Hilft politische Kunst gegen Populismus?
Überall wo Populisten die Straße für sich reklamieren, mischen sich auch Künstler ein. Aber kann Kunst die Stimmung in einer Stadt nachhaltig verändern? Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ist vorsichtig optimistisch – wenn die Qualität stimmt.
Stephan Karkowsky: Seit einigen Monaten bereits mischt sich die Kunst kräftig ein, überall da, wo Populisten die Straße für sich reklamieren, wie etwa in Dresden. Da gibt es die umgekippten Busse des deutsch-syrischen Künstlers Manaf Halbouni vor der Frauenkirche. Oder in der Dresdner Annenkirche einen schwarzen Jesus als Altarbild. Und dann stellt auch noch jemand den Dresdner Fernsehturm im Miniaturformat mitten in die Stadt, mit einem Halbmond auf der Spitze.
Über alles wird gestritten, aber immerhin sprechen die Menschen wieder miteinander. Und Pegida ist nicht mehr das einzige Thema. Ob Kunst die Stimmung einer Stadt nachhaltig verändern kann, das wollen wir von Marion Ackermann wissen. Sie ist die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Guten Tag!
Marion Ackermann: Guten Tag!
Karkowsky: Frau Ackermann, Sie waren im Januar selbst dabei, als die Dresdener Wutbürger von der Stadt zu einem Bürgerforum eingeladen wurden. Da ging es vor allen Dingen um den Skandal mit den Bussen vor der Frauenkirche. Wie haben Sie dieses Treffen in Erinnerung?
Ackermann: Zunächst mal sehr positiv. Ich habe noch in keiner anderen Stadt, in der ich bisher gearbeitet habe, und das waren München, Stuttgart und Düsseldorf, so eine intensive und offene Bürgerdiskussion erlebt, die auch mit so großen Emotionen vorgetragen worden war. Jeder bekam nur eine Minute, und vielfältigste Meinungen waren zugelassen.
"Alle hat eine große Liebe zur Kunst verbunden"
Karkowsky: Waren die Dresdener beleidigt, dass man ihnen drei Schrottbusse als Kunst verkaufen wollte, obwohl sie in den Staatlichen Kunstsammlungen doch sehen können, was richtige Kunst ist, nämlich Caspar David Friedrich, Otto Dix, Max Liebermann und so?
Ackermann: Es war so, dass man gar nicht sagen konnte, dass es die Dresdener so homogen gibt. Wenn man das nach Generationen aufgliedert, gab es unter den ganz jungen einige sehr aggressive Positionen, die man auch als sehr rechtspopulistisch nennen kann und die generell gegen politische Kunst sich geäußert haben, aber unter den älteren zum Beispiel sehr viele, die die Notwendigkeit einer solchen Kunst gesehen haben. Es war sehr durchwachsen.
Was interessant war, dass eigentlich alle eine große Liebe zur Kunst verbunden hat. Zum Beispiel fiel das Stichwort Otto Dix, dass das ja so eine Kunst sei, große Kunst. Dabei ist das ja die radikalste Kunst des 20. Jahrhunderts mit diesen Umsetzungen des verwesenden Körpers in Malerei. Extrem radikal.
Karkowsky: Das Triptychon.
Ackermann: Das Kriegs-Triptychon, das sich im Albertinum befindet. Und damals war Otto Dix ja in gleicher Weise kritisiert und angefeindet, das darf man nicht vergessen.
"Das Verständnis für zeitgenössische Kunst vorantreiben"
Karkowsky: Es wurde ja auch viel gefragt nach dem Geld, das für Kunst ausgegeben wird, mit der nicht jeder einverstanden ist, nach dem Motto, ich gebe meine Steuern doch nicht für euren Quatsch aus. Ist das eine anhaltende Diskussion?
