Corona rund um Zittau
Unter den Teilnehmern der "B96-Proteste" seien auch Anhänger der rechtsextremen „Freien Sachsen", sagt Zittaus OB Thomas Zenker. © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Kranke Pflegekräfte, Lockdown-Angst und Protest auf der B96
10:33 Minuten
Corona hat das Dreiländereck zwischen Sachsen, Tschechien und Polen rund um Zittau im Griff: Die Kinos sind geschlossen, Pflegekräfte fallen aus, Gastwirte haben Angst vor dem Ruin. Und der Protest gegen den Staat radikalisiert sich.
Der sächsische Corona-Wellenbrecher: Er hat auch vorm Kunstbauerkino in Großhennersdorf nicht Halt gemacht. Am 21. November lief der letzte Streifen: „Nowhere special“, ein britisches Melodram.
Seitdem hat das Alternativkino zu. Filmvorführer Thomas Fux kennt das schon. Im Sommer war die Welt in der Oberlausitz noch in Ordnung, gab es kaum Corona-Fälle. Und jetzt ist das Klinikum im benachbarten Ebersbach am Limit. „Klar geht das an die Substanz“, sagt Fux.
Diese Woche erst hat die sächsische Landesregierung die Corona-Maßnahmen für vier Wochen verlängert. Doch er wolle nicht jammern, meint der Mann mit dem schulterlangen, grauen Haar. Schließlich konnte im September das „Neiße-Filmfest“ über die Bühne gehen, in abgespeckter Form zwar, aber immerhin.
„Es ist ja schon das zweite Mal in Folge, dass wir das verschieben mussten“, ergänzt Antje Schadow vom Vorstand des Kunstbauerkinos. Eigentlich findet das Festival immer im Mai statt.
„Dass wir das kleiner machen mussten, dass alles unsicher war und man nie wusste: Was kann man wo überhaupt durchführen? Unter welchen Bedingungen?“ Das sei ziemlich belastend. Und: „Es macht keinen Spaß.“
Noch ist keiner der Fördermittelgeber abgesprungen, scheinen die 75.000 Euro, die die beiden fürs Filmfest im nächsten Jahr brauchen, gesichert zu sein.
Angst vor dem nächsten Lockdown
Knut Poppken fiebert seiner dritten Impfung entgegen. Er ist Betreiber der Kammbaude, einer Gaststätte mit deftiger Hausmannskost im Touristen-Ort Oybin. „Es ist gespenstisch. Man sieht ja keinen. Keine Leute, hier in Oybin.“ Nicht nur die Gastronomie, auch die Einzelhändler leben vom Tourismus.
Die sächsischen Corona-Maßnahmen haben auch dafür gesorgt, dass vorläufig keine Urlauber mehr im Freistaat übernachten dürfen. Im Sommer und Herbst hatte er noch volles Haus, viele Geburtstagsfeiern.
Doch jetzt kann der Gastwirt an manchen Tagen die Gäste an zwei Händen abzählen. Kein Wunder, bei den Öffnungszeiten: Um 20 Uhr muss er schließen. Und 2G ist auch nicht gerade geschäftsfördernd.
Der Mittfünfziger fürchtet einen erneuten Lockdown. „Dann wird's hart. Die Angestellten würden Kurzarbeitergeld kriegen. Aber wie viele bleiben dann noch von den Angestellten, wenn sie das zweite oder dritte Mal in Kurzarbeit gehen?“
Stress in der Kita "Zwergenhäusl"
In Lückendorf, einem malerischen Flecken an der tschechischen Grenze, war im vergangenen Jahr, im ersten Lockdown, der Grenzübergang monatelang dicht. Weder konnten die acht tschechischen Kinder noch die tschechischen Erzieherinnen ins „Zwergenhäusl“, die zweisprachige Kita.
So etwas möchte Leiterin Maria Zimmer nicht noch einmal erleben. Schließlich hat die Pädagogin ohnehin schon genug Stress, seit für alle sächsischen Kitas „eingeschränkter Regelbetrieb“ gilt.
„Das bedeutet feste Kerngruppen, die mit festem Personal abgedeckt werden müssen“, erklärt sie. „Und das bedeutet: Einer hat immer Frühschicht, einer hat immer Spätschicht. Und man muss unweigerlich Überstunden machen. Das ist natürlich sehr anstrengend und belastend.“
Anstrengend sind zuweilen auch die Eltern. Besonders die, die auf die Hygieneregeln pfeifen und jeden Montag auf der B96 demonstrieren, gegen die „Corona-Diktatur“.
