Drogen-Kriminalität

Und Blacky tanzt

Ein zusammengerollter Geldschein neben zwei Linien Kokain
Sein erstes Kokain schmuggelte Ronald Miehlig in seinen Socken - der Beginn eines wahren "Kokain-Imperiums". © picture alliance / Romain Fellens
Von Tina Hüttl |
Er hat ein bewegtes Leben geführt: Ronald Miehling hat als Zuhälter und als Drogendealer gearbeitet und fast 30 Jahre seines Lebens im Knast verbracht. Bald wird er entlassen, er ist mittlerweile im Rentenalter und gibt sich geläutert. Zudem ist er trotz seines Alters entschlossen, sich nicht in den Ruhestand zu begeben - er will sich selbst als Marke auszubauen. Selbst eine Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz sei möglich, meint Miehling.
Im Schritttempo rollt er übers Kopfsteinpflaster, Fahrerfenster runtergekurbelt, Ellbogen draußen, Zigarette zwischen den Fingern. Ronald Miehling, den Freunde "Blacky" nennen und die Medien "den Schneekönig", sucht einen Parkplatz.
"Ich bin Adrenalinjunkie. Ich bin heute noch so, nur heute habe ich das umgeschichtet. Guck mal, Leute mit 64 sind Leute, die ganz bedächtig langsam sprechen, über alte Zeiten, über Enkelkinder, meine Rente. Das sind ihre Themen. Wenn Du mich hörst, ich bin völlig anders. Da kannst Du sehen, da ist immer noch Adrenalin da, trotz alledem."
Normalerweise parkt der silbergraue Mercedes vor dem Knast, ein altes Ding, die Beifahrerseite schon verbeult. Doch heute hat Ronald Miehling Freigang, seit dreieinhalb Jahren ist er im offenen Vollzug. Mit viel Glück kommt er noch dieses Jahr aus dem Gefängnis. Dann hat er fast 28 Jahre gesessen, nicht am Stück, sondern zusammengerechnet – für schweren Raub, fahrlässige Tötung und Rauschgifthandel im großen Stil.
Sein Leben soll auf einer Bühne erzählt werden
Seit knapp einer Stunde ist er mit seinem Auto von Hamburg Glasmoor, der Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, nach Altona unterwegs. Wichtige Termine führen ihn in die Stadt, sagt er. Der wichtigste: Eine Theaterprobe. Miehling alias der Schneekönig wird auf der Bühne sein Leben erzählen und dazu tanzen.
Mirco Taliercio: "Alles gut?"
Miehling: "Ja, gut ausgeschlafen im betreuten Wohnen."
Der Fotograf und die Choreographin warten schon. Windig ist es, der Himmel über Hamburg ein Wolkenmeer. Die beiden Theatermacher sind aus München angereist, wo die Aufführung stattfindet. "Bewegtes Leben" haben sie die getauft: Vier außergewöhnliche Menschen tanzen ihre Biografien.
Miehling, Sohn eines Hamburger Polizisten und in den 90ern der größte Kokainhändler Deutschlands, zählt dazu, weil sein Leben viele fasziniert. Nie hat er etwas im kleinen Stil gemacht, bei ihm war immer alles groß: Die Ladungen Kokain, die per Schiff aus Kolumbien kamen, das Geld, für das er einen Lastwagen mietete, das Ego, das ihn noch immer glauben lässt, er sei größer und klüger als der Rest.
Es gibt eine Biografie über ihn, die sich 100 000 mal verkauft hat, und vielleicht bald einen Spielfilm. Typen wie er rufen Neugier hervor, Ekel und Anziehung, Menschen wollen sie siegen, fallen und bereuen sehen.
"In Kolumbien habe ich schon getanzt Merengue, Salsa und solche Sachen, aber ansonsten so getanzt habe ich natürlich nicht, ist eigentlich nicht mein Ding. Aber ich blamiere mich gerne. Mich interessieren Kunstsachen, die Welt bewegt sich weiter durch verrückte Ideen."
Miehling ist stehengeblieben, baut sich vor der Choregraphin auf. Monica Gomis, eine Spanierin, selbst nicht klein. Jetzt erst kann man richtig hinsehen: Der große, fast kahle Kopf auf dem massigen Nacken. Die stahlblauen Augen, die breite Nase, die fleischigen Ohren. Am Körper spannt dieses schwarze Hemd, mit einer Krone als Logo, die auf der rechten Brust sitzt. "B.M.Schneekönig", seine Initialen sind eingestickt, und etwas kleiner noch: "Real Gangster Wear". So heißt sein Label, das Blacky Miehling, der Schneekönig, auf Facebook vertreibt. Nach der Entlassung will er an der Marke "Schneekönig" weiterbasteln, doch davon erzählt er später mehr.
