Dringend gesucht: Visionen für Europa
Zu Recht wird Angela Merkel vorgeworfen, eine Politik zu betreiben, die nur auf Marktkonformität abzielt, meint der Unternehmensethiker Erik von Grawert-May. Das reicht nicht aus, um Europa zu einem führenden Kontinent zu machen. Das wird es erst, wenn sein Wort im globalen Kräftespiel Gewicht erhält.
Erinnern Sie sich noch? Es ist nicht lange her, da traten prominente Zeitgenossen mit einem aufsehenerregenden Plan an die Öffentlichkeit. Möglichst viele junge Bürger der EU sollten für zwölf Monate in die verschiedensten europäischen Länder gehen, um die Probleme Europas vor Ort kennenzulernen.
Statt eines sozialen Jahrs also ein politisches. Man versprach sich davon mehr Schwung in den europäischen Angelegenheiten und nannte das ganze "Europa von unten". Bin ich taub, oder ist es wahr, dass man nichts mehr davon hört? Kaum veröffentlicht, verschwand der Plan in der Versenkung. Vermutlich litt er an zu großem Idealismus seiner Befürworter.
Wer interessiert sich schon dafür, auf diesem zurzeit so zerrissenen Kontinent ausgerechnet dort Erfahrungen zu sammeln, wo diese Zerrissenheit zum Greifen nahe ist: in einem portugiesischen Rathaus, einem bulgarischen Krankenhaus oder im europäischen Parlament. Wahrscheinlich wären die Probanden nach dem absolvierten Dienstjahr mit tiefen Enttäuschungen zurückgekehrt.
Trotzdem hatte die Idee etwas Betörendes. Doch nicht in den Niederungen der Wirklichkeit wird ein Interesse für die europäische Idee geweckt, jedenfalls nicht jetzt, wo alles drunter und drüber geht, sondern abseits der schwierigen Tagesgeschäfte. Man muss wieder ungestört über Europa nachdenken. Wer das für abgehoben hält oder gar für elitär, vergisst, dass Politik vor sich hin zu torkeln droht, wenn sie sich nicht von übergreifenden Interessen leiten lässt.
Sie torkelt bereits. Und die Kanzlerin lieferte unlängst einen Beleg dafür, als sie begründete, warum sie für eine weitere Legislaturperiode bereit stehe. Sie trete nämlich für einen leistungsstarken Kontinent ein, der seinen Bürgern auch in Zukunft Wohlstand biete und der in der Welt führend sei. Da die Euro-Staaten heute in vielen Bereichen hinterherhinkten, müssten sie wettbewerbsfähiger werden. Da gäbe es noch viel zu tun. Also: durchhalten bis 2017!
Statt eines sozialen Jahrs also ein politisches. Man versprach sich davon mehr Schwung in den europäischen Angelegenheiten und nannte das ganze "Europa von unten". Bin ich taub, oder ist es wahr, dass man nichts mehr davon hört? Kaum veröffentlicht, verschwand der Plan in der Versenkung. Vermutlich litt er an zu großem Idealismus seiner Befürworter.
Wer interessiert sich schon dafür, auf diesem zurzeit so zerrissenen Kontinent ausgerechnet dort Erfahrungen zu sammeln, wo diese Zerrissenheit zum Greifen nahe ist: in einem portugiesischen Rathaus, einem bulgarischen Krankenhaus oder im europäischen Parlament. Wahrscheinlich wären die Probanden nach dem absolvierten Dienstjahr mit tiefen Enttäuschungen zurückgekehrt.
Trotzdem hatte die Idee etwas Betörendes. Doch nicht in den Niederungen der Wirklichkeit wird ein Interesse für die europäische Idee geweckt, jedenfalls nicht jetzt, wo alles drunter und drüber geht, sondern abseits der schwierigen Tagesgeschäfte. Man muss wieder ungestört über Europa nachdenken. Wer das für abgehoben hält oder gar für elitär, vergisst, dass Politik vor sich hin zu torkeln droht, wenn sie sich nicht von übergreifenden Interessen leiten lässt.
Sie torkelt bereits. Und die Kanzlerin lieferte unlängst einen Beleg dafür, als sie begründete, warum sie für eine weitere Legislaturperiode bereit stehe. Sie trete nämlich für einen leistungsstarken Kontinent ein, der seinen Bürgern auch in Zukunft Wohlstand biete und der in der Welt führend sei. Da die Euro-Staaten heute in vielen Bereichen hinterherhinkten, müssten sie wettbewerbsfähiger werden. Da gäbe es noch viel zu tun. Also: durchhalten bis 2017!
