Dresden und die Rechte

Eine Stadt und ihr rechter Makel

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"Die Welt bereichert Dresden" – steht auf einer Straßenbahn. Eine Initiative einiger kommunaler Einrichtungen. © Deutschlandradio / Thilo Schmidt
Von Thilo Schmidt |
Lange hat man in Sachsen den rechten Rand verharmlost. Auch in Dresden. Doch die Stadt steht mit dem Rücken zur Wand: Touristen kommen nicht mehr so zahlreich, auch Wissenschaft und Kultur wenden sich ab. Doch es scheint, als komme Bewegung in die Zustände.
Dresden. Epizentrum des jahrzehntelang unterdrückten sächsischen Mythos. Es steht wieder in voller Pracht da, nach der Zerstörung in der Bombennacht vom 13. Februar 1945. Frauenkirche, Zwinger, Semperoper.
Doch das Postkartenidyll hat längst ein paar "blaue" Flecken bekommen. Die Frage ist nicht mehr: "Was ist da los?" sondern: "Was kommt als Nächstes?" Und: "Wie kommen wir da wieder raus?".
Im Februar weiht Oberbürgermeister Dirk Hilbert, FDP, vor der Frauenkirche das "Monument" ein, ein Kunstwerk aus drei hochkant aufgestellten alten Linienbussen, die an eine Barrikade im syrischen Aleppo erinnern sollen, und die Zerstörung Aleppos mit der Zerstörung Dresdens 1945 in Beziehung setzt. Hilberts Worte, seine Appelle zu Austausch und Dialog, dringen kaum durch:
"Also die Herausforderungen, die in den letzten zwei, drei Jahren zu bewältigen waren, hatte ich so nicht erwartet. Das gesteh ich ehrlich."

"Dresden war keine unschuldige Stadt"

Die Herausforderungen waren auch: Hilbert stand unter Polizeischutz, er erhielt Morddrohungen. Wenig später sagt er mit Blick auf die Rolle der Stadt im Nationalsozialismus, "Dresden war keine unschuldige Stadt". Damit stellt er nicht weniger als den Opfermythos Dresdens in Frage. Was in "Elbflorenz" eine Provokation ist. Für den wütenden Protest auf der Straße und in den sozialen Netzwerken ist Hilbert damit ein "Volksverräter". Ein Kommentar lautete:
"Es braucht keine Politiker, die sich für die eigenen Opfer schämen und ihnen nachträglich ins Grab spucken."
Der Kommentar stammt von Jens Maier, AfD-Mitglied und Richter am Dresdner Landgericht.
Jens Maier, Richter am Landgericht Dresden und Bundestagskandidat der AfD, spricht auf dem AfD-Landesparteitag in Klipphausen (Sachsen) zu den Delegierten.
Jens Maier, Richter am Landgericht Dresden und Bundestagskandidat der AfD, spricht auf dem AfD-Landesparteitag in Klipphausen (Sachsen) zu den Delegierten.© dpa / Sebastian Kahnert
Maier ist ein gutes Beispiel dafür, was mit "sächsischen Verhältnissen" gemeint ist. Als Hilbert nach der Einweihung des "Monuments" gefragt wird, mit welchem Gefühl er jetzt nach Hause gehe, sagt er: "Mit einem 'jetzt erst recht'."
Hilbert: "Was wir erreicht haben – und das ist eine unwahrscheinlich starke Kraft der Kunst gewesen – dass eine inhaltliche Auseinandersetzung, einmal mit unserer eigenen Rolle im Zweiten Weltkrieg, aber auch mit der Tagespolitik von statten gegangen ist. Und auch welche Rolle dabei Kunst spielen kann. Also insoweit sage ich – aus meiner Sicht: Alles richtig gemacht."
Seit drei Jahren versammelt sich Pegida jeden Montag in Dresden. Bisweilen mit 25.000 Teilnehmern. So viele sind es längst nicht mehr, aber: Das Phänomen ist nicht verschwunden. Weder durch Ignorieren noch durch – berechtigtes – Sich-Empören. Was also tun?
Frank Richter in einer Interview-Situation. Richter war jahrelang Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen.
Frank Richter, Bürgerrechtler und Ex-CDU-Mitglied© imago stock&people
Bereits Ende 2015 initiierte Frank Richter, damals Direktor der Landeszentrale für Politische Bildung, Bürgerdialoge in der Dresdner Kreuzkirche:
"In dieser Phase aus Sicht der politischen Bildung nichts zu tun, wäre das Falscheste gewesen. Wir können doch nicht aufhören, von unseren eigenen Prinzipien der offenen, aufgeklärten Gesellschaft abzurücken und Menschen ins Gespräch zu verwickeln, nur weil wir den Eindruck haben, dass einige nicht erreicht werden können! Wir müssen es immer wieder versuchen."
Pegida-Gegner, Flüchtlingshelfer, Ausländer, die in Angst leben, Rechtspopulisten und auch Rechtsextremisten ergriffen das Wort.
Redner: "Was gedenken Sie zu tun, um den Fortbestand des Deutschen Volkes zu gewährleisten? Und was möchten Sie tun, um dieses Verbrechen des weichen Völkermordes an den Deutschen zu verhindern?"

