Im Weltzeit-Podcast hören Sie die Folgen weiterer "Innovationen": der Bitcoin-Boom auf Island, Superfood-Anbau in Chile, Parks und Kühe auf der Maas in Rotterdam.
Der Preis der Selbstoptimierung
Jünger, konzentrierter, kreativer: Der Wunsch nach Leistungssteigerung ist in der Tech-Branche des Silicon Valley allgegenwärtig. Amphetamine, Ritalin, Hormone oder auch LSD sollen Hirn und Körper auf die Sprünge helfen. Mit Nebenwirkungen.
"Wir sind hier im Tech-Zentrum von San Francisco. Die Leute suchen nach einem Vorteil, sie wollen mithalten können", sagt Doktor Vinh Ngo. Er hat seine Arztpraxis in Soma, South of Market Street, einem Stadtteil von San Francisco. Hier gibt es Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Start-ups. Seine Kunden arbeiten bei Facebook, Google oder Uber.
Der 45-Jährige trägt ein blaues, kurzärmliges Flanellhemd, Jeans und weiße Turnschuhe. Seine Oberarme sind muskulös, er macht viel Sport, stemmt Gewichte, isst viel Gemüse und Obst, selten Fleisch - und wenn, dann nur helles. Um Brot oder Nudeln macht er einen großen Bogen. Auffallend ist: Ngo sieht deutlich jünger aus als 45.
"Das ist mein Untersuchungszimmer. Hier finden die Beratungen statt. Das Wartezimmer haben sie gesehen. Dort ist eine Toilette. Und hier haben wir noch ein Büro. In diesem Regal lagere ich meine Nootropics Medikamente, daneben liegen Tabletten zur Stärkung des Immunsystems. Hier sehen sie alle Hormon-Präparate. Zusammen sind sie zwischen 15.000 und 25.000 Dollar wert. Die ganz teuren und regulierten Drogen, die lagere ich aber in meinem Safe."
Nicht Heilung - sondern Optimierung
Der Allgemeinmediziner Ngo heilt keine Krankheiten. Er optimiert Menschen. Biohacking nennt er das. Er will seinen Kunden zu einer besseren Konzentration im Job verhelfen, sie sollen kreativer sein oder länger leben können. Mit den Amphetaminen, Vitaminen, Nootropika oder Hormonen, die er ihnen verschreibt.
"Viele kommen in meine Praxis und holen sich Rat ein. Da muss eine Deadline eingehalten oder ein großes Projekt zu Ende gebracht werden. Oder eine Prüfung steht bevor. Sie erzählen mir, was sie bislang versucht haben oder was sie ausprobieren wollen, um die Konzentration zu verbessern. Ich begleite meine Patienten dann bei dem Prozess."
Wer zu Doktor Ngo in die Praxis kommt, kann seine Rechnungen nicht bei der Krankenkasse einreichen. Ngo hat sich vor allem auf die Behandlung mit Nootropika spezialisiert, Arzneimittel oder Nahrungsergänzungspräparate, die die kognitiven Fähigkeiten verbessern sollen. In der Umgangssprache werden sie auch als Doping-Mittel fürs Gehirn bezeichnet - als Smart Drugs. Einige sind verschreibungspflichtig, andere kann man sich in den USA auch im Internet bestellen wie zum Beispiel Piracetam, ein Medikament, das bislang vor allem an dementen Patienten erprobt wurde.
"Piracetam ist in Europa verschreibungspflichtig. Russische Wissenschaftler haben das Medikament entwickelt. Hier in den USA ist es ein Ergänzungsmittel. Es hat milde bis starke Effekte. Die exakte Wirkung ist nicht erforscht. Es erhöht die Aufnahme von Calcium in unseren Gehirnzellen und kann so unsere Wahrnehmung verbessern."
Ewig jung, ewig leistungsstark
Dr. Ngo, der in Vietnam geboren wurde und mit zwei Jahren in die USA kam, betont, dass er seine Patienten ausführlich untersucht, zum Beispiel Blut- und Urinwerte analysiert, bevor er ihnen etwas verschreibt. Bei den Entwicklern im Silicon Valley ist vor allem ein Medikament beliebt: Adderall. Es ist nur gegen Rezept zu bekommen und wird häufig bei Aufmerksamkeitsstörungen, ADHS verschrieben.
Bei den Tech-Arbeitern im Silicon Valley heißt Adderall "legales Speed". Es ist ein Amphetamin, das nach gut einer halben Stunde im Gehirn seine Wirkung entfaltet. Damit kann ein Programmierer stundenlang durcharbeiten ohne müde zu werden. Die Droge kann allerdings abhängig machen, seine Nutzer glauben, ohne sie nicht mehr richtig gut denken zu können.
