht, Unterstützung braucht, damit Freiheit möglich werden kann."
Wie können wir die Bildungslandschaft verändern
Als Beispiel nannte der Wirtschaftswissenschaftler die Bildungspolitik. "Wenn wir gerade in Deutschland schauen, wie ungerecht Bildung und die Wahrnehmung von Bildungschancen nach wie vor verteilt ist, dann wäre es eine zentrale Aufgabe zu überlegen: Wie können wir die Bildungslandschaft so verändern, dass Kinder unabhängig von ihrem Elternhaus entsprechend ihrer Fähigkeiten Lebenswege gehen können, Bildung erreichen können, die es ihnen ermöglicht, ein gutes, ein gelingendes Leben zu haben." Dies müsse laut Goldschmidt eine Botschaft der Liberalen sein: "Macht Bildung so, dass unsere Kinder tatsächlich ihre Fähigkeiten nutzen können."
Liberale Gesellschaftspolitik
Natürlich müsse sich eine liberale Partei auch Gedanken um Freiheit auf den Märkten machen, so der Wirtschaftswissenschaftler. Dies sei jedoch nicht alles: "Die liberale Politik muss meines Erachtens heißen, eine liberale Gesellschaftspolitik zu machen." Dies bedeute auch, sich Gedanken über Sozialpolitik oder Chancengerechtigkeit zu machen. Die Bedeutung der FDP werde "schwieriger zu legitimieren, wenn sie nicht auch in diesen Positionen hörbar wird. Ich kann es eben einer Partei nur empfehlen, diese Dinge stark zu machen."

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Was haben die Telekom und die FDP miteinander gemein? Sie werden es nicht glauben: die Farbe. Magenta heißt das intensive Rot-Blau, das jeder von der Telekom kennt, und um jenes Magenta wird nun auch die FDP ihr Logo erweitern. Ja, richtig gehört: Zum traditionellen Blau-Gelb soll nun ein Purpur kommen. Haben die keine anderen Sorgen, könnte man da ausrufen, als auf ihrem traditionellen Dreikönigsparteitag heute in Stuttgart ein neues Logo vorzustellen? Das sei wichtig, um die Partei zu modernisieren, so argumentiert Parteichef Christian Lindner. Wirklich?
Professor Nils Goldschmidt ist Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Siegen. Schönen guten Morgen, Herr Goldschmidt!
Nils Goldschmidt: Guten Morgen!
Brink: Was wäre denn wirklich wichtig für die FDP?
Liberalismus heute
Goldschmidt: Na ja, zentral ist es natürlich, dass sie ihre Botschaft modernisieren. Zentral ist es, zu überlegen: Was bedeutet eigentlich Liberalismus heute noch? Wie können wir den Liberalismus in der modernen Gesellschaft heute verstehen? Und wie können wir ihn in eine Traditionslinie stellen, sodass den Leuten heute kenntlich wird, was liberale Politik bedeutet, was eine liberale Gesellschaft bedeutet?
Brink: Das klingt ja so, dass Sie das bei der FDP momentan nicht finden?
Goldschmidt: Ich habe zumindest den Eindruck, dass sie die Botschaft und das Potenzial einer liberalen Botschaft nicht tatsächlich nutzen, sondern dass es hier Potenziale gibt, Ideen gibt, die man viel stärker machen könnte, um eben für liberale Ideen wieder mehr Gehör zu bekommen.
Brink: Können wir da ein bisschen ins Detail gehen? Was wären genau diese konkreten, liberalen Positionen, die Ihnen fehlen?
Goldschmidt: Na ja, ich glaube, man muss durchaus noch mal grundsätzlich denken, und die Grundidee des Liberalismus bedeutet ja eigentlich: das aufgeklärte Recht auf Selbstverwirklichung. Also Freiheit des Menschen bedeutet, die Möglichkeit zu haben, sich tatsächlich selbst verwirklichen zu können.
