Sauberes Spritzbesteck an der Kirche
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Drogenabhängigkeit ist an sich schon schwer zu ertragen. Umso mehr, wenn es keine sauberen Orte gibt, um die Drogen zu konsumieren. Die Stadt Köln hat deshalb einen Bus für Suchtkranke aufgestellt – mit Unterstützung einer Kirchengemeinde.
"Das ist die Spritzenklappe, der Klient kann die öffnen, kann die gebrauchten Spritzen einwerfen und bekommt dann frisches Spritzenbesteck von uns", erklärt Stefan Lehmann.
Es ist kalt hier draußen, zwischen den beiden Fahrzeugen der Stadt Köln. Sie sehen ein bisschen aus wie Wohnmobile – eines der beiden hat sogar eine Markise ausgespannt, darunter ein kleiner Tisch und zwei Stühle.
Geschützter Raum für Drogenkonsumenten
Drogenkonsum-Mobil oder kurz "Konsumbus" nennen die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes diesen Wagen. Das andere Fahrzeug ist ein mobiler Beratungsraum. Hier suchen Menschen Hilfe, die nicht in der Öffentlichkeit, sondern lieber in einem geschützten Raum ihre Drogen konsumieren wollen.
"Ich sehe gerade, dass im Konsumbus keiner drin ist, deswegen gehen wir jetzt schnell rüber", sagt Stefan Lehmann. "Jetzt haben wir ganz kurz Zeit." Normalerweise nimmt Lehmann die Klienten in Empfang.
Saubere Nadeln und Filter
Zwei von ihnen haben den Konsumbus gerade verlassen. Sie konnten sich hier an je einem von vier kleinen Tischen niederlassen, konnten ihre selbst mitgebrachten, illegalen Drogen zubereiten und konsumieren. An vier Tagen in der Woche hat die Krankenschwester und Sozialarbeiterin Sonja Schwab hier Dienst. Sie sagt: "Die Konsumenten kommen hier rein, sagen ihren Namen, sagen mir, was sie konsumieren, Heroin oder Kokain, ich frag dann, was sie für eine Nadellänge brauchen und gebe denen das Material dann. Das ist in der Regel eine Pumpe, Wasser zum Aufkochen, ein Pfännchen, ein Filter, damit sie sich auch gereinigtes Material spritzen können, da sind viele Schadstoffe mit drin, die sie so rausfiltern können. Ja, und dann nehmen sie Platz und konsumieren."
Schutz für Suchtkranke und Anwohner
Hier drinnen ist es warm, die Heizung läuft, und das macht zwar ein wenig Lärm, aber im Vergleich zu den Unannehmlichkeiten auf der Straße spielt das Dauerrauschen überhaupt keine Rolle. "Unglaublich dankbar sind die Leute", erzählt Schwab. "Also ich hab hier noch keinen gehabt, der sich nicht bedankt hat, die finden das alle toll, dass sie nicht mehr draußen in der Öffentlichkeit konsumieren müssen. Sie fühlen sich nicht mehr vorgeführt, hier haben sie einen sicheren, warmen Raum auch, das wissen sie sehr zu schätzen und das teilen sie uns auch mit."
Lehmann ergänzt: "Dass sie selber geschützt sind, es ist ja auch sehr schambelastet, wenn ich mir in der Öffentlichkeit eine Spritze setze und hier sind sie geschützt und die Bevölkerung ist auch geschützt, eigentlich genau das, was wir erreichen wollen."
Die mobile Anlaufstelle ist nicht dazu eingerichtet worden, Menschen von den Drogen wegzubekommen oder ihnen Drogenersatz anzubieten. Wenn das jemand wünscht, wird er oder sie entsprechend beraten. Vor allem aber geht es darum, den Suchtkranken einen schützenden Raum und saubere Bedingungen zu bieten, eventuell medizinische Notfallhilfe zu leisten und ihnen nicht zuletzt Freundlichkeit und Wärme zu geben, oder auch einfach nur einen Becher Kaffee.