Ackermann: Das ist eine Diskussion, die sich natürlich durch das ganze 20. Jahrhundert zieht, wo man gedacht hat, das hat man gehabt am Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Moderne einzog. Ich hatte allerdings auch das eine oder andere Mal in Düsseldorf erlebt, als ich zum Beispiel einen Raum von Thomas Hirschhorn erworben habe. Das ist jetzt nicht so, dass diese Form der Argumentation nur hier vorkommt.
Karkowsky: Wie haben Sie Ihre Aufgabe gesehen in dieser Diskussion, gerade bei diesem Bürgerforum damals?
Ackermann: Ich habe meine Aufgabe darin gesehen, auch auf ein gewisses Expertentum oder eine Form der Erfahrung mit Kunst hinzuweisen, ohne arrogant aufzutreten. Ich komme ja nun aus dem Westen, und die Geschichte Dresdens zeigt ja, dass es einmal eine große Moderne gab, eben dann zunächst in der Zeit des Dritten Reiches viele Werke als entartet weggenommen wurden, und natürlich in der DDR ein ganz anderer Kunstbegriff vorgeherrscht hat.
Also, ich komme mit einem anderen Kunstbegriff, von dem ich nicht annehmen kann, dass er praktisch als selbstverständlich erachtet wird. Also muss man erst mal erläutern und muss auch für seine Meinung differenziert einstehen, aber auch erklären, warum.
Karkowsky: Nun sind die Dresdener ja in den letzten Monaten stark gefordert worden, in den letzten Jahren, muss man sagen. Erst von rechts, dabei weiß man natürlich auch im Westen, dass nur die Wenigsten wirklich bei Pegida mitlaufen. Und dann von der Kunst, deren Kritiker doch sicherlich nicht nur eine Schnittmenge mit den Pegidas bilden, oder?
Ackermann: Nein, das ist ganz klar. Trotzdem muss man sagen, dass es ganz wichtig ist, das Verständnis für zeitgenössische Kunst voranzutreiben, aber dabei eben auch die eigenen Traditionen nicht außer Acht zu lassen. Man kann nicht einfach nur eine internationale oder westlich dominierte Kunst aufpfropfen, sondern man muss gucken, was gibt es eigentlich für fantastische Traditionen, die vollkommen unterdrückt wurden? Wie kann man die Dinge neu erzählen jetzt, 28 Jahre nach der Wiedervereinigung? Das ist eine ganz große Herausforderung, dass man die Kunst auch als Mittel nimmt, als Plattform, um darüber zu ganz anderen Formen von tieferen Verständigungen vorzustoßen.
"Über Kunst Dinge zum Positiven beeinflussen"
Karkowsky: Was halten Sie denn von den politischen Kunstaktionen, die ich in der Anmoderation erwähnt habe?
Ackermann: Ich finde es sehr gut dann, wenn die Qualität der Werke stimmt. Diese Arbeit Manaf Halbounis war eine so großartige Arbeit, weil sie so lakonisch war, so einfach. Dieses Bild der Busse, das tritt in eine starke kunstgeschichtliche Tradition des Nouveau Réalisme. Und wenn man mit großer Kunst überzeugt, wie auch natürlich Marlene Dumas eine fantastische Malerin ist – übrigens müsste ich noch viele andere nennen: Anischka Pur hat den Altar in der Unterkirche geschaffen, und viele Künstler bekennen sich ja gerade zu Dresden. Wenn die Qualität stimmt, dann halte ich das für extrem wichtig, dass man mit den Mitteln der Kunst hier agiert.
Karkowsky: Fallen Ihnen denn auch Negativbeispiele ein?
Ackermann: Es ist ja die ganze Diskussion, wie weit man den öffentlichen Raum oder öffentliche Plätze nutzt, um zu solchen Verständigungen zu kommen in einer Demokratie. Ich bin immer sehr skeptisch, was Aufstellungen von Werken dauerhaft als Denkmäler oder Ähnliches an öffentlichen Plätzen betrifft. Das führt dann sehr schnell zu einer Stadtmöblierung und hat nichts mehr mit Demokratie zu tun. Und da eine gute Form zu finden, also durch ephemere Formen, durch die Möglichkeit, Dinge auch wieder wegzunehmen – also gerade im öffentlichen Raum muss man auch ein öffentliches Gespräch und verschiedene Meinungen zulassen können.
