Martin Tschechne ist promovierte Psychologe, arbeitet als Journalist und lebt in Hamburg. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPs zeichnete ihn kürzlich mit ihrem Preis für Wissenschaftspublizistik aus. Zuvor erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern (Verlag Ellert & Richter, 2010).
Kann man mit Kunst Pegida bekämpfen?
Ist Dresden eine europäische Kunstmetropole und Magnet für Touristen aus aller Welt? Oder doch eher Wohnort des hässlichen Deutschen, der hässliche Parolen auf dummen Veranstaltungen brüllt? Mit der Kraft der Aufklärung versucht die Kunstszene, die öffentliche Wahrnehmung zu drehen.
August der Starke hatte eine Schwäche für feines Porzellan. Die Geschichte ist bekannt – was aus der Leidenschaft des Potentaten folgte, war erstens eine Porzellanmanufaktur in Meißen, die auch 307 Jahre nach ihrer Gründung uneingeschränkt Weltruf genießt. Und zweitens eine Sammlung von Kostbarkeiten, die der Residenzstadt Dresden jedes Jahr mehr als zwei Millionen Besucher beschert.
Was natürlich sogleich die Frage aufwirft: Kann man die Leute mit Kunst erziehen? Und wenn ja: Wohin kann man sie mit Kunst erziehen? Dass sie sich bemalte Zuckerdöschen in die Vitrine stellen und ihre Freude daran haben? Oder vielleicht auch dahin, dass sie nicht mehr irgendeinem Hassprediger hinterhertrotten und "Ausländer raus!" brüllen – ausgerechnet da, wo es so gut wie keine Ausländer gibt?
Woraus sich die ganz grundlegende Frage herleitet: Wenn man die Leute mit Kunst erziehen kann – lohnt es sich also, sie zur Kunst zu erziehen?
Erklären, womit die Kunst alle vor den Kopf stoßen will
In Dresden läuft zur Zeit ein Feldexperiment, das genauer zu betrachten sich lohnt. Nicht nur, weil gerade Hochsaison ist und die Touristen sich über die Brühlsche Terrasse schieben, als hofften sie, sich noch nachträglich in die Staffage des berühmten Canaletto-Blicks drängen zu können, den der Dresdner Hofmaler im Jahr 1748 gemalt hat, und der heute noch ganz genauso aussieht. Alles originalgetreu nachgebaut.
Nein, spannend an diesem Experiment ist die Tatsache, dass die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit Grünem Gewölbe, Porzellansammlung und der Gemäldegalerie Alte Meister seit Anfang des Jahres eine neue Generaldirektorin haben. Ihr Name ist Marion Ackermann, und sie kommt aus Düsseldorf, wo sie zuvor die famose Kunstsammlung NRW leitete – eine Sammlung also mit Werken von Jackson Pollock und Joseph Beuys und überhaupt allem, womit die Moderne des 20. Jahrhunderts ihr Publikum vor den Kopf stoßen, mindestens aber mal so richtig provozieren wollte. Mit dem Erfolg, dass die Leute es liebten und Düsseldorf zu einem Dreh- und Angelpunkt all dessen wurde, was hip und schick und angesagt ist. Kraftwerk, großes Geld, Werbeagenturen, Modedesigner, Ferrarifahrer.
Pegida & Co. verprellen auch hunderttausende Touristen
In Dresden liegen die Probleme anders. Zwar blühen die Technologieparks in Sachsen auf, dass es dem verstorbenen Altbundeskanzler eine helle Freude gewesen wäre, aber immer ist da auch eine andere, eine dunkle, schwer verständliche Seite. Um eine halbe Million ist die Zahl der Besucher zurückgegangen, seit Pegida und Identitäre und ganz gemeine Neonazis die Stadt als Aufmarschgelände für ihre Hetzkampagnen nutzen. 500.000 Menschen, die kein Hotel buchen, keinen Kaffee vor der Frauenkirche trinken und keinen Eintritt ins Museum zahlen. Das muss eine Stadt sich leisten können. Finanziell und ideell.
Der wilde Geist des barocken Schnörkels
Die Kunsthistorikerin begegnet dem Problem mit freundlicher Gelassenheit. Sie wusste, worauf sie sich einlässt. Pegida marschiert ja nicht erst seit gestern. Eigentlich ist sie genau deshalb nach Dresden gekommen. Also geht sie auf die Leute zu, nimmt ihre Bedenken ernst. Das hat sie im Umgang mit den Fettecken und Klecksbildern in Düsseldorf so gelernt. Die Moderne war nie ganz leicht zu vermitteln.
Also macht sie ihrem Publikum klar, dass die blühenden Landschaften in Sachsen nicht allein mit dem teuren Porzellan zu tun haben, sondern mit dem Aufbruchsgeist, der solche Kunst erst möglich gemacht hat. Dass schon ihr großer August also ein ganz schön wilder Kerl gewesen sei. Heute würde man sagen: ein Avantgardist. Und dass derselbe wilde Geist, der sich in barockem Geschnörkel manifestiert, auch aus der Barrikade spricht, die ein deutsch-syrischer Künstler im Frühjahr vor der heiligen Frauenkirche errichtet hat: drei senkrecht stehende Autobusse als Mahnmal für Aleppo.
Die Museumsfrau hat’s erläutert, geduldig. Manch einer hat noch mal drüber nachgedacht. Und die Kunst darf auch weiterhin die Zukunft ins Auge fassen.