"Wir leben in San Francisco in einer Blase. Wir sind nicht wie der Rest der USA. Meine Kunden kennen sich im Schnitt ein bisschen besser aus. Sie haben im Internet recherchiert und sich mit ganz spezifischen klinischen Studien beschäftigt, die manchmal selbst ich nicht kenne."
Zwischen 2000 und 3000 Dollar kostet im Schnitt eine drei bis vier monatige Behandlung bei Dr. Ngo. Labortests nicht eingeschlossen. Es kann durchaus sein, dass ein Patient die Praxis mit Dutzenden Präparaten verlässt, die über einen bestimmten Zeitraum einzunehmen sind. Vitamine, Mineralien. Patienten, die auf die 40 zugehen, lassen sich von ihm beraten, wie sie den Alterungsprozess aufhalten können. Männern verabreicht er unter anderem das Hormon Testosteron. Wer Millionen auf dem Bankkonto hat, kann auch ein Blutmädchen oder einen Blutjungen engagieren. Das sind junge Leute, die besonders gesund leben, keine Drogen nehmen und alle paar Wochen zur Transfusion kommen, um ihr Blut von Körper zu Körper einem Tech-Millionär zu übertragen. Angeblich soll das junge Blut den Alterungsprozess aufhalten. Bewiesen ist das nicht. Selbst Dr. Ngo ist da skeptisch.
"Sie wollen so lange wie möglich leben. Sie stecken all ihr Geld in die Lebensverlängerung. Ich habe davon auch schon gehört. Mir sind aber keine Studien bekannt. So was machen wir in meiner Praxis mit Sicherheit nicht."
"Ich bin Paul Austin. Mir gehört die Website 'The Third Wave'. Sie beschäftigt sich mit den Vorteilen eines Microdosing von psychedelischen Drogen. Ziel ist es, die Einstellung zu psychedelischen Drogen zu verändern."
Paul ist 29. Er lebt zurzeit in New York, ist aber fast jeden Monat im Silicon Valley, wo er Vorträge hält. Der schlanke, hochgewachsene Mann mit ovaler Hornbrille auf der Nase, versteht es, sein Anliegen rüberzubringen. Vor etwas mehr als zwei Jahren hat er "The Third Wave" gegründet. Der studierte BWLer berät seine Kunden per Videochat. Er erklärt ihnen, was sie bei der Einnahme von LSD beachten müssen, dieser psychedelischen Droge, die sich seit gut zwei Jahren vor allem im Silicon Valley wieder zunehmender Beliebtheit erfreut. Das Besondere: Die illegale Droge wird so gering dosiert, dass sie keine Halluzinationen mehr auslöst. Die Wirkung ist ein andere: Angeblich steigt die Konzentration, man ist aufnahmefähiger. Allerdings muss man es richtig machen.
"Manche Leute fangen mit dem Microdosing unter der Woche an. Sie nehmen zu viel. Das wird dann keine sehr produktive Session. Das Wochenende eignet sich besser, an einem Ort, an dem man sich wohlfühlt. Erst nimmt man zehn Mikrogramm, beim nächsten Mal dann 15. Wichtig ist ein Ort, an dem man keine Rücksicht auf seine Umgebung nehmen muss."
LSD ließen seine Selbstzweifel verschwinden
Paul Austin hat vor vier Jahren begonnen, mit psychedelischen Drogen wie LSD, Psilocybin - also Magic Mushrooms - und Mescalin zu experimentieren. Werden die Drogen in hoher Dosierung genommen, verändern sie die Wahrnehmung und die Stimmung. Nimmt man dagegen nur ein Zehntel, zwischen zehn und 20 Mikrogramm, tritt ein anderer Effekt ein.
"Berührungen fühlen sich etwas intensiver an, der Geruchssinn nimmt zu, man hat mehr Energie und es fällt einem leichter, sich zu konzentrieren. Man fühlt sich leicht euphorisch, kommt schneller mit anderen Leuten in Kontakt. Viele Leute vergleichen es mit ausgiebigen Meditieren am Morgen."
Über sieben Monate, jeweils zweimal pro Woche hat Paul sich selbst geringe Dosen LSD verabreicht. Er wollte sehen, welche Wirkung die Droge nach solch einem Zeitraum entfaltet. Zum einen hat er festgestellt, dass er davon nicht süchtig wurde, sagt er. Anders als zum Beispiel von Medikamenten wie Adderall oder Ritalin.
