Fatale Nebenwirkungen
Seit zwei Jahren lässt Präsident Rodrigo Duterte Drogenabhängige auf den Philippinen jagen. Polizisten und Mordkommandos haben mehr als 10.000 Menschen erschossen. Süchtige leben nun im Untergrund, Krankheiten nehmen zu, nur wenige Mutige helfen.
Für Jayden ist jeder Tag ein Spießrutenlauf. Heute ist er unterwegs im Zentrum von Cebu-City, der zweitgrößten Stadt auf den Philippinen. Die Mittagshitze brennt. Der 40-Jährige schlängelt sich durch eine Gasse voller Fastfood-Restaurants. Jeepneys, knallbunt bemalte Kleinbusse, brausen dicht an ihm vorbei. Er sieht, wie im Schatten einer Kirche Familien beten. Familien, deren Angehörige erschossen wurden. Sie zünden Kerzen an, eine junge Frau presst sich ein Foto an die Brust.
Jayden weiß: Er könnte der nächste sein, der getötet wird, jederzeit. Denn Jayden ist drogenabhängig – auf den Philippinen kann das tödlich sein.
"Wir haben Angst, für uns ist es nicht sicher. Wir fürchten uns, denn selbst wenn du einfach nur herausgehen willst, um etwas zu kaufen, läufst du Gefahr verhaftet zu werden – nicht nur als Drogenabhängiger. Der Drogenkrieg ist unser größter Horror. Wir haben Angst. Die aktuelle Politik ist einfach nur: Gefängnis, Mord, Gefängnis, Mord."
Duterte will "100.000 Kriminelle" töten
Vor zwei Jahren hat Rodrigo Duterte den Krieg gegen die Drogen auf den Philippinen ausgerufen. Seitdem sind laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mehr als 12.000 mutmaßliche Drogenabhängige und Dealer ermordet worden. Erschossen von der Polizei oder von vermummten Killerkommandos. Präsident Duterte nennt das, "die Gesellschaft von Drogenhandel und Süchtigen zu befreien". Im Wahlkampf sprach er davon "100.000 Kriminelle" zu töten.
"Ich möchte, dass alle Kriminellen meine Opfer sind, um das Problem meines Landes zu beenden und um die nächste Generation zu retten."
Viele Filipinos unterstützen Dutertes Mission. Er genießt großen Rückhalt in den Umfragen, trotz der brutalen Gewalt. Seine Anhänger glauben daran, dass der Drogenkrieg das Land sicherer macht. Auf den Philippinen gelten Drogennutzer als Kriminelle – ihnen werden pauschal Vergewaltigungen und andere Verbrechen angelastet.
Drogenabhängige wie Jayden versuchen, möglichst unauffällig zu sein, damit sie nicht in eine Polizeikontrolle geraten. Der 40-Jährige Filipino trägt eine große Uhr, die sein Tattoo verdeckt, ein schlichtes T-Shirt, eine Jeans. Wie alle Drogensüchtigen will er seinen echten Namen nicht nennen, weil das zu gefährlich wäre. Er nimmt schon seit 20 Jahren Drogen. Begonnen hat er als Student mit Shabu. So nennen Filipinos Crystal Meth, das in den Philippinen stark verbreitet ist. Viele konsumieren Shabu, um sich aufzuputschen, quer durch alle Gesellschaftsschichten hindurch.
"Es ist ein Problem, weil es sehr viele Shabu-Nutzer gibt. Früher konnten sich nur die reichen Leute Shabu leisten, jetzt sind es auch die Armen. Es sind sehr viele Drogennutzer und Drogen werden überall gehandelt. Du kannst an alles Mögliche kommen, jederzeit."
Auch das brutale Vorgehen gegen Konsumenten und Dealer konnte die Verbreitung der Rauschmittel auf den Philippinen bisher nicht stoppen. In der Szene in Cebu-City spritzen sich viele Nutzer ihre Drogen weiterhin. Jayden injiziert sich regelmäßig das Betäubungsmittel Nubain, weil es ihn entspannt. Er kann sich damit besser konzentrieren, sagt er.