Karkowsky: Und die Frage muss natürlich auch lauten, lässt sich der Populismus überhaupt beeindrucken von provokanter Aktionskunst, oder sehen sich die Wutbürger dadurch nicht vor allem in ihrer Haltung bestätigt, dass der Staat, den die ja als Elite sehen, auch nur elitäre Projekte unterstützt, die kein Schwein versteht, in der Sprache der Straße, die aber ein Heidengeld kosten, das man gut für andere Dinge ausgeben könnte.
Ackermann: Gut, das ist aber auch eine Frage des Durchhaltens und der Vermittlung. Vielleicht könnte man ja auch den Blick mal auf andere Orte richten. In Paris ist ja gerade so ein Raum von Kader Attia eingerichtet worden, "La Colonie", wo er intensiv als Künstler politisch arbeitet und den französischen Wahlkampf begleitet hat und hundert antirassistische Gedichte vorgelesen hat. Es gibt ja an vielen Orten der Welt gerade solche Versuche, über Kunst Dinge auch zum Positiven zu beeinflussen. Und ich glaube schon daran, dass man darüber die Möglichkeit hat, Menschen zu erreichen, wenn die Kunst überzeugend und gut ist.
"Unheimlich viel ausgelöst"
Karkowsky: Und wie können sich die staatlichen Kunstsammlungen da beteiligen? Dürfen sie das überhaupt, sich politisch engagieren?
Ackermann: So genau festgeschrieben ist das ja in keinen Statuten, aber wir haben einen öffentlichen Auftrag, und dieser öffentliche Auftrag umfasst ja auch alle Formen von Bildung. Ich würde schon das als Teil unseres Auftrags sehen, in zunächst mal politischer Neutralität auf demokratischem Boden etwas dazu beizutragen, dass es ein positives gesellschaftliches Miteinander gibt. Eine Möglichkeit, eine der Maßnahmen, die wir begonnen haben, ist, dass wir auch die Rolle des Handwerks stärken wollen. Das ist ja gerade eine Diskussion, dass die Gesellschaften so auseinanderdriften, gerade in England nach dem Brexit, dass eigentlich die Rolle der Hand im Werk vergessen worden ist, und dass es ein Mittel ist, um die Menschen zu binden. Dann machen wir einen großen Fachkongress in Dresden international, wo wir die Rolle der enzyklopädischen Museen in diesen politisch komplexen Zeiten untersuchen wollen.
Wir drehen es eigentlich um: Dresden ist gerade eine Bühne für rechtspopulistische Bewegungen, und wir wollen es umgekehrt nutzen als Bühne und Modellfall, um auch zu zeigen, was man tun kann von künstlerischer Seite, um diese Dinge stärker zu reflektieren und kritisch damit umzugehen.
Karkowsky: Merken Sie denn bereits eine Wirkung? Würden Sie sagen, die Stimmung heute in Dresden nach all diesen Kunstaktionen ist eine andere, vielleicht sogar eine bessere als noch im Januar?
Ackermann: Ja, unbedingt. Gerade diese Installation von Manaf Halbouni hat unheimlich viel ausgelöst. Es hatte so eine fast befreiende katalysatorische Wirkung, wahrscheinlich, weil so viel diskutiert worden ist. Es hatte fast eine positive Stimmung, hat sich das verändert. Dann kam plötzlich noch das Überraschungskonzert von den Toten Hosen – man spürt es.
Karkowsky: Wie politische Kunst im Dresdener Stadtraum wirken kann gegen Populismus, das waren Fragen an die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, an Marion Ackermann. Ihnen besten Dank!
Ackermann: Gerne, Danke!
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