Das Dilemma mit den Rechtspopulisten

Frank Richter wurde, vor allem von links, für die Bürgergespräche kritisiert. Der entgegnete: Verstehen heißt nicht akzeptieren, auch Rechtspopulisten bleiben Grundrechtsträger:
"Auch dann, wenn sie sich ihrerseits immer an die Grenze dieser freiheitlichen Ordnung bewegen. Und uns in Erregungskurven treiben wollen, als Gesellschaft, um die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu ziehen. Das bleibt ein Dilemma für uns! Das schlimmste wäre, diese Logik der Ausgrenzung, die es bei Rechtspopulisten gibt, mit der Logik der Ausgrenzung zu erwidern. Wir dürfen sie nicht entlassen, sondern wir müssen sie zur Ordnung rufen."
"Die Welt bereichert Dresden. Jeden Tag" – steht auf einer Straßenbahn, die Tag für Tag ihre Runden durch die Stadt dreht. Eine Initiative einiger kommunaler Einrichtungen, von Sparkasse bis Stadtwerke. Ein Reimwettbewerb, der humorvoll an Gemeinsames erinnern soll. Ein Gewinnervers:
"Der Miklós kommt aus Budapest
und feiert grad beim Elbhangfest.
Zusammen mit dem Huang Wai,
denn der kam gestern aus Shanghai."
Nur, der Huang Wai und der Miklós, die kommen seit einiger Zeit gar nicht mehr so gerne nach Dresden. Wissenschaftler und Touristen meiden die Stadt zunehmend.
Ein Kulturzentrum im Stadtteil Johannstadt. 80 Bürger diskutieren, wie sie sich ihre Stadt vorstellen. Dresden beteiligt sich am Bundeswettbewerb "Zukunftsstadt 2030."
Bürger aller politischen Lager haben Ideen für nachhaltige Zukunftsprojekte eingebracht und diskutieren darüber. Und wenn es gut läuft, können sie – vom Bund gefördert – umgesetzt werden. Projektkoordinator Norbert Rost von der Stadtverwaltung:
"Wir wollen auf die nachhaltige Zukunftsstadt hinaus. Und Nachhaltigkeit beinhaltet: Ökologische Fragen, soziale Fragen, ökonomische Fragen. Und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt ist ein zentrales Element. Das heißt, Projekte, die zur sozialen Spaltung beitragen, können in dem Projekt nicht verfolgt werden, das liegt in der Natur schon des Prozesses."