Saubere Nadeln für Süchtige verteilen ist illegal
Schnell verschwindet er in einem Gebäude in einem Hinterhof. Vier junge Männer sitzen in einem Raum im oberen Stockwerk.
Ihr Treffpunkt ist so unauffällig wie sie selbst sein wollen: keine Poster an den Wänden, keine persönliche Dinge. Einzig ein großer Konferenztisch steht im Raum, drumherum ein paar Stühle, nebenan ein Schreibtisch und Drucker - ein klassisches Büro eben. Niemand würde vermuten, dass sich hier Drogenabhängige treffen, um ihre Untergrundaktionen zu planen. Es ist ein Widerstand im Kleinen: Weil der Staat die Süchtigen im Stich lässt und Jagd auf sie macht, hat Jayden ein Netzwerk gegründet, in dem Abhängige sich gegenseitig beistehen.
"Wir machen Gesundheitstests, klären auf und versuchen, ihnen Behandlung und Arbeitsplätze zu verschaffen. Wir wollen auch eine Unterkunft für Abhängige einrichten, besonders für die, die HIV haben."
Die Helfer verteilen auch kostenlose Kondome und saubere Spritzen. Das ist auf den Philippinen keine Kleinigkeit. Denn Spritzbesteck an Süchtige zu verteilen, ist illegal.
In einem Raum können die Drogennutzer sich ein paar Stunden ausruhen und offen über ihre Probleme reden. Ein junger Mann mit weichen Gesichtszügen erzählt gerade, wie schwierig es ist, Geld für Drogen aufzutreiben. Er nennt sich Alan und spritzt sich jeden Tag mehrmals Crystal Meth. Drogenkonsum, wie man die Nadeln setzt, wie die Qualität des Stoffes ist: Darüber zu reden, wäre außerhalb des Treffpunktes viel zu gefährlich.
"Ich schweige lieber darüber. Denn ich war schon im Gefängnis und es ist schrecklich dort. Ich wurde auch schon ohne Anlass von Polizisten verhaftet – und das ist kein Spaß. Sie haben mich beschuldigt, etwas getan zu haben, was ich nicht gemacht habe und mir Drogen untergeschoben."
Philippinen: höchste HIV-Neuinfektionsrate in Südostasien
Der Drogenkrieg und die Kriminalisierung drängt Süchtige wie Alan immer mehr in den Untergrund. Das verursacht neue Probleme: Drogensüchtige können sich keine Hilfe mehr holen, lassen sich nicht mehr beraten. So steigt die ungehinderte Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis C. Den Vereinten Nationen zufolge sind die Philippinen das Land mit der höchsten HIV-Neuinfektionsrate in Südostasien. Dem Land droht eine HIV-Epidemie.
Was fehlt, ist Aufklärung in dem katholischen Land. Die Kirche und konservative Politiker hetzen gegen Kondome. Dazu die schmutzigen Nadeln. Auch Alan hat HIV – er dachte früher, dass es nicht schlimm sei, sich mit Freunden die Nadeln zu teilen.
"Ich habe viele Freunde, die gestorben sind, weil sie sich Nadeln geteilt und sich Krankheiten geholt haben. Es ist verdammt hart. Viele von ihnen wissen einfach nicht, was die Ursachen sind. Oder sie wollen nicht zugeben, dass sie sich angesteckt haben, und lassen sich nicht behandeln. Die Nadeln sind ein Riesenproblem. Jetzt wo es verboten ist, Nadeln zu verteilen, spritzen sich viele Drogennutzer einfach auf der Straße oder kaufen ihren Freunden deren Nadeln ab. 90 Prozent der Leute nutzen die gebrauchten Nadeln von anderen."
Politik stellt Unterstützung ein, Infektionsraten steigen
Dass die Zahl der HIV-Neuansteckungen alarmierend hoch ist, weiß man auch in der AIDS-Beobachtungsstelle des Gesundheitsamtes von Cebu-City.
In dem alten Gebäude klären Wandbilder über Dengue-Fieber und Impfungen auf. Der hintere Teil wirkt, als hätte hier ein Erdbeben stattgefunden – das Amt wird gerade vergrößert. Während Dutzende Patienten auf Betonbänken in den Gängen warten, klopfen Bauarbeiter Schutt aus einer Wand.