"Zwei Dinge habe ich gemerkt: Ich komme schneller mit anderen Leuten in Kontakt. Ich bin von Haus aus eher ein introvertierter Typ. Ich hatte immer etwas Vorbehalt, mich mit Fremden zum Beispiel bei einer Party zu unterhalten. Anders nach dem Microdosing. Da gab es keine innere Stimme mehr, die mich mit ihren Selbstzweifeln zurückhielt."
Silicon Valley als Versuchslabor für Drogenexperimente
Schon die beiden Gründer Steve Jobs von Apple und Bill Gates von Microsoft haben in ihrer Jugend Erfahrung mit LSD gesammelt. Im Silicon Valley hat das US-Militär in den 1950er- und 60er-Jahren Versuche an Soldaten durchgeführt. Später fand LSD Eingang in die Studentenkreise von San Francisco, Berkeley und Stanford.
"Da sich das Silicon Valley zum kreativen Hub entwickelt hat und wir wissen, dass psychedelische Drogen kreatives Denken unterstützen, ist es kein Wunder, dass LSD an Orten wie dem Silicon Valley, wo es auf kreatives Denken außerhalb der Norm ankommt, so populär wurde. Es bietet all jenen einen Vorsprung, die es verantwortungsvoll nutzen."
Die Wissenschaft hat das Thema psychedelische Drogen in den vergangenen Jahren vernachlässigt, kritisiert Paul Austin. Er sagt, es gebe keine fundierten Studien zum Microdosing.
"Es ist klar, dass gelegentlicher Gebrauch in hoher Dosierung keine Langzeitwirkungen hat. Microdosing dagegen ist aber noch relativ neu. Deswegen wissen wir nicht, welche Wirkung es auf längere Sicht auf unseren Körper hat - wenn es zum Beispiel zweimal pro Woche über einen längeren Zeitraum eingenommen wird. Diejenigen von uns, die die Droge über längere Zeit nehmen, sind daher die Versuchskaninchen."
Bei ihm etwa habe sich nach einiger Zeit eine gewisse Toleranz eingestellt, sagt er. Er musste die Dosis erhöhen.
Bleibt die Frage nach der Organisation des Selbstversuchs. LSD und andere psychedelische Drogen sind in den USA illegal. Dennoch können sie im Ausland über das Internet bestellt werden. Bezahlt wird in Crypto-Währung. 20 Dosen a 20 Mikrogramm kosten umgerechnet rund 35 Euro. Wer bei Paul eine Erstberatung bucht, zahlt dafür umgerechnet 120 Euro. Wer die Droge dann tatsächlich ausprobieren will, kann sich von dem 29-Jährigen über mehrere Wochen per Videochat begleiten lassen. Besorgen muss man sich das LSD oder seine Derivate aber selbst.
"Eine Beratung beginnt damit, dass ich frage, weshalb die Person das Microdosing machen möchte. Meist sind es zwei Gründe, die die Leute anführen. Häufig liegen Depressionen vor. Ein anderer Grund ist, das sehen wir vor allem im Silicon Valley, dass die Leute kreativer und produktiver sein möchten. Das sind meine Hauptkunden. Sie wollen sich verbessern. Aber genau das gilt es in der Beratung herauszufinden."
"Sie wollen mithalten können"
Cori Jenab ist 32. Die Suchtberaterin arbeitet für eine kommerzielle Entgiftungspraxis in der Bay Area. Vor allem der Konsum von Kokain und der Medikamentenmissbrauch habe im Silicon Valley in den vergangen Jahren zugenommen. Viele Mitarbeiter der Tech-Industrie fühlten sich wie in einem Hamsterrad. Es ist schwer da rauszukommen, erzählt die junge Frau.
"Unter Stress und Druck funktionieren zu müssen, und unrealistische Vorstellungen wie Leistung aussieht - das sind die Gründe, weshalb die Menschen diese Drogen nehmen. Sie wollen mithalten können."
Wer dann schon jenseits der 40 ist und sieht, wie der ehrgeizige Nachwuchs von den Universitäten in die Tech-Unternehmen drängt, der greift in die Tabletten- oder Drogenkiste. Allein 1,4 Millionen Rezepte für das starke Schmerzmittel Hydrocodon werden pro Jahr in der Bay Area ausgestellt.
