Eine gefährliche Paradoxie
Die Drogen sind da, ob an der Ecke beim Dealer oder beim Händler im Netz. Viele Menschen haben das Verlangen, diese Drogen kontrolliert zu nehmen. Wäre es da für den Staat nicht an der Zeit, den Verkauf von sauberem Stoff zu ermöglichen?
Drogen gehören für mich dazu, wenn ich in meinem eigenen Kiez unterwegs bin. Ich stehe hier gerade am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Gleich nebenan wohne ich. Und sehr oft, wenn ich vor meine Haustür trete, dann riech ich es schon, das Gras, das in der Luft liegt. Da vorne an der Ecke beim Gemüsehändler, da stehen sie auch die Kleindealer und quatschen dich immer wieder an, fragen dich, ob du was haben willst. Ich geh mal vorbei und gucke, ob sie es jetzt auch machen.
Dealer: "Hallo, Hasch?"
Reporter: "Was?"
Dealer: "Hasch?"
Reporter: "Nee, danke!"
Die Jungs haben bestimmt auch was anderes, wenn du fragst. Also sowas Partydrogen wie Ecstasy oder MDMA. Also Rauschmittel, die gehören irgendwie zum Leben dazu hier in Kreuzberg. Man weiß es auch: Es geht relativ liberal zu in Berlin beim Thema Drogen. Und wenn man, wie ich, hier mitten in der Stadt lebt und wohnt, dann bekommt man manchmal so das Gefühl, als wären die Drogen tatsächlich schon legal.
Muss Drogenkonsum stärker bekämpft werden?
Dass dieser Eindruck völliger Quatsch ist, zeigt ein Blick in die polizeiliche Kriminalitätsstatistik. 2016 haben Polizisten so viele Anzeigen wegen Drogendelikten geschrieben, wie noch nie zuvor. Gut 246.000 Tatverdächtige zählte das Bundeskriminalamt in Deutschland innerhalb von nur zwölf Monaten beim Thema "Rauschgiftkriminalität". Die Polizei setzt damit um, was die Bundesregierung vorgibt. Auch unter einer möglichen neuen Großen Koalition würde es weiter heißen: Der Drogenkonsum muss bekämpft werden. In letzter Konsequenz auch mit Gefängnisstrafen. Aus Sicht vieler Experten schadet dieses Vorgehen aber genau jenen, denen es eigentlich helfen soll – den Konsumenten.
Ich bin im Bundestag. Hier sitzt Tino Sorge für die CDU im Gesundheitsausschuss. Der Magdeburger Politiker hält die Strafverfolgung für gerechtfertigt.
"Wenn es gesetzliche Regelungen, auf die man sich auch verständigt hat, die auch einen Sinn und Zweck haben, dann müssen die auch durchgesetzt werden. Im Cannabisbereich haben wir ja auch für den Eigenbedarf Mengen, die nicht dazu führen, dass jemand gleich vor dem Kadi steht. Und das sind Punkte, wo man auf der einen Seite den Konsumenten sieht, aber letztendlich auch die Möglichkeit eröffnen muss, dass diejenigen, die so was anbieten, aber auch die, die in einem Übermaß solche Dinge konsumieren strafrechtlich dazu zur Verantwortung gezogen werden."
Das Problem ist: In drei von vier Fällen richten sich die Anzeigen nicht gegen Dealer oder Hintermänner – sondern gegen Konsumenten. Die Meisten bekommen Post von Polizei und Staatsanwaltschaft, weil sie Cannabis bei sich hatten.
Auch wenn es am Ende wegen zu geringer Mengen meistens nicht zu einer Verurteilung kommt. Für die Beschuldigten hätte die Strafverfolgung trotzdem oft weitreichende, negative Folgen. Sagt Heino Stöver, Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences:
"Es reißt ziemlich große Schäden in Biografien gerade vieler junger Menschen, die Ärger bekommen mit Familien, mit ihren Lehrherren und -frauen, mit der Schule und vielen anderen Dingen. Und es bleibt der Makel heften an der Person, wenn die Polizei im Haus war, dass die Eltern möglicherweise bei Minderjährigen vorgeladen werden. Und das jemand sozusagen ein 'Drogi' ist. Dieses Stigma ist sehr zerstörerisch und hat sehr nachhaltige Folgen."
Die Lösung sieht Heino Stöver in der Entkriminalisierung von Drogen. Er fordert eine "humane Drogenpolitik" in Deutschland. Die Sache mit der Strafverfolgung sei gescheitert.
Genügend Anbieter, die sofort in die Bresche springen
"Die Polizei ist kein Marktkorrektiv mehr oder ist es nie gewesen. Also wir machen uns etwas vor, wenn wir denken, die Polizeiarbeit ist erfolgreich im Sinne von Angebotsverknappung. Sobald irgendein Händlerring, wie die Polizei es verlauten lässt, zerschlagen ist, bildet sich ganz schnell was Neues und es gibt genügend Anbieter, die sofort in die Bresche springen."
Bringt die Arbeit der Drogenfahnder tatsächlich nichts? Zu Besuch beim Zollfahndungsamt in Berlin. Ungefähr 40 Beamte kümmern sich hier um den grenzüberschreitenden Drogenhandel. Im Blick haben die Fahnder nicht den Kleindealer von der Straße. Hier geht es um die dicken Fische.
Fahnder Henner Grote öffnet für mich seinen Safe. Darin: ein großer Plastikbeutel voller grüner Pillen:
Grote: "Das sind etwa zehn Kilo Ectasy."
Reporter: "Haben Sie eine Ahnung wie viele einzelne Pillen das sind, zehn Kilo? Sind hunderte oder?
Grote: "Nee tausende. Hier ist noch Steinkoks."
Reporter: "Was ist Steinkoks?"
Grote: "Hartes Koks. Also einfach nicht in Pulverform sondern als Stein. Das ist Amphetamin."
Reporter: "Für Sie jetzt kein Riesenfund, oder?"
Grote: "Nein, nein. Das war jetzt im Rahmen eines gesonderten Ermittlungsverfahrens, das auch immer noch läuft das Ermittlungsverfahren."
Seit 24 Jahren jagt er Drogenhändler. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. So leicht wie heute, sagt er, war es noch nie, als Konsument an illegale Rauschmittel zu kommen:
"Es wird zunehmend über das Internet agiert. Es werden Rauschgift-Depots geschaffen in Deutschland, aus denen heraus im Paketversand in der Regel über Internet Bestellungen verkauft werden. Es ist deutlich einfacher geworden über das Internet und vor allem wesentlich anonymisierter, weil man gar nicht auftreten muss."
Wenn sich aber mittlerweile jeder relativ einfach Cannabis, Kokain oder Ecstasy über das Internet bestellen kann - die Verfügbarkeit also so hoch ist wie noch nie – was bringt da die Arbeit von Henner Grote und seinen Kollegen?
"Dazu sind wir auch ein Stück zu weit weg von den Konsumenten mit unserer Arbeit. Wir versuchen die Täter zu überführen. Es geht darum, kriminelle Menschen, für einen gewissen Zeitraum aus dem Verkehr zu ziehen. Das muss man so sagen.
Die Drogen sind da. Ob nun an der Ecke beim Dealer oder beim Händler im Internet. Und viele Menschen haben das Verlangen, diese Drogen kontrolliert und eigenverantwortlich zu nehmen. Wäre es da für den Staat nicht an der Zeit, den Verkauf von sauberen, kontrollierten Stoff zu ermöglichen? So wie es bei Tabak und Alkohol schon jetzt durchgesetzt wird.