Die Bücher zum Thema:
Ulrich Peltzer: "Das bist du!"
Leif Randt: "Allegro Pastell"
Ulrike Sterblich: "The German Girl"
Tove Ditlevsen: "Abhängigkeit"
Thomas De Quincy: "Bekenntnisse eines Opiumessers"
Berauschende Bücher
12:14 Minuten
Der Rausch als Zustand der Bewusstseinserweiterung, aber auch als Abhängigkeit: Drogenkonsum spielt in zahlreichen Büchern der Gegenwartsliteratur eine Rolle. Viele Autoren wissen aus Erfahrung, worüber sie schreiben, erzählt unsere Rezensentin.
Im "Alten Dschungel" kann man sich unter den Tisch trinken, ein paar Straßen weiter Speed, Kokain, und was der Szene-Gänger sonst noch so braucht, erwerben, zur Not gibt es in der Apotheke auch noch Schlankheitspillen. Die Helden in Ulrich Peltzers Achtziger-Jahre-Panorama "Das bist du!" haben einen beachtlichen Konsum an Rauschmitteln.
Vordringen in fremde Bewusstseinszonen
Für die Figuren geht es vor allem darum, an etwas Utopischem zu partizipieren und sich den Erwartungen der Leistungsgesellschaft zu entziehen. Mit Drogen ist man nah an der Gegenwart, es hat etwas mit Kunst zu tun, dem Vordringen in andere, fremde Bewusstseinszonen und knüpft an den Gebrauch von Rauschmitteln an, wie er seit jeher von der Avantgarde praktiziert wurde, von Baudelaire bis zu den Surrealisten.
Drogen scheinen hier ein Mittel zur Grenzüberschreitung, Teil des Erwachsenwerdens, es geht um Wahrnehmungsschärfung durch Überempfindlichkeit, um die Sehnsucht nach etwas Irrationalem und die Subversion der bürgerlichen Wertvorstellungen. Meistens ist es eine kollektive Erfahrung.
Ganz anders als bei Ulrich Peltzer verhält es sich bei Leif Randt in seinem Roman "Allegro Pastell" aus dem letzten Frühjahr, der als große Bestandsaufnahme einer Generation gefeiert wurde: Randts Hauptfigur, die Schriftstellerin Tanja, weiß genau, wie sie mit Tabletten welches Stadium beim Tanzen erreichen kann und wie lange dieser Zustand anhält.
Intensive Begegnung mit sich selbst
Drogen dienen zur Psycho-Pflege, zur Selbstoptimierung, gehören zum Katalog des Sich-Selbst-Kuratierens. Der Rausch wird nicht gemeinsam erlebt, sondern isoliert, abgesondert. Es geht um eine intensive Begegnung mit sich selbst. Drogen sind Teil des Lifestyles. "Ein gutes High, dachte Tanja, war im Idealfall ein Zustand nach dem Trieb."
Ein prominentes Thema sind Drogen – in Form von Medikamenten – in dem Roman "The German Girl" von Ulrike Sterblich. Sie arbeitet einen historisch äußerst kuriosen Umstand auf: In den 1960er Jahre praktizierten aus Nazideutschland geflohene jüdische Ärzte in New York und verabreichten ihren Patienten Wundermittel, die auf das kriegswichtige Medikament Pervitin zurückgingen. Die vermeintlichen Vitaminspritzen der "Feelgood Doctors", mit denen sich die New Yorker High Society und Künstlerszene bei Laune hielt, waren tatsächlich hoch dosierte Aufputschmittel. Ein probates Mittel, um mit den Anforderungen des Showgeschäfts zurecht zu kommen, Lampenfieber, Angststörungen und Depressionen zu überwinden.
Wie Bonbons verabreicht
Auch bei der großen Wiederentdeckung dieses Frühjahrs, der autobiographischen Trilogie der Dänin Tove Ditlevsen, geht es um Sucht: "Abhängigkeit" lautet der Titel des dritten Bandes, und schon hier deutet sich die Ambivalenz dieser Erfahrung an.
Nach einer Abtreibung spritzt ihr der Medizinstudent Carl Ryberg das Schmerzmittel Pethidin, das sie in Hochstimmung versetzt und ihr das Gefühl vermittelt, den richtigen Abstand zur Welt zu gewinnen. Sie heiratet Ryberg und wird jahrelang abhängig. Erst als sie spürt, dass ihr der Verlust ihrer Kreativität droht, begibt sie sich in Behandlung.
Ditlevsen, die sich 1976 mit Schlaftabletten das Leben nahm, gehört in eine Reihe mit Schriftstellerinnen derselben Generation, die durch ihr Umfeld zu Medikamentenkonsum angehalten wurden: Schlaftabletten, Schmerzmittel und Beruhigungspillen waren normal und wurden wie Bonbons verabreicht. Mit fatalen Folgen: Ein ikonisches Beispiel ist Ingeborg Bachmann.
Bedenkenloser Konsum
Vor allem die Romantik galt als "Zeitalter des Rausches", damals wurden bedenkenlos Opiate konsumiert. Laudanum diente zur Schmerzbekämpfung, es ersparte die Kosten einer ärztlichen Behandlung, wurde für Kinder zur Ruhigstellung verwendet.
Bei Rousseau und Ronsard wird die Droge erwähnt, später befassten sich Hugo, Balzac und Eugène Sue mit dem Thema. Die regelrechte Feier des Rausches beginnt 1821 mit den zunächst anonym erschienenen Bekenntnissen eines Opiumessers, die auf eine ungeheure Resonanz stießen. Der Verfasser war Thomas De Quincy. Drogen vermittelten ihm den Zugang zu verschütteten Kindheits- und Jugenderfahrungen. Im Laufe der Jahre wird ihm aber auch die dunkle Seite des Rauschmittelgenusses bewusst. Ähnlich wie bei Baudelaire und Coleridge ist auch bei ihm von Angstvisionen die Rede.
Trost im Drogenrausch
In Paris ist um 1840 herum Haschisch groß in Mode: Baudelaire, Gautier, Nerval, alle probierten es aus. Für Baudelaire bedeutete es die Abkehr eines romantischen Naturverständnisses und die Hinwendung zu einem "idéal artificiel" als Gegenentwurf. Im Rausch wird der Geist unabhängig von der Welt der natürlichen Erscheinungen.
In den USA war Edgar Allen Poe nicht nur von Alkohol, sondern auch von Opium stark affiziert und schilderte den Effekt. Novalis suchte Trost im Drogenrausch, und der "Gespensterseher" E.T.A. Hoffmann ließ sich zu bizarr verzerrten, fantastischen Wirklichkeitsdarstellungen inspirieren.