Tags Aufputschmittel, abends was zum Entspannen
Am Tag werden Aufputschmittel wie Adderall genommen, um leistungsfähig zu sein. Abends sind es Schmerzmittel wie Hydrocodon, um wieder herunterzukommen und entspannen zu können.
"Die werden häufig nach der Arbeit genommen. Um umzuschalten - vom Hochleistungsmodus in den Entspannungsmodus. Die Medikamente werden missbraucht. Sie wurden nicht zur Entspannung verschrieben, sondern um Schmerzen zu behandeln."
Viele der Kunden von Cori und ihren Kollegen sind Führungskräfte in den Tech-Unternehmen. Sie stehen im Mittelpunkt, sollen den Mitarbeitern ein Vorbild sein. Sie müssen funktionieren. Für die Top-Manager zählt deshalb nur eines: Verschwiegenheit. Das ist auch der Grund, weshalb kein Angestellter über seinen Drogenkonsum vor dem Mikrofon sprechen will. Die Angst, vor Entdeckung, Schwäche zu zeigen, ist groß.
"Wir ermutigen unsere Patienten dazu, sich nach der klinischen Behandlung vor Ort ambulant behandeln zu lassen. Für viele Mitarbeiter in der Tech-Industrie ist das schwierig. Sie möchten anonym bleiben. Ihre Befürchtung ist, dass ihre Sucht öffentlich werden könnte. Da herrscht große Angst."
Bevor die Suchtberaterin ihren Job im Silicon Valley begonnen hat, ist sie in der Welt herumgereist. Sie hat in Asien gelebt und sich Europa angesehen. Sie beneidet die Europäer mit ihren 30 Tagen Urlaub pro Jahr. In den USA sind es häufig nur zehn bis 15 Tage. Im Silicon Valley geben sich die großen Tech-Unternehmen zwar gerne großzügiger. Viele Mitarbeiter lassen ihren Urlaub jedoch verfallen. Eine 80 Stunden Woche ist nicht unüblich.
"Die Arbeitswelt fordert keine punktuelle Leistung. Sie verlangt dauerhafte Leistung. Und wenn ich mit ein paar Drogen nachhelfen kann, sind die Chancen hoch, sie jeden Tag zu nehmen. Unserer Beobachtung nach setzt hier die Abhängigkeit ein, das ist eine der Hauptkomponenten von Suchtverhalten."
Fasten statt Drogen
Geoffrey Woo kommt am liebsten ganz ohne Drogen aus. Der 30-jährige Gründer lässt seinen Organismus lieber körpereigene Drogen freisetzen. Mit 24 hat Woo seine ersten Millionen verdient, als er sein damaliges Start-up an den Gutschein-Konzern Groupon verkauft hat. Woo steht in seiner Freizeit an der Spitze einer Bewegung, die mittlerweile mehr als 20.000 Mitglieder in San Francisco hat.
"Als wir damit anfingen haben, haben wir wöchentlich für 60 Stunden gefastet. Das war hart, weil der Körper es nicht gewohnt war. Nach dem dritten oder vierten Mal wurde es einfacher. Und wir fühlten uns viel klarer und wacher. Das lässt sich leicht erklären, weil der Körper seine Fettreserven anzapft und in Ketonkörper als Hauptenergiequelle umwandelt."
Woo hat aus seinen Leidenschaft für das Fasten eine Geschäftsidee gemacht. Sein neues Unternehmen heißt Human. Es stellt ein Getränk her, das genau jene Ketone enthält, die auch im menschlichen Körper beim Fettabbau freigesetzt werden. Drei Fläschchen des Sportdrinks mit jeweils 25 Gramm kosten rund 100 Euro. Vor allem Rennradfahrer gehören zu den Käufern. Woo und sein Startup beliefern mehrere Teams bei der Tour de France.
"Sie trinken ein oder zwei Flaschen 30 Minuten vor dem Wettkampf. Und dann eventuell nochmals während des Wettbewerbs. Viele Athleten nutzen es auch im Training. Im Silicon Valley wird es getrunken, weil es produktiver macht. Es wirkt anders als Koffein. Es gibt eine Art Kick."
Der Gründer glaubt, dass wir unser Ernährungsverhalten ändern müssen. Ein Großteil der Bevölkerung sitze hinter dem Schreibtisch, bewege sich zu wenig und sei übergewichtig. Viele Menschen arbeiteten längst nicht mehr in der Landwirtschaft oder in der Industrie. Drei Mahlzeiten am Tag seien daher zu viel. Das werde einem aber erst klar, wenn man fastet.