"Normalerweise bin ich immer ein bisschen Understatement. Wenn Du mich so irgendwo sehen würdest, würdest Du nie denken, der ist im Knast. Oder der ist ein Bandit. Ich bin völlig Understatement. Und jetzt das hier, das war mal Hose runterlassen, Pappnase aufsetzten, also ungewöhnlich. Aber ich bin eh schmerzfrei."
Als Proberaum haben die beiden Theaterleute ein Fotostudio in Altona angemietet. Mirco Taliercio, der Regie führt, hat Miehling in den letzten Wochen immer wieder fotografiert und alte Bilder aus Miehlings Leben gesammelt. Er fährt Laptop und Beamer hoch, die Fotos werden auf eine weiß gestrichene Fläche an die Studiowand projiziert. Davor steht ein roter Holzwürfel als Hocker. Miehling soll sich setzen und zu den Bilder erzählen, anschließend eine einstudierte Choreografie tanzen.
Auf Curaçao hat er seinen ersten Deal gemacht
Monica Gomis: "Wollt Ihr was trinken?"
Miehling: "Sehe ich da ein Hefeweizen?"
Monica: "Nur Becks."
Miehling: "Aber ein Bier will ich, ein Bier. Das geht auch, ist ein bisschen strong... Du, ist gerade ungünstig, bin am Proben, habe keine Möglichkeit, dauert lange, habe heute viel Stress, ist nur Arbeit, habe zwar Urlaub. Ja, Danke..."
Miehling ist noch am Handy, trinkt dabei vom Flaschenbier. Im Knast kommt er nur schwer an Alkohol. Er hat seine Freundin mitgebracht, die - wenn er Freigang hat – extra fünfeinhalb Stunden mit dem Zug anreist. Sie soll auf dem überdimensionalen Sofa gegenüber der Bühne Platz nehmen, sie verschwindet fast darin. Eine zierliche Frau, wie er schwarz gekleidet, mit hohen Schuhen und einem Lederhalsband, an das man eine Leine haken kann.
Mit der Bierflasche in der Hand geht Miehling zum roten Würfel, zerschneidet dabei die Brücke von Curaçao, die der Beamer an die Wand wirft.
Mirco: "Blacky, Du kannst Dich erinnern, wir haben Dir die Scribbels gezeigt, die erste Szene ist - Du nimmst dir einen Hocker – das ist dieser Klotz hier – und dann fangen wir an. Wir machen es nicht chronologisch."
Auf der winzigen Karibikinsel Curaçao, die zu Holland gehört, hat er seinen ersten Deal gemacht, zwei Kilo Koks in Socken gestopft und nach Hamburg transportiert, das war Anfang der 90er. Damals hatte er schon 9 Jahre Knast hinter sich.
Mirco: "Dann kommen Deine Eltern, dann kommt die Kindheit, wie Du aufgewachsen bist, eigentlich gutes Elternhaus, behütete Familie..."
Miehling: "Ja, absolut."
Mirco: "Du kommst nicht aus schlechten Verhältnissen, Du wurdest nicht geprügelt. Dann hier Teenie..."
Miehling: "Rockerzeit, und jetzt Zuhälterzeit."
Mirco: "Das ist die Zeit Sankt Pauli."
Miehling: "Ganz genau. Eigentlich bin ich nach St. Pauli gekommen wie Jungfrau zum Kinde. Musst Dir vorstellen, ich feiere da unten, war so 20 und war ein richtiger Straßenklopper, bin in Laden und eine Hure baggert mich an. Du bist jung, Du knallst ja alles, was nicht schnell genug auf Bäume kommt, und ich denke, ach geil, die war so 25 und schlaf mit der die ganze Nacht, Spaß ohne Ende, liege morgens im Bett und dann kam ihr Zuhälter rein. So fing das an...."