Dr. Ilya Tac-an leitet die HIV/AIDS-Forschung des Gesundheitsamtes seit vielen Jahren. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Medikamente, Patientenunterlagen und Todeszertifikate. Die Klimaanlage kämpft gegen die schwüle Hitze draußen. Die Ärztin spricht gerade mit einem tätowierten jungen Mann, der in Shorts, Shirt und Flipflops vor ihr sitzt.
Dr. Tac-an erklärt ihm, wie er seine Hepatitis-C-Medikamente einnehmen muss. Seit den 90er-Jahren erforscht sie die Drogenszene der Stadt und entwirft Gesundheitsprogramme. Dabei hat sie auch beobachtet, wie sich die staatliche Drogenpolitik auf die Verbreitung von HIV und anderen Infektionskrankheiten auswirkt. Jedes Mal, wenn die Politik die Unterstützung für Drogenkonsumenten einstellt, steigen die Infektionsraten rasant.
"In Cebu ist die Häufigkeit von HIV bei Konsumenten, die sich Drogen injizieren, ziemlich hoch. Sie liegt der letzten Umfrage zufolge bei 44 Prozent. Seit HIV aufgekommen ist, sind sehr viele Menschen daran gestorben. Und es trifft auch die allgemeine Bevölkerung. Die Partner oder die Frauen der Nutzer, die sich Drogen injizieren, und auch einige Kinder. Behandlungsangebote, die Gesundheitsschäden des Drogenkonsums verringern, könnten wirklich dabei helfen, die Weiterverbreitung von HIV und Hepatitis C zu verhindern."
Doch mit der Regierung Duterte ist die Behandlung von Abhängigen zum Politikum geworden: Ärzte, die Drogenkonsumenten behandeln, haben es nicht leicht. Der Widerstand gegen Gesundheitsprogramme ist groß: Kritiker verstehen nicht, warum Süchtige überhaupt behandelt werden sollen, erzählt Tac-an.
Bevor Duterte an die Macht gekommen ist, hat die Ärztin ein Pilotprogramm geleitet: Kostenlose Spritzbestecke wurden an Süchtige ausgegeben. Doch weil den Ärzten vorgeworfen wurde, dass sie damit Drogensucht fördern, wurde das Experiment nach wenigen Monaten wieder eingestellt. Heute ist es illegal, saubere Nadeln an Drogensüchtige zu verteilen. Und Behandlungsangebote erreichen viele Süchtige nicht mehr, weil sie sich vor dem Drogenkrieg verstecken.
"Früher war es für uns einfacher, auf der Straße zu arbeiten. Unsere Beobachtungen hatten gezeigt, dass Drogennutzer zu einem bestimmten Ort gehen, um ihre Drogen zu spritzen und Drogen zu kaufen. Wir sind dann dorthin gegangen, um ihnen direkt zu helfen. Aber jetzt haben wir große Schwierigkeiten, diese Drogennutzer zu erreichen, weil sie überall in der Stadt verstreut sind."
Wer auf Drogen-Listen ist, muss fliehen oder zur Polizei
Der staatliche Drogenkrieg auf den Philippinen hat auch das Misstrauen der Drogenabhängigen untereinander verstärkt. Niemand kann wissen, ob ein anderer Nutzer nicht vielleicht doch Informationen an die Polizei weitergibt. Das spürt auch Jayden, der Initiator der Untergrund-Gruppe.
"Es ist eine große Herausforderung, sie zu finden und dass sie uns trauen. Sie haben Angst, dass wir für die Regierung arbeiten und ihren Namen auf die Drogen-Listen setzen wollen, sie ausliefern. Es gibt in den Communitys Listen, in die Drogensüchtige eingetragen werden, und sie müssen sich dann ergeben."
Die sogenannten Drug-Watch-Listen sind ein mächtiges Überwachungsinstrument. Auf einer Watch-List landet jeder, der verdächtigt wird, Drogen zu nutzen oder zu dealen. Diese Listen landen bei den lokalen Behörden, den Polizeieinheiten und der Regierung. Die philippinische Nationalpolizei hat zurzeit 11.000 Verdächtige in ihrer Drogen-Datenbank erfasst – und das Register wächst ständig an.
