Drewermann kritisiert Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsvorwürfen

Eugen Drewermann im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Der Kirchen-Kritiker Eugen Drewermann wirft der katholischen Kirche vor, einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Missbrauchsvorwürfen aus dem Weg zu gehen. Die "reine Heilige Kirche" werde scheinbar vom Frevel einiger Mitglieder belastet, doch in Wirklichkeit sei sie daran mit beteiligt, sagte der Theologe.
Jan-Christoph Kitzler: Das wird diesmal keine Routinesitzung, wenn die katholischen Bischöfe Deutschlands von heute bis Donnerstag in Freiburg zu ihrer Frühjahrsvollversammlung zusammenkommen, denn die zahlreichen Missbrauchsfälle an katholischen Schulen, die seit Wochen die Medien hierzulande beschäftigen, sie werden andere wichtige Themen auf der Tagesordnung ziemlich in den Schatten stellen – zumindest zunächst. Mit Spannung erwartet wird vor allem ein Wort vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, von Robert Zollitsch, der sich heute erstmals öffentlich zu den Fällen äußern will. – Der Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann ist zwar vor fast fünf Jahren aus der Katholischen Kirche ausgetreten, er bleibt aber weiterhin ein kritischer Beobachter. Mit ihm bin ich jetzt in Paderborn verbunden. Guten Morgen, Herr Drewermann.

Eugen Drewermann: Guten Morgen!

Kitzler: Robert Zollitsch hat wochenlang gewartet mit einer Stellungnahme zu den Missbrauchsfällen. Wie erklären Sie sich das?

Drewermann: Natürlich hat er Scheu vor diesem Thema. Es genügt ja, auf das Problem hinzuweisen, das die Katholische Kirche jetzt seit den Tagen Martin Luthers hat, einem halben Jahrtausend, im Umgang mit ihren Klerikern hat. Vor genau 20 Jahren habe ich in dem Buch "Kleriker" darauf hingewiesen, dass jeder, der heute Priester oder Ordensmann oder –frau wird, unter Bedingungen antritt, die schon in großem Umfang Persönlichkeitseinschränkungen und Entwicklungshemmungen voraussetzen, und dass dann unter Eid geschworen wird, genau diese Bedingungen zu verfestigen für den Rest des Lebens, alternativelos und gegen jede mögliche Erfahrung. Was immer dann passiert, ist zu betrachten als Sünde und als schweres Vergehen gegen das Amt. Die Katholische Kirche weigert sich zu begreifen, dass doch nur Menschen ein Amt bekleiden können und dass man beides nicht voneinander abspalten kann. Das Amt ist von Gott gesetzt, da können die Menschen an sich sein wie sie wollen. Es hat seine Gültigkeit, wenn ein Priester am Altar seinen Dienst verrichtet. Und andererseits wird jetzt die reine heilige Kirche belastet vom Frevel solcher Menschen. In Wirklichkeit ist sie daran mitbeteiligt und paradoxerweise hat sie das in gewissem Umfang anerkannt, früher, wenn sie die Leute zu schützen suchte. Sie schützte damit sich selber. Das ist der Vorwurf, den man ihr sicher machen muss. Sie hat aber irgendwie auch begriffen, dass sie Verantwortung trägt, und jetzt mit der neuen Konzeption von zero Toleranz, Ausliefern der Leute an die Öffentlichkeit, gibt man sich wieder heilig und unberührt von all dem, woran man selbst beteiligt ist.

Kitzler: 2002 hatte die Kirche ja schon mal Leitlinien zum Umgang mit solchen Fällen verabschiedet. War das damals nur Augenwischerei, oder war das eine ernsthafte Auseinandersetzung?

Drewermann: Nein, ernsthaft war das nicht. Man muss auch darauf hinweisen, dass es ja nicht nur um Sonderfälle geht in Irland, den Vereinigten Staaten und jetzt in Deutschland. Überall, wo die Katholische Kirche Macht hat, bleibt sie wie sie ist, und ist sie vorgegangen, wie sie vorging. In all den anderen Ländern gibt es ja auch keine Aufklärung bisher, sagen wir Polen, Spanien, Portugal, Brasilien, wo immer Sie hinschauen. Auch da, kann man blind vermuten, werden ähnliche, wenn nicht noch viel ärgere Zustände herrschen, weil in den Ländern Aufklärung nie war, weil öffentliche Herstellung von Kontrolle durch den Staat kaum vorhanden gewesen ist, absolute Macht korrumpiert im absoluten Umfang.