"Es ist schon cool, dann denkt man darüber nach, wieviel Zeit an einem normalen Tag rund ums Essen drauf gehen. Was isst man mit wem? Wenn man sich dann aber dafür entscheidet, eben nichts zu essen, wird jede Menge Energie frei. Das ist irgendwie befreiend."
Hungern für mehr Kreativität im Büro
Er und sein kleines Firmenteam fasten einmal pro Woche. Sonntagabend essen alle zum letzten Mal. Montag und Dienstag gibt es nur Wasser, Tee und wer möchte schwarzen Kaffee. Erst am Mittwochmorgen wird wieder gefrühstückt. Mittlerweile machen Dutzende Tech-Firmen in San Francisco und im Silicon Valley mit. Firmen, in denen es sonst den ganzen Tag über kostenloses Essen und Snacks gibt.
"Fasten beschleunigt den Recyclingprozess unserer beschädigten Zellen. Gleichzeitig wird unser Hirn angeregt, neue Nervenzellen zu produzieren. Es gibt da fundierte Studien, die man an Mäusen vorgenommen hat. Deren Gehirne wurden aufgeschnitten. Sie haben während des Fastens deutlich mehr Nervenzellen produziert. Das ist auch nachvollziehbar, denn der Körper befindet sich in einer Art Alarmzustand. Das macht ihn wacher."
Woo sagt, genau in diesem Zustand sei sein Entwicklerteam deutlich produktiver. Nicht nur, weil Essenspausen wegfallen. Seine Mitarbeiter und er seien kreativer, könnten sich besser konzentrieren. Von Medikamenten wie Adderall hält Woo wenig.
"Vielleicht ist man ein wenig produktiver. Man bezahlt aber langfristig einen Preis dafür. Der Körper gewöhnt sich an die Amphetamine und entwickelt eine Abhängigkeit. Ich finde die jüngsten Statistiken beängstigend: Ein Viertel der Studenten in den USA hat schon mal Amphetamine geschluckt. Meine Community und ich sind an nicht-toxischen Möglichkeiten interessiert, die Kapazität haben und sich ausbauen lassen."
Nur wenige Meilen den steilen Berg hinauf hat Shrein Bahrami ihre Praxis. Von der Dachterrasse ihres kleinen gemütlichen Büros kann sie bis zur Golden Gate Bridge sehen. Die gebürtige Perserin ist Psychologin. Sie hat sich auf die Behandlung von Essstörungen spezialisiert. Die Fastenbewegung von San Francisco sieht sie mit Sorge.
Shrein Bahrami: "Der Körper verfällt in einen Hunger-Modus. Er fragt, was los ist. Die Gedanken drehen sich anfangs nur darum, wie man zu essen kommt. Wir alle brauchen Energie und Essen. Beim Fasten klinkt man sich aus der Verbindung mit dem eigenen Körper aus. Der Körper geht in einen Alarmzustand. Und nach zwei oder drei Tagen Fasten berichten die Teilnehmer von einer Euphorie, der Körper reguliert sich ein Stück selbst."
Ess-Störungen wegen des Fasten-Trends
Bahrami behandelt vor allem Frauen. Die meisten Ess-Störungen, so sagt sie, entstünden durch das Ausprobieren einer neuen Diät. Oder eben durch das Fasten. Erst kürzlich sei eine Frau zu ihr gekommen, die wieder angefangen habe, ihr Essen zu erbrechen. Begonnen hatte es damit, dass sie ihrem Partner einen Gefallen tun wollte. In dessen Startup wurde gefastet.
"Wenn man abnimmt, bekommt man viele Komplimente. Das ist in unserer Gesellschaft so. Man fühlt sich gut und hat mehr Energie. Erst mal ist alles okay. Aber das beizubehalten, kann einen aus der Bahn werfen. Man konzentriert sich nur noch auf diesen einen Aspekt. Dadurch beraubt man sich des eigenen Lebens."
Die Psychologin mit dem schönen Blick über San Francisco ist in der Gegend vielleicht die radikalste Gegnerin des Biohackings. In jedem Fall hält sie nichts von Fasten. Ihr Ratschlag für ein gesundes und langes Leben ist einfach und unspektakulär. Und vielleicht deshalb so gut.
"Am wichtigsten ist Ruhe, guter Schlaf. Danach ist Bewegung wichtig. Entweder man geht spazieren oder macht Yoga. Das liebe ich. Und wenn es nur ein Stretching von zehn Minuten ist. Und dann ist es wichtig, ein positives Selbstvertrauen zu haben und Achtsamkeit gegenüber sich selbst walten zu lassen."