Man sieht Miehling als Baby in der Badewanne, beim Vater, dem Polizisten, auf dem Arm und als Kind unter dem Weihnachtsbaum. Auf dem Bild jetzt ist er Mitte 20, trägt Schnauzer und Sonnenbrille, wie ein Klischee aus dem Film. Nur das sein Leben echt ist, er redet davon - ohne Reue, eher mit Stolz, an dem auch die halbe Lebenszeit im Gefängnis nicht kratzen konnte: Er erzählt, wie der Pate von St. Pauli ihn zum Zuhälter machte, weil er so stark war und alle anderen Zuhälter platthaute. Das war, bevor er Dealer wurde. Eigentlich soll er eine Minute pro Bild reden. Das Problem ist, einen wie ihn kann man nur schwer stoppen:
Mirco: "Naja, okay. Also das wäre das erste. Müssen wir schauen, wie lange Du brauchst, sehen, dass wir das kurz halten."
Monica: "Wir werden Dich auch unterbrechen..."
Miehling: "Wir machen das anders, ich brauche einen Zettel, und dann machen wir eine Zeit dazu..."
Zweiter Durchlauf, Miehling nimmt einen Schluck, im Hintergrund flimmert jetzt ein Ausschnitt aus Aktenzeichen XY ungelöst und Miehling erklärt, warum er statt Zuhälter lieber Geldeintreiber am Kiez wurde:
"Ich habe mich als Zuhälter verdingt, ungefähr ein Jahr, bis ich gemerkt habe, ich kann nicht auf dem Leid anderer Leute leben. Das ist nicht mein Stil gewesen, das war nicht meine Welt. Weil die Leute, die da sind, brauchen eine gewisse Hemmungslosigkeit und Menschenverachtung und ich konnte das nie!"
Er wechselt die Branche, nicht aber die Szene. Weniger brutal wird er deswegen nicht. Im Gegenteil: 1978 bricht er mit einem Komplizen bei einem Hamburger Fleischgroßhändler ein, um Schulden einzutreiben. Dabei erschießen sie den Mann. Bis heute ist unklar, wer abdrückte. "Ein schwarzer Fleck", sagt er jetzt auf der Bühne, "kann man nicht rückgängig machen", mehr sagt er dazu nicht. Zehneinhalb Jahre kriegt Miehling dafür, nach neun kommt er frei.
Wie viele Drogentote hat er auf dem Gewissen?
Durch den Knast kennt er jemanden, der mit Drogen dealt, aber "klein-klein". "Warum bei Schmittchen kaufen, wenn Du auch bei Schmitt kaufen kannst?", fragt er sich. Er fährt nach Holland, dann Curaçao, später Kolumbien, die Mengen und das Risiko vergrößern sich, aber auch sein Gewinn. Statt Ferraris kaufen die Zuhälter auf dem Kiez jetzt sein Kokain, auch die Huren verdienen ihr Geld nur noch für die Droge. Bald versorgt er nicht nur St. Pauli, sondern auch die Hamburger Schickeria. Die Zeitungen schreiben, er sei der deutsche Pablo Escobar:
"Damals war Kokain richtig teuer, und ich war der erste, der einen Discount aufgemacht hat. Ich war der Aldi des Kokainhandels. Weil ich habe erkannt, man muss den Preis nicht hoch machen, man muss den Preis senken. Ich habe groß eingekauft und habe den Markt vollgestopft mit billiger Ware, aber höchster Qualität. Dadurch habe ich alle vom Markt gefegt. Wenn die anderen weg sind, habe ich den Verlust ausgeglichen und den Preis wieder angehoben. Wenn die wieder kamen, Preis wieder gesenkt, die hatten keine Chance..."
Miehling: "Können wir Pause machen, eine rauchen? Ich will noch eine durchziehen."
Pause. Manöverkritik. Die beiden Theaterleute sehen sich kurz an, ziehen sich zurück, um zu beraten. Später werden sie erzählen, wie sie versuchen, Miehlings Ego und Angeberei vor Publikum zu brechen. Einen Joker in der Aufführung haben sie, von dem Miehling nichts weiß: Mit ihm wird auch ein professioneller Schauspieler in der Rolle des Conferenciers auf der Bühne sein. Er hat die Aufgabe, unangenehme Fragen zu stellen: Ist er stolz darauf, Menschen abhängig gemacht zu haben? Wieviele Drogentote hat er auf dem Gewissen? Was hat er aus seinem vermurksten Leben gelernt?
Miehling selbst ahnt nichts, geht derweil zum Sofa, wo Ines, seine Freundin aufspringt. Auch sie ist etwas unzufrieden, wegen des Satzes "Ich wollte als Zuhälter nicht vom Leid anderer leben", den er vorhin fallen ließ.