Im Klein-Klein der Wohlstandsförderung
Zu Recht wird Angela Merkel vorgeworfen, eine Politik zu betreiben, die nur auf Marktkonformität abzielt und auf nichts weiter. So notwendig diese Politik ist, sie reicht nicht hin, Europa - wie sie es vorhat - zu einem führenden Kontinent zu machen. Führend wird er erst, wenn sein Wort im globalen Kräftespiel Gewicht erhält. Und das geht nur, wenn sein rein wirtschaftliches Interesse durch ein politisches überhöht wird.
Eine EU, die nur ihren Wohlstand genießen will, verfiel schon vor Jahren dem Spott amerikanischer Kritiker. Eine Insel der Seligen, hieß es damals, sei ja gut und schön, aber sie könne in den großen Fragen der Weltpolitik keine Richtung vorgeben. Inzwischen könnte man hinzufügen: Sie kann es nicht mal in den kleinen.
Zu den kleinen Fragen, die nicht gleich weltumspannend sind, würde zum Beispiel das Verhältnis der EU zu ihren Nachbarn in Nordafrika gehören. Als Land, das nacheinander gleich zwei Diktaturen über sich ergehen ließ, stünde es Deutschland gut an, das Aufbegehren gegen Diktatoren zu unterstützen, auch militärisch.
Doch wer spricht heute noch von einer "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" Europas? Und war nicht Steinmeiers 2008 geäußerter Vorschlag eines "Marshallplans für den Maghreb" eine großartige Idee? Inzwischen ist sie in den Bemühungen um die Stabilisierung der Euro-Zone sang- und klanglos untergegangen.
Auch wenn wir wollten, hätten wir nicht die Mittel dazu. Rein militärisch hingen schon die Franzosen und Briten in Libyen sehr bald am Tropf der Amerikaner. Von den Deutschen zu schweigen. Wir bleiben lieber im Klein-Klein unserer Wohlstandsförderung stecken.
Man kann es der Kanzlerin deshalb nicht übel nehmen, wenn sie das zum Maßstab ihrer Politik macht und ihre Fähigkeiten dabei ausspielt. Aber ihre Machtpolitik geht nach hinten los, wenn sie aus globaler Sicht betrachtet wird. Ein wohlstandsfixiertes Europa wird sehr bald zum Spielball übergreifender Interessen werden, wenn es selber keine verfolgt.
Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011). www.grawert-may.de
Eine EU, die nur ihren Wohlstand genießen will, verfiel schon vor Jahren dem Spott amerikanischer Kritiker. Eine Insel der Seligen, hieß es damals, sei ja gut und schön, aber sie könne in den großen Fragen der Weltpolitik keine Richtung vorgeben. Inzwischen könnte man hinzufügen: Sie kann es nicht mal in den kleinen.
Zu den kleinen Fragen, die nicht gleich weltumspannend sind, würde zum Beispiel das Verhältnis der EU zu ihren Nachbarn in Nordafrika gehören. Als Land, das nacheinander gleich zwei Diktaturen über sich ergehen ließ, stünde es Deutschland gut an, das Aufbegehren gegen Diktatoren zu unterstützen, auch militärisch.
Doch wer spricht heute noch von einer "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" Europas? Und war nicht Steinmeiers 2008 geäußerter Vorschlag eines "Marshallplans für den Maghreb" eine großartige Idee? Inzwischen ist sie in den Bemühungen um die Stabilisierung der Euro-Zone sang- und klanglos untergegangen.
Auch wenn wir wollten, hätten wir nicht die Mittel dazu. Rein militärisch hingen schon die Franzosen und Briten in Libyen sehr bald am Tropf der Amerikaner. Von den Deutschen zu schweigen. Wir bleiben lieber im Klein-Klein unserer Wohlstandsförderung stecken.
Man kann es der Kanzlerin deshalb nicht übel nehmen, wenn sie das zum Maßstab ihrer Politik macht und ihre Fähigkeiten dabei ausspielt. Aber ihre Machtpolitik geht nach hinten los, wenn sie aus globaler Sicht betrachtet wird. Ein wohlstandsfixiertes Europa wird sehr bald zum Spielball übergreifender Interessen werden, wenn es selber keine verfolgt.
Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011). www.grawert-may.de