Wer Glück hat, wird darüber informiert, auf der Liste zu stehen. Wenn Drogensüchtige in einer Drug-Watch-List erfasst sind, haben sie nur zwei Chancen: Entweder sich der Polizei zu stellen oder zu fliehen, irgendwo hin, wo man sie nicht kennt. Sonst sind sie zum Abschuss freigegeben.
Auch die Unterstützer der Drogenabhängigen haben Angst davor, ins Visier von Polizei und Staat zu geraten. Für die von Jayden gegründete Gruppe ist jede Aktion ein persönliches Risiko. Trotzdem verteilen sie weiter Spritzen und Kondome, bieten Beratung und mehr an – weil jeder von ihnen schon Freunde und Familienmitglieder verloren hat. Hätte sein Bruder rechtzeitig Hilfe bekommen, könnte er jetzt noch leben, glaubt Jayden.
"Die persönliche Motivation ist die Fähigkeit, anderen Betroffenen zu helfen. Viele sind gestorben, an HIV und Hepatitis, auch mein Bruder. Er ist an Hepatitis C gestorben, obwohl Hepatitis C heilbar ist. In anderen Ländern haben die Leute kostenlosen Zugang zu Behandlung, warum hier nicht?"
Anwälte helfen im Geheimen Drogensüchtigen
Bei ihrer gefährlichen Mission erhalten die Aktivisten Rückendeckung von Anwälten, die ehrenamtlich helfen wollen. So eine Rechtsanwältin sitzt in einem Café in der philippinischen Hauptstadt Manila. Als der Drogenkrieg vor zwei Jahren losging, jeden Tag Menschen erschossen wurden, wollte sie dem Morden nicht länger zusehen. Sie hat mit Kollegen eine Organisation gegründet, die Drogennutzer in rechtlichen Fragen beisteht. Sie klären die Süchtigen über ihre Rechte auf – selbst wenn die Polizei sich oft nicht an das Gesetz hält. Auch die Rechtsexperten müssen im Untergrund arbeiten.
"Wir tragen unsere Arbeit nicht nach außen. Wir bewerben unsere Aktivitäten auch nicht – aber wir tun etwas. Wenn wir Veranstaltungen organisieren, posten wir sie nicht auf Facebook wie andere Organisationen. Wir müssen die Sicherheit der Teilnehmer garantieren und wollen nicht, dass sie identifiziert werden."
Die Rechtsanwältin versucht auch, andere Anwälte dafür zu gewinnen, Abhängige ehrenamtlich vor Gericht zu vertreten. Keine leichte Aufgabe.
"Das ist eine der traurigen Konsequenzen des Drogenkriegs. Es wurden schon Anwälte ermordet, deshalb ist es jetzt sehr schwierig, Anwälte davon zu überzeugen, Fälle zu übernehmen, die etwas mit Drogen zu tun zu haben. Sie sagen dann: Oh, das ist aber gefährlich, uns könnte etwas passieren. Wir versuchen, unsere Juristenfreunde daran zu erinnern, dass Drogennutzer immer noch Menschen sind, Menschenrechte haben und sie ein Recht auf Beratung und auf einen Prozess haben. Natürlich ist die Angst immer da, aber ich denke, dass wir trotz Angst weitermachen müssen."
Auch für Jayden und seine Mithelfer in Cebu-City gibt es keine Alternative als weiterzumachen. Jayden hofft, dass Drogenabhängige auf den Philippinen irgendwann wie ganz normale Bürger behandelt werden – denen man hilft, anstatt sie zu töten. Bis dahin will er den anderen Drogensüchtigen vorleben, wie man überleben kann, trotz Abhängigkeit.
"Früher hatten die Süchtigen keine Ahnung von Angeboten zur Schadensminderung. Jetzt wissen sie, wie man die Nadel und die Spritze säubert, sie wissen, wie man die Gesundheitsschäden verringert. Obwohl unsere Hilfe und der Gebrauch von Nadeln illegal sind, kennen sie sich damit aus. Sie nehmen Drogen – aber auf eine sichere Art und Weise."