"Wir sind Inner Circle, aber das sind Spießer"
Ines: "Der Satz fällt dir auf die Füße, denn Drogen verkaufen, ist auch auf Leid anderer Geld machen." Blacky: "Ja, stimmt, muss ich anders machen."
Ines: "Du musst ihn anders machen, ist mir sofort aufgefallen. Tut mir leid, passt nicht, Zuhälterei und Drogenhandel ist beides Leid anderer Menschen. Als Außenstehende. Wir sind Inner Circle, aber das sind Außenstehende, das sind Spießer, die sagen sofort..."
Blacky: "Du hast Recht. Das ist mein Jargon, ich könnte das auch anders erklären. Das ist ein Spiel. Da laufen Luden rum, dann stehen die Mädels vor der Tür, versuchen Freier zu kriegen, kommen rein, weil die frieren, wollen Kaffee trinken und dann sitzt der Lude da, sagt: Was machst Du da, schmeißen Eiswürfel in den Kaffee, damit sie schneller wieder raus sind. Das ist menschenverachtend gewesen, das ist nicht mein Ding."
Ines, die Nachnamen und Alter nicht verrät, kennt Blacky Miehling zuerst aus dem Fernsehen. Während eines ARD-Dokumentarfilms, der letztes Jahr über ihn ausgestrahlt wurde, verliebt sie sich in ihn. Sie schreibt ihm in den Knast, nach ein paar Briefen kommt es zum ersten Treffen, seit einem Jahr sind die beiden ein Paar, das sich nur an den 21 Urlaubstagen, die ihm zustehen, sieht.
Davor hätten sie aber lange unabhängig voneinander in gleichen Kreisen auf dem Kiez verkehrt, sagt sie. Genauer nachgefragt, kommt raus: Ines hat als Kaufhausdetektivin auf St. Pauli gearbeitet, viele Süchtige erwischt und selbst nie Drogen genommen. Wenn sie über ihre Beziehung mit Blacky spricht, ist nicht ganz klar, ob sie ihn retten will oder der Reiz, mit einem potenten Ex-Schwerverbrecher liiert zu sein, sie antreibt. Vermutlich ist es beides. Miehling raucht, Ines bringt einen Aschenbecher und setzt sich zu ihm an den Tisch. Auch wenn sie über seine Vergangenheit nachdenkt, ist sie hin und hergerissen:
"Ein Drogendealer ist im Prinzip ein ganz großes Arschloch, der sieht, okay, das habe ich, das will ich verticken, schickt das klein-klein raus und die Leute, die es verkaufen, sind nicht besser dran, als die Nutten beim Zuhälter. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Blacky ist einer der wenigen Guten, die auch einen menschlichen Touch haben."
Warum er besser als andere gewesen sei, beantwortet sie sich so:
"Er hat nie an Jugendliche verkauft, nie an Süchtige verkauft, er hat im Prinzip die Schickeria bedient, die sehr genau wusste, was sie tat. Wenn ich mir da die Münchner High Society anschaue, sind gestandene Leute, wenn die sich eine Nase ziehen, wissen sie was sie tun."
Für einen Anti-Drogen-Verein in Marburg tourt er manchmal
Sie kann wohl ausblenden, dass er sich gerade als "Aldi des Kokainhandels" gebrüstet hat, dass auch die Prostituierten an seinem Stoff hingen und dass man eigentlich genau weiß, wo die Kette vom Großdealer einmal endet. Darauf angesprochen wird auch Miehling vage. Er, der sagt, Drogen sind was für die Dummen und Schwachen, saugt dann fester an der Zigarette, die er für gefährlicher als Kokain hält, und erzählt von seiner Aufklärungsarbeit. Für einen Anti-Drogen-Verein in Marburg tourt er manchmal zusammen mit einem Ex-Junkie, Ärzten und Professoren durch Schulen und hält Vorträge:
"Wir sind eigentlich zur Überzeugung gekommen, dass man Prävention betreiben muss und versuchen Jugendlichen nicht zu sagen: Ihr dürft nicht, sondern ihnen zu erklären, was sind die Mechanismen. Braucht ihr das? Wie kommt ihr dahin? Was sind die Gefahren? Und nicht zu sagen, ihr dürft nicht, weil sonst ist das noch interessanter. Wir machen das mit einem posthypnotischen Konzept, was ich irgendwann mal entwickelt habe - klingt ganz verrückt – aber posthypnotisch deswegen, weil wir erklären den Jugendlichen, in welche Situationen sie kommen und was dann passiert. Und wenn sich der ein oder andere daran erinnert, wird er vielleicht nichts nehmen."