Das Problem ist, dass eben die frühen Liberalen, also seit der Aufklärung Mitte des 18. Jahrhunderts, gedacht haben, es reicht aus, den Menschen von Zwängen zu befreien, dass sie ihr Leben leben können, und dann wendet sich alles für jeden Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft zum Guten. Was uns aber die Geschichte lehrt, was uns die Zeit gezeigt hat, ist, dass das zu wenig ist, sondern dass Selbstverwirklichung immer auch Unterstützung braucht. Nicht jeder verwirklicht sich selbst aus sich alleine heraus, sondern er braucht eine Befähigung zur Selbstverwirklichung.
Oder anders gesagt: Der Optimismus der frühen Liberalen, dass eben die Freiheit von Zwang die Probleme löst, ist eben unzureichend. Ein heutiger Liberalismus muss deutlich machen, dass er den Menschen zur Freiheit befähigen will, dass es gesellschaftliche Strukturen braucht, Unterstützung braucht, damit Freiheit überhaupt möglich werden kann.
Brink: Dann müsste eigentlich, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, es eine Antwort geben der FDP auf solche Fragen wie Bildung zum Beispiel.
"Ein wesentlicher Punkt zur Selbstverwirklichung ist Bildungspolitik"
Goldschmidt: Das ist ganz zentral. Also ein wesentlicher Punkt zur Selbstverwirklichung ist Bildungspolitik. Wenn wir gerade in Deutschland schauen, wie ungerecht Bildung und die Wahrnehmung von Bildungschancen nach wie vor verteilt ist, dann wäre es eine zentrale Aufgabe, zu überlegen: Wie können wir die Bildungslandschaft so verändern, dass Kinder unabhängig von ihrem Elternhaus entsprechend ihrer Fähigkeiten Lebenswege gehen können, Bildung erreichen können, die es ihnen ermöglicht, ein gutes, ein gelingendes Leben zu haben, sich selbst und ihre Fähigkeiten tatsächlich verwirklichen zu können? Das ist gut für jeden Einzelnen, das ist gut für die Gesellschaft. Und das muss eine liberale Botschaft sein: Macht Bildung so, dass tatsächlich unsere Kinder ihre Fähigkeiten nutzen können.
Brink: Ich höre aber diese Stimme in der FDP momentan überhaupt nicht. Das ist ja vielleicht auch ein Grund, warum sie so unpopulär geworden ist, weil sie sich dann wirklich von diesem Liberalismus, den Sie skizziert haben, entfernt hat und ja letztendlich eine Lobbypartei geworden ist, in der es um Hotelsteuern geht?
Märkte zum Nutzen von Menschen
Goldschmidt: Na, sicherlich war das eine sehr unglückliche Debatte, und natürlich ist es auch richtig, dass eine liberale Partei und dass liberale Politik sich auch um Märkte, um Wettbewerb, um Freiheit auf den Märkten Gedanken machen muss. Das ist ein wichtiges Thema und es ist wichtig, zu überlegen: Was bedeutet eigentlich Freiheit von Märkten heute? Wie können wir Märkte so gestalten, dass sie zum Nutzen von Menschen sind? Auch das wurde zum Teil vernachlässigt. Aber - und das ist eben wichtiger - das ist nicht alles für eine liberale Politik. Liberale Politik muss meines Erachtens heißen, eben eine liberale Gesellschaftspolitik zu machen.
Da ist Wirtschaftspolitik ein wichtiger Teil von, aber es müssen eben auch die Grundlagen, die Grundsätze einer liberalen Gesellschaft geschaffen werden und das bedeutet eben, sehr viel auch darüber nachzudenken: Wie können wir Menschen dazu bringen, sich selbst verwirklichen zu können? Also eine liberale Partei ist eine Partei, die sich auch Gedanken machen muss um Sozialpolitik, die sich Gedanken machen muss um Chancengerechtigkeit, die sich Gedanken machen muss, wie Wege zur Selbstverwirklichung aussehen können, wie eine Vielfalt von Lebenswegen aussehen kann, welche unterschiedlichen Lebensläufe es gibt und wie wir Menschen auf diesen Lebensläufen immer wieder Unterstützung geben können, um sich verwirklichen zu können.