„Ich weiß von Eltern, die wir haben, die da montags mitgehen. Und ich weiß von Eltern, dass die die Maßnahmen, die wir auch in der Kita haben – wie zum Beispiel mit Maske durchs Gebäude zu gehen – dass die davon nicht viel halten und es zum Teil auch nicht umsetzen.“ Anstatt ihre Energie mit ständigen Aufforderungen zum Masketragen zu verschwenden, hole sie irgendwann selbst die Kinder an der Tür ab.
In ihrem Büro liegen die Corona-Schnelltests aller Angestellten. „Ob geimpft, ungeimpft oder genesen: Wir testen uns alle als Vorsichtsmaßnahme.“
Pöbelnde Coronaleugner vor dem Testzentrum
Testen, testen, testen: Das gilt auch im alten Schlecker-Markt von Großschönau unten am Bahnhof. Der ist jetzt – wieder – ein Testzentrum. „Montag früh, sieben Uhr, machen wir auf“, sagt Leiterin Anita Lück-Lange. „Dreiviertel sieben stehen schon viele Firmen vor der Tür. Die ganzen Bauarbeiter – die müssen ja den Negativtest vorweisen.“
Vor zwei Wochen hat das Testzentrum aufgemacht – wieder aufgemacht. Im Frühling gab es schon mal eines, doch das wurde im Sommer zugemacht, als die Inzidenz gen Null tendierte und viele Corona auf die leichte Schulter nahmen. Ein Fehler – das muss man der Frau in der schwarz-weißen Bluse nicht zwei Mal sagen, sie kennt die Fakten: die niedrige Impfquote von weniger als 60 Prozent im Landkreis.
Coronaleugner, die Heiratsanzeigen schalten: „Ungeimpfter sucht Ungeimpfte“. Ein, zwei von denen sind schon vorm Zentrum aufgetaucht – pöbelnderweise. Doch das bleibt die Ausnahme. Immer wieder brächten Menschen Süßigkeiten oder Kuchen als Dankeschön, erzählt Lück-Lange.
Ihre Chefin Kerstin Rokita, die den Kreisverband der Johanniter Unfallhilfe leitet, weiß dagegen gerade nicht, wo ihr der Kopf steht. Acht ambulante Pflegedienste im Umkreis, die tausend Pflegebedürftige versorgen. „Und wir haben eine große Anzahl von Mitarbeitern, die ausgefallen sind – aufgrund der Pandemie oder auch anderer Erkrankungen. Wir sind absolut am Limit.“
Impfen ist zur Glaubensfrage geworden
Thomas Zenker, Oberbürgermeister der 25.000-Einwohnerstadt Zittau im sächsisch-tschechisch-polnischen Dreiländereck, ist gerade in Quarantäne. Seine zwölfjährige Tochter ist an Corona erkrankt.
„Ich bin sehr froh, dass es glimpflich abgelaufen ist“, sagt der 46-Jährige. Aber: Für einige Querdenker war das ein gefundenes Fressen – dass sich ausgerechnet die Tochter des OBs in ihrer Schule infiziert hat, trotz Schutz-Impfung.
Die Frage, impfen, ja oder nein, sei „zu einer Glaubensfrage geworden“. Natürlich sei es das gute Recht eines jeden einzelnen, die Corona-Maßnahmen in Frage zu stellen, erklärt der Oberbürgermeister von der Wählergemeinschaft „Zittau kann mehr“.
Andererseits seien unter den Protestierenden, die jeden Montag die Bundesstraße 96 entlang spazieren, nun mal nicht nur brave Bürger und Bürgerinnen, sondern auch Leute von den rechtsextremen „Freien Sachsen“.
Die Proteste radikalisieren sich
Ihr Protestmarsch endet immer unter Zenkers Dienstzimmer im Rathaus. „Inzwischen traditionell mit dem Abschlusslied: ‚Die Gedanken sind frei.‘ Als ob sie‘s nicht mehr wären.“
Die „unsäglichen Vergleiche mit dem DDR-Regime, mit der NS-Diktatur, selbst mit Luther“ seien immer noch da. „Es hat sich in meinen Augen da ein ganz harter Kern gebildet.“ Seit zwei Jahren finde eine Radikalisierung statt, so der OB. Und fügt hinzu: Natürlich sei das nur eine Minderheit, wenn auch eine lautstarke.
Bei der Bundestagswahl allerdings hat die AfD das Direktmandat im Wahlkreis geholt, wie schon bei der sächsischen Landtagswahl. „Ich glaube, dem kommt man nur mit viel Geduld und Durchhalten bei.“
Und, sagt Zenker: „Ich rufe auch nicht direkt zum Impfen auf. Ich bitte die Menschen, sich seriös ein Urteil zu bilden. Dass sie ihre Hausärzte fragen. Und wenn sie sich dagegen entscheiden, dann ist meine direkte Bitte immer noch die: Dann haltet wenigstens, verdammt noch mal, die Hygiene-Regeln ein!“