Nicht Verbote - Prävention, das Wort benutzt er noch oft - sei das Einzige, was hilft. Miehling hat keinen Zweifel: Die Jugendlichen hören auf ihn, weil sie ihn vorher im Internet gegoogelt haben. Einer der größten Drogendealer aller Zeiten - das ist eine Visitenkarte, die ihn glaubwürdig macht. Der Fotograf hat seine Kamera geholt, will noch ein paar Aufnahmen von den Proben machen. Miehling richtet sich automatisch vor der Linse aus.
Miehling: "Soll ich in die Kamera gucken?"
Mirco: "Ja, schau mich an."
Was aber wenn die Jugendlichen seine Geschichten von abenteuerlichen Drogenschmuggel und Lastern voller Geld vor allem cool finden?
"Es gibt immer Ursache und Wirkung, die sollen mich ja auch geil finden. Das können sie ruhig, werden sie auch. Aber ich erzähl ihnen auch, was passiert, wenn sie es übertreiben. Ich erzähle ihnen Schattenseiten. Bei Heroin sage ich immer: Ihr könnt Haschisch anfassen, wenn ihr mal Koka, könnt ihr machen, müsst wissen, nicht viel von anfassen, sonst seid ihr platt. Wenn ihr aber Heroin anfasst, dann ist Heroin euer Leben."
Miehling will sich für die Legalisierung von Drogen einsetzen
Wenn er rauskommt, will er mehr Vorträge halten, auch weil sie gut bezahlt sind.
"Guck mal, ich habe Einladungen gerade bekommen, Österreich vor 600 Personen, die zahlen Reise hin, Unterkunft und 800 am Tag. Und jetzt musst Du überlegen, wer verdient 800 am Tag? Da muss ne alte Oma lange für Stricken."
Wiederaufnahme der Probe. Im Hintergrund räumt die Choreographin nun den roten Würfel für die Tanzprobe von der Bühne und sucht die richtige Musik raus: Ein Impromptu von Schubert.
Monica: "Ich muss nochmal suchen..."
Mirco: "Ich dachte ich habe es runtergeladen, hat aber was anderes runtergeladen. Das ist Schubert, Nummer... dann richtige Musik weiter..."
Miehlings Ziel ist größer: Er will sich für die Legalisierung von Drogen einsetzen, vielleicht sogar politisch.
Eines Tages, da ist er sicher, ist der Job des Dealers legal, weil der Staat selbst die Rolle übernimmt. Er ist schon deshalb davon überzeugt, weil ja dann rückblickend seine Taten auch keine Verbrechen mehr wären.
Die Choreographin Monica Gomis drängt, für Miehling hat sie sich eine Art Kampfchoreographie in Slow-Motion überlegt, Bewegungen aus Tai Chi und Kung Fu fließen ein, Miehling hat früher chinesischen Kampfsport gemacht.
Monica: "Okay, der Boxsack goes down, Du gehst rein..."
Zuerst soll er jedoch boxen, gegen einen imaginären Sack, der in der Aufführung dann von der Decke hängt. Miehling, der die Bühne sucht und braucht, folgt ihr wie ein zahmer Hund. Zuerst ist es eine Art Schattenboxen, schon nach ein paar Sekunden schwitzt und schnauft er heftig, wie bei einem richtigen Kampf. Dann beginnt Schuberts Impromptu und Miehling verlangsamt seine Bewegungen bis sie zuerst wie ein Straßenkampf in Zeitlupe aussehen, dann sogar ein wenig wie Ballet. Tatsächlich meint man zum ersten Mal eine verletzliche Seite bei ihm zu entdecken. Miehling scheint unsicherer, das Gesicht wirkt konzentriert, die Züge weicher. Er wischt sich über die nasse Stirn.
Monica: "Machen wir es ein letztes Mal."
Miehling: "Was anstrengend ist, ist der Boxer, Rest strengt nicht an."
Moni: "Lass Dir Zeit, kein scharfer Übergang nochmal."
Miehling: "Fangen wir an nach dem Boxsack?"
Monica: "Nein, vor dem Boxsack."