Brink: Aber diese ganzen Fragen, die werden ja schon bei den Grünen beantwortet, bei der SPD, sogar bei der CSU. Da gibt es ja auch liberale Flügel. Brauchen wir dann die FDP noch mal, um das jetzt ganz genau auf den Punkt zu kriegen, wenn wir von denen sowieso nichts hören in dieser Beziehung?
Positionen hörbar machen
Goldschmidt: Na, sagen wir mal so: Ihre Bedeutung wird wahrscheinlich schwieriger zu legitimieren, wenn sie nicht auch in diesen Positionen hörbar wird. Und ich kann es eben einer Partei nur empfehlen, genau diese Dinge stark zu machen, die sich als liberale Partei versteht, tatsächlich dafür einzutreten. Es geht um die Freiheit des Menschen, es geht um die individuelle Freiheit des Menschen.
Ich glaube, das ist wichtig und das ist auch etwas, was eine liberale Partei vielleicht auch noch mal stärker und selbstbewusster nach vorne bringen kann als eine andere Partei, gerade auch, wenn man sieht, welche Problemlagen es auch global gibt, wenn man sieht, welche Macht mittlerweile wieder totalitäre Ideologien spielen - Stichwort IS -, wenn man sieht, wie der Einzelne sich teilweise der Masse unterordnet, um bestimmte ideologische Ziele zu erreichen.
Ich glaube, da ist die liberale Stimme ganz wichtig, zu sagen: Unsere Botschaft, unsere Tradition der Aufklärung ist eben, die Freiheit des Menschen zu befördern, aber wichtig ist es dafür eben, gesellschaftliche Strukturen zu ändern. Ich glaube, wenn eine Partei so auftritt, dass sie sagt, es geht um den Einzelnen und es geht aber auch darum, den Einzelnen zu unterstützen, dann kann eine Partei gehört werden.
Brink: Genau, wir suchen ja so ein bisschen nach diesem liberalen Kern, auf dem ich jetzt auch ein bisschen doch insistieren möchte. Die FDP war ja lange auch ein Korrektiv, das Staatsferne propagiert hat, also mal so formuliert: Nicht alles ist per Gesetz zu lösen. Wäre das auch ein wichtiges Merkmal?
Sozialpolitik, die dem Menschen hilft
Goldschmidt: Ich würde sagen, eine ganz wichtige liberale Botschaft wäre, zu sagen: Es geht nicht um mehr oder weniger Staat, sondern es geht um den besseren Staat. Es geht nicht um quantitative Fragen, wie viel Staatstätigkeit oder wie viel Sozialpolitik, sondern es geht darum, welche Sozialpolitik - und eine gute Sozialpolitik ist eine, die dem Menschen hilft, die Menschen befähigt, die in unterschiedlichen Lebenssituationen, in unterschiedlichen Nöten unterstützt. Der große Liberale und Vordenker der sozialen Marktwirtschaft Alexander Rüstow hat es mal Vitalpolitik genannt.
Das hört sich für uns heute so ein bisschen antiquiert an, aber was er damit meint, ist, es geht immer darum, zu fragen: Die Politik, die ich betreibe - was hilft es den Menschen, ein vitales und das heißt ein glückliches, ein gutes, ein gelingendes Leben zu führen? Und das ist der Kern, auf dem aus meiner Sicht eben eine liberale Partei auch wieder zurückkommen muss.
Brink: Professor Nils Goldschmidt, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Siegen. Danke für das Gespräch!
Goldschmidt: Vielen Dank, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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