Kitzler: Stellen wir uns die Katholische Kirche mal als einen Organismus vor. Wie krank ist er in Ihren Augen und wie müsste eine Therapie aussehen?

Drewermann: Die Krankheit liegt darin, dass die Katholische Kirche nicht der Organismus ist, der sie sein müsste. Zum Organismus gehört ständige Rückkoppelung von oben nach unten und unten nach oben. Das ist Leben in komplexen Strukturen. Und genau das geschieht nicht. Wir haben eine Amtszentrale in Gestalt des Papsttums, die Bischöfe, die Kardinäle, sie regieren monolithisch im Namen Gottes auf das Kirchenvolk herunter und die Kleriker gehören dieser Mittelschicht an. Sie verstehen sich eigentlich von oben nach unten abgetrennt von den Gläubigen. Dann kann an Erfahrungen an der Basis gemacht werden, was immer will. Jeder weiß, dass der Zölibat nur zu halten ist unter enormen Konflikten. Ein ganzer Teil hat homosexuelle Probleme, das ist offen, aber die Kirche vermeidet auch nur den Ausdruck Homosexualität, ist für sie schwere Sünde, ganz im Unterschied zur öffentlichen Haltung, in Deutschland zumindest, in Polen schon wieder anders. Man hat den EU-Beitritt unter die Bedingung gestellt, dass das Sonderrecht Polens im Umgang mit Homosexuellen gewahrt bleibt. Die Katholische Kirche hat sich mit ihrer Auffassung durchgesetzt, oder agitiert mit Hunderttausenden in Madrid, wenn Zapatero versucht, eine ähnliche Lösung für Spanien durchzusetzen. Die Sexualmoral der Katholischen Kirche hat permanente Brüche und Reibungen, und die Erfahrungen der Menschen mit diesen Priestern, der Priester mit sich selber, führt zu keinerlei Veränderung. Das ist seit den Tagen Martin Luthers so. Der Mann hat begriffen vor einem halben Jahrtausend, dass wir es mit Menschen zu tun haben und dass diese Spaltungen nicht länger sein dürfen zwischen Amt und Person, Institut und Mensch sein, und dass man die Liebe freigeben muss. Es ist eine absurde Alternative zu sagen, du liebst Gott, oder einen Menschen. Genau das hat Jesus nicht gewollt und genau das können die Menschen nicht gebrauchen.

Kitzler: Sie haben das Thema Zölibat angesprochen. Ist das wirklich das eigentliche Problem, oder ist das nur ein Problem, was oberflächlich ist?

Drewermann: Nein, umgekehrt. Es ist unter den Bedingungen, unter denen das läuft, ein Hauptproblem. Wer entscheidet sich zum Zölibat, außer Menschen, die wirklich -wie die Katholische Kirche es lehrt -beigebracht bekommen und verinnerlicht haben die Auffassung, dass sexuelle Erfahrungen sündhaft sind und gebeichtet werden müssen und weggedrängt zu werden haben? Mit all diesen Konflikten fliehen viele bereits schon in das Priestertum, oder hoffen, von sich selber in gewissem Sinne befreit zu werden durch die Gnade Gottes. Das findet natürlich nicht statt und am Ende hat man ständig neue Versuchbarkeiten, neue Fehlbarkeiten, neue Fehlhaltungen zu gewärtigen. Der Zölibat unter Pflicht und Zwang wird dann auch so ausgeübt, dass ein Priester, der seiner Eidesform, um Priester zu werden, nicht mehr entspricht, entlassen wird, ein Ordensmann, eine Ordensfrau buchstäblich vor die Tür gesetzt wird. Da gibt es nicht einmal eine vernünftige Überbrückung, um existenzgründend wieder tätig zu werden. Man kann zwei, drei Semester vielleicht ein Studium beginnen, aber das langt hinten und vorne nicht. Mit anderen Worten: die Kirche erpresst am Ende auch über Wirtschaftsdruck ihre eigenen Mitglieder. Von Freiheit ist da nicht die Rede.

Kitzler: Der Kirchenkritiker und Theologe Eugen Drewermann über die notwendigen Reformen in der Katholischen Kirche und die heute beginnende Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Vielen Dank für das Gespräch.

Drewermann: Danke schön!