Miehling: "Das dampft aber..."
Miehling ist unzufrieden mit sich, weil er so schlecht in Form ist. Bis zur Aufführung im Herbst will er trainieren:
"Ich denke, bis dahin bin ich draußen, die haben die Schnauze voll von mir. Wenn die mich bis dahin rauslassen, gehe ich auch wieder ins Sportstudio, das verändert sich auch ruckzuck bei mir, weil bei mir ist das so, wenn ich nur Eisen sehe und die kurz anfasse, wachsen direkt die Muckis. Und dann geht alles. Ich sitze ja nur rum, das Schwerste was ich hochhebe, sind Kugelschreiber..."
Noch zwei Mal üben sie zusammen, Miehling hat es nun etwas eilig, weil er an seinem Urlaubstag draußen noch andere Termine ausgemacht hat. Außer körperlich fit zu werden, hat er hat sich noch mehr vorgenommen. Seit er zum dritten Mal im Gefängnis sitzt, weil er als Dealer wieder rückfällig wurde, schreibt er an einem Buch:
"Das wird ein Knastbuch, das wird sehr weh tun. Weil ich mache eine Systemanalyse, eigentlich ist es so ein mystischer Bereich Knast, keiner weiß was wirklich passiert. Und ich mache Systemanalyse, nehme mich als roten Faden, mach ein paar lustige Geschichten dazu, aber im Endeffekt genaue Analyse was passiert mit den Leuten da. Sind alle mögliche Leute, von böse bis unschuldig gibt es auch. Und ich versuche darzustellen, haben Gebot der Resozialisierung, haben Gebot der Eingliederung. Was tun die eigentlich? Die tun gar nichts. Das ist ein Verwaltungsapparat, der läuft mit Kundenbindung - das heißt, man versucht die Leute immer wieder zu kriegen, damit der Apparat funktioniert. Da lebt Polizei von Staatsanwaltschaft, das Gericht."
Er schreibt an einer Abrechnung mit dem System Knast
Es soll eine Abrechnung mit dem System Knast sein, sein großes Projekt, eins das Justiz, Polizei und Gesellschaft aufrütteln wird, wie er sagt.
"Ich habe nun fast neun Jahre abgesessen, und habe damals sieben Jahre neun Monate Strafe gekriegt, aber da war aber noch ein bisschen Bewährung dabei. Weil die absolute Endstrafe ist in zwei Jahren. Und jetzt ist mir das scheißegal, ob ich noch zwei Jahre sitzen muss, weil dann habe ich noch viel Spaß mit denen. Und wenn nicht, kann auch sein, dass ich die nächsten Monate raus komme. Wir haben einen Antrag gestellt, mal sehen, was rauskommt."
Er sagt, er könnte schon längst draußen sein, weil er sich schlau gemacht habe und ein sehr guter Anwalt sein Freund ist. Doch das sei ihm nicht so wichtig. Zuzugeben, dass er über etwas keine Kontrolle hat, fällt ihm sehr schwer. Es wäre eine Niederlage. Deshalb muss es auch jetzt so klingen, als säße er nur noch freiwillig ein:
"Ich sitze eigentlich den Knast für die Recherche ab. Das klingt pervers, meine Kumpels sagen: Du bist doch bescheuert. Und die ganze Welt sagt zu mir: Du bist bescheuert. Aber ich wollte das einfach wirklich wissen. Und man muss manchmal leiden. Das ist wie Wallraff das gemacht hat. Nur Wallraff hat ja nur die Oberfläche angekratzt, ich sitze in dem System. Und manchmal muss man dafür leiden."
Das Buch, das Tanztheater, seine Vorträge – all dies hilft ihm, den bevormundeten Alltag im Gefängnis zu ertragen und seinem Leben Sinn abzutrotzen. Gleichzeitig sorgt die Aufmerksamkeit dafür, dass er sich und seine Taten nicht in Frage stellt.
"Ich habe im Leben immer Glück, wirklich immer. Ich habe früher immer gesagt, Millionen Menschen rennen mit der Nase auf Boden rum und suchen ne Million, ich dreh mich einfach um und irgendwo hängt die. Flipp die einfach ab. Ich bin wirklich ein Glückskind, was das angeht. Wo ich Pech habe ist mit Behörden. Ich habe Glück mit Frauen, Glück mit Geld, bin durchaus auch von innen glücklich. Komm ich mit Behörden zusammen, ist Chaos."