Medizinische Hilfe am Drogen-Hotspot
Lehmann erklärt: "Ich beschreibe das immer unter dem Punkt Menschenwürde - also, ein Lächeln. Wir versuchen, die Klienten alle gleich zu behandeln und einfach freundlich zu sein. Das entspannt die Situation auch hier vor Ort. Wir hatten bisher - toi toi toi - keinen Eskalationsfall, wir hatten medizinische Notfälle, aber keine Gewalteskalation."
Die beiden Drogenbusse stehen eingeklemmt zwischen den romanischen Außenmauern zweier Kirchen. Die eine, St. Cäcilien, ist heute ein Museum für alte sakrale Kunst, die andere ist die Kunststation St. Peter, zu ihr gehört der kleine Platz.
Lange schon hatte die Stadt Köln einen Ort für einen Drogenkonsumraum gesucht, und das nicht irgendwo, sondern möglichst nah an einem der zentralen Drogen-Hotspots, dem Neumarkt. Anwohner und Geschäftsleute waren nicht begeistert von der Vorstellung, dass die "Junkies" nun auch noch ein spezielles Angebot in ihrem Viertel bekommen sollten.
Nachbarn befürchteten mehr Kriminalität
"Es gab natürlich die ganz normalen Ängste", räumt Pfarrer Stephan Kessler, der Leiter der Pfarrgemeinde St. Peter ein. "Ziehen wir dadurch noch größere Massen von Leuten an, die Drogen handeln und konsumieren? All diese Ängste waren da, wir haben Rationales und Irrationales gehört", sagt Kessler.
Dann habe die Gemeinde sich auf den Auftrag der Kunststation Sankt Peter besonnen. Die habe sich auf die Fahne geschrieben, "im Jetzt der Gegenwart Kultur und Religion zu leben", sagt Pfarrer Kessler.
"Und dann war es eigentlich sonnenklar, dass wir uns dafür entscheiden, dieses Grundstück, das zur Kirchengemeinde und zur Kirche Sankt Peter gehört, für dieses mobile Drogenkonsum-Projekt zur Verfügung zu stellen. Ein großer Heiliger der christlichen Caritasgeschichte, Vinzenz von Paul sagte mal: Die Armen muss man nicht suchen, sondern sie werden einem vor die Tür gelegt."
Lieber versorgen als verdrängen
Die Armen vor der Tür, in U-Bahn-Stationen, Parkhäusern, auf Plätzen, in Hauseingängen und Höfen, sind kein erfreulicher Anblick. Die Spritzen, die an diesen Orten liegen bleiben, stellen sogar eine Gefahr dar, der Drogenhandel ebenfalls. In einer Versammlung in St. Peter kamen Gemeinde, städtische Mitarbeiter und die Anrainer aus dem Viertel überein: Die suchtkranken Menschen sind ohnehin da. Statt sie zu verdrängen, sollten sie lieber versorgt werden.
Kessler erinnert sich: "Und so kam das eigentlich, dass am Schluss jemand sagte: Wenn wir schon mit der großen Lichtinstallation von Martin Creed auf unserem Turm stehen haben: "Don't worry, sorge dich nicht!", dann sollten wir die Sorgen, die das Projekt eben auch beinhaltet, nicht größer schreiben als das, was es ist, nämlich Menschen in einer ganz schwierigen Situation nahe zu sein."
Gemeinde ermöglicht eine Zwischenlösung
Zwei der drogenkranken Klienten sitzen an diesem Morgen zusammengekauert im Beratungsmobil. Sie haben ihre Drogen konsumiert und ruhen sich bei einem Kaffee aus, bevor sie weiterziehen. Lehmann zieht nach den ersten drei Monaten eine positive Bilanz, auch bezüglich der Präsenz der Kirchengemeinde an diesem Ort:
"Manchmal kommt Pater Kessler oder die nette Küsterin vorbei, gerade eben war sie auch nochmal da, weil: Wenn was ist, können wir einfach den kurzen Dienstweg nutzen. Aber es gibt auch schon regelmäßige Austauschrunden, damit man sich auch in der Gruppe austauschen kann."
Als Dauerlösung sind die Drogenmobile nicht gedacht, die Stadt sucht nach einem festen Ort für die Suchtkranken. Solange der nicht gefunden ist, bietet die Gemeinde St. Peter weiter ihren Grund und Boden für den menschlichen Umgang mit den Armen der Stadt.