Nicht nur die Stadt ist durch Pegida gespalten

Menschen zueinander bringen durch konstruktiven Dialog, als ein Teil eines Auswegs. Denn nicht nur die Stadt ist durch Pegida und das Wutbürgertum gespalten. Der Riss entzweit schon längst Familien.
Rost: "Das, was sicherlich in Dresden immer ein Spannungsfeld darstellt, ist tatsächlich dieser soziale Zusammenhalt. Und wie man den verstärkt. Aber ein sozialer Zusammenhalt kommt ja auch dadurch zustande, dass man an gemeinsamen Projekten arbeitet."
Anfang September. Der Dresdner Stadtrat berät eine Vorlage des Oberbürgermeisters. Zur Abstimmung steht das Lokale Handlungsprogramm, das Projekte für Weltoffenheit und Toleranz fördern soll. Andernorts wäre das eine Randnotiz, in Dresden wird es zum Politikum. Der Oberbürgermeister und das Programm werden von einer Koalition aus AfD, NPD und Hilberts eigenem bürgerlichen Lager aus CDU und FDP heftig attackiert.
Brauns: "Und einen Absatz später steht: Das fremdenfeindliche, rassistische und nationale Ressentiments in der Gesellschaft stark verbreitet sind und antidemokratische Handlungen bis weit in die bürgerliche Mitte der Gesellschaft reichen."
Hans-Joachim Brauns, CDU-Fraktion.
Brauns: "Herr Oberbürgermeister, wer hat sie eigentlich gewählt? Doch wohl die breite bürgerliche Mitte! Diese breite bürgerliche Mitte!"
Urban: "Dieses Handlungsprogramm ...
Jörg Urban, AfD.
Urban: "... dieses Handlungsprogramm, es atmet den Geist der Umerziehung, es atmet den Geist einer Gesinnungsdiktatur, so wie wir sie aus dem kommunistischen und aus dem Nazi-Regime kennen."
Böhme-Korn: "Herr Oberbürgermeister, das ist das allerletzte Wort:"
Georg Böhme Korn, CDU.
Böhme-Korn: "Für dieses Papier müssen sie sich abgrundtief schämen!"
Beschlossen wurde das lokale Handlungsprogramm, das Dresdens Ruf bessern und die Stadt einen soll, am Ende mit den Stimmen der rot-rot-grünen Stadtratsmehrheit und der des Bürgermeisters. Der spontan eine persönliche Erklärung nachschickt.

"Keine Sternstunde unserer Stadt-Demokratie"

Hilbert: "Das, was ich hier jetzt erlebt habe, war wieder mal keine Sternstunde unserer Stadt-Demokratie, und das zeigt, wie dringend notwendig ein Handlungsprogramm ist. Und wenn man nicht erkennt, wo im Augenblick auch schwerpunktmäßig unsere Probleme in der Stadt liegen, dann ist das bedenklich und es ist ein Teil unseres Problems."
Dresden, reich an Vergangenheit, reich an Kultur. Eine Kultur, auf die die Dresdner zu Recht stolz sein können. Die Stadt bewirbt sich für das Jahr 2025 als Europäische Kulturhauptstadt. Auch das ein Teil eines Paradigmenwechsels? Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch, Die Linke:
"Die Kulturhauptstadt ist ein Projekt, wo es nicht darum geht, das Große, was man an Kunst und Kultur hat, auszustellen und aufzupolieren, sondern die Aufgabe ist, nachhaltige Stadtentwicklung zu betreiben, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen."
Es geht, sagt die Kulturbürgermeisterin, um nicht weniger als eine neue Kultur des Miteinanders.
"Es muss unser Ziel sein, Widersprüche produktiv aufzugreifen und andere Widersprüche auch auszuhalten. Andere Kulturen, Menschen mit anderen Hintergründen, mit anderen Erfahrungen auch Mitbürger werden zu lassen und das als Bereicherung zu empfinden – das kann man nicht verordnen. Das muss man empfinden."
Der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP).
Der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP).© Imago / Sven Ellger
Hilbert: "Es gilt für mich, dass die Menschen erkennen, dass in Pluralität, in Weltoffenheit unsere Zukunft, unsere Chance liegt."
Und während Ministerpräsident Tillich als Reaktion auf die Wahlergebnisse in Sachsen die CDU noch weiter nach rechts führen will, ist Oberbürgermeister Hilbert einer der wenigen, und vielleicht der erste – bürgerliche – Politiker, der Dresden Wege aus dem stillschweigendem Tolerieren rechter Umtriebe aufzeigt. Keine leichte Aufgabe.
Hilbert: "Vielleicht holen wir, in einer gewissen Brachialgewalt, Versäumnisse von 25 Jahren jetzt nach."
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