Zum Abschluss sind alle in ein Café neben dem Fotostudio gegangen, sie haben Hunger. Miehling bestellt sich ein thailändisches Chicken Curry, im Gefängnis gibt es wenig Abwechslung: meist Brot, Nudeln, Pizza. Man sieht, er genießt den Geschmack der Freiheit. Bereut er,wie sein Leben gelaufen ist?
"Wer essen will muss auch bezahlen. Wenn er es umsonst kriegt ist gut, wenn sie dich erwischen, zahlst Du. Wenn du Soldat bist, und die schießen dir einen Arm weg, ist das dein Job. Dann kannst du nicht jammern danach, musst du dir einen anderen Job suchen. Und mein Job war halt Drogen importieren und da ist das Ergebnis, wenn sie dich erwischen, Knast."
Was würde er anders machen?
"Ich kann doch nicht bereuen, dass ich illegale Ware importiert habe, ein Mörderleben gehabt habe, alles hatte, was geil war, habe ich erlebt. Die Ware ist illegal – aber wer sagt denn, dass es wirklich illegal ist, das kann sich morgen ändern. Vielleicht bekomme ich morgen das Bundesverdienstkreuz. Vor 30 Jahren war Schwulsein auch kriminell."
"Geht nicht mehr, Leute. Die Zeiten sind vorbei"
Nach fast 28 Jahren einsitzen, ist seine letzte Chance, an der Marke "Schneekönig" festzuhalten. Er will sie nutzen, Rentner zu sein und Enten zu füttern, dafür fühlt er sich zu jung. Beim Essen erzählt er, dass er vor gut einem Jahr mit Hilfe seiner Partnerin und einem Freund ein Klamottenlabel gegründet hat. Ines und der Freund vertreiben bereits T-Shirts, Hemden und Zippo-Feuerzeuge mit dem Schneekönig-Logo in einem eigenen Internetshop, angemeldet auf eine kolumbianische Webseite.
"Wir versuchen die Leute auch nett zu unterhalten, denen aber auch zu zeigen, da ist die Seite von den Drogen, da ist die Schneekönig-Seite, weil der Mythos lebt. Es ist unsagbar, wie viele junge Leute ihn anschreiben: Ja, Du bist unser Hero, Du bist unser.. - die sehen aber gar nicht, was sie da anhimmeln. Die haben ihren Plan im Kopf, ja der Miehling hat mal mit Socken und Koks und ist Multimillionär, das wollen wir auch. Geht nicht mehr, Leute. Die Zeiten sind vorbei."
Im Café probieren sie die Musikanlage aus, Ines kramt in ihrer Handtasche, sucht nach ihrer Kamera. In der Davidstraße auf dem Kiez gibt es einen Motorradladen, in dem bereits ein paar Schneekönig-T-Shirts hängen. Sie will nun hinfahren und Fotos machen, um sie als Werbung auf die Webseite zu stellen. Sie ist Blackys Markenbotschafterin und klingt auch so:
"Blacky könnte man sich wirklich gut als Mensch vorstellen, der sein Gesicht in die Öffentlichkeit, auf Bühne hinhält und jetzt etwas gegen Drogen macht. Weil ich kenne ihn nicht sehr lange, aber es besteht ein Draht, und der Spirit hat sich geändert – er ist wirklich davon los und das muss jetzt nur noch die Justiz kapieren."
Draußen vor der Tür ist Miehling bereits am Handy. Er klärt ab, wie und wann sie im Bikershop vorbeikommen können. Hand in Hand verabschieden sich die beiden von den Theaterleuten. Wie sie müssen sie nun am Mythos und der Marke Schneekönig weiterbasteln und damit Geld verdienen. Nur diesmal legal.
Die Autorin Tina Hüttl über die Arbeit an der Reportage:

Schon als ich vor ein paar Jahren Roland Miehling Biografie "Der Schneekönig" las, dachte ich: Was für ein Angeber. Keine Frage, das ist er, trotz einem halben Leben im Gefängnis. Doch es gibt auch eine sympathische Seite an ihm: Er ist höflich, witzig und ehrlich, wenn es um seine Taten geht. Er bereut nicht, weil er das verlogen fände, schließlich hat er sie in vollem Bewusstsein gemacht. Aber er will nichts mehr Illegales tun, ich jedenfalls wünsche ihm, dass er es nun schafft und neu anfängt.

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