Dresden 1989 versus 2016

Einheitsfeiern: Wenn der Rausch versiegt

Helmut Kohl bei einem Besuch in Dresden am 19. Dezember 1989
Der denkwürdige Besuch von Helmut Kohl in Dresden im Jahr 1989 © dpa / picture alliance
Von Winfried Sträter |
1989 war Dresden im kollektiven Rausch: Helmut Kohl besuchte damals Dresden, die Dresdner huldigten ihm. Doch war damals nicht schon die heutige Pegida-Wut in dieser Begeisterung angelegt? Das fragt sich der Redakteur Winfried Sträter.
Seit 26 Jahren feiern wir am 3. Oktober den Tag der Deutschen Einheit. Eigentlich soll ein solcher Nationalfeiertag die Einheit der Nation demonstrieren – aber in den letzten 25 Jahren war der Tag der Deutschen Einheit eine eher bemühte Veranstaltung einer nur mäßig interessierten Nation. In diesem Jahr bot Dresden die ganz andere Kulisse: Die Limousinen mit der Standarte fahren vor, die Bundeskanzlerin steigt aus, schüttelt dem mit Amtskette geschmückten Dresdner Oberbürgermeister die Hand, dem sächsischen Ministerpräsidenten, den Ehefrauen. Im Hintergrund skandiert die Menge: "Hau ab! Volksverräter!" Ein älterer Mann sagt in ein Mikrophon: "Das Weib, die uns regiert, muss sich zu Tode schämen, dass sie überhaupt noch sich hierher wagt." Auf den Plakaten ist "Merkel Diktatur" und "Politiker Abschaum" zu lesen.

Die Erwartungen waren unerfüllbar

Dresden 2016. Erinnern wir uns noch, als der damalige Bundeskanzler, Helmut Kohl, Dresden besuchte, 1989? Dresden huldigte dem starken Mann, schwelgte in der Erwartung einer deutschen Einheit in naher Zukunft. Und dass dann alles gut wird. Ein kollektiver Rausch. "Es ist eine Demonstration für Demokratie", rief Kohl rief den Demonstranten zu. Im Pathos der Kundgebung mit den schwarzrotgoldenen Fahnen ging unter, wie vage der Begriff Demokratie war.
Wer sich die Bilder noch mal ansieht, fragt sich, ob nicht im Rausch jener Tage schon die Pegida-Wut steckte, die sich heute austobt. Weil die Erwartungen an die Einheit und die Demokratie unerfüllbar waren. Irgendwie Demokratie zu fordern, ist ja leicht. Auch in Westdeutschland hat es nach 1945 Jahrzehnte gedauert, bis man von einer echten Demokratisierung sprechen konnte – und das erst nach heftigen politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.
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