Zeit für einen Strategiewechsel?
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Legalisieren statt strafen: Immer mehr Länder gehen in der Drogenpolitik neue Wege. In Deutschland tut man sich mit einer solchen Liberalisierung nach wie vor schwer. Auch wenn manche Experten dazu raten, zumindest bei Cannabis.
"Amerikas Staatsfeind Nummer eins in den Vereinigten Staaten ist Drogenmissbrauch."
Am 18. Juni 1971, also vor rund 50 Jahren, ruft der damalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Richard Nixon, den "War on Drugs" aus, den Krieg gegen die Drogen. Diese Kriegserklärung ist eigentlich eine Ausweitung des Schlachtfelds – um im Sprachgebrauch zu bleiben. Nicht mehr nur Hersteller und Händlerinnen von illegalen Drogen sollen bekämpft werden, sondern auch deren Nutzerinnen und Nutzer, so Nixon:
"Um diesen Feind zu bekämpfen und zu besiegen, müssen wir eine uneingeschränkte Offensive starten."
Drogen lassen sich nicht komplett verbannen
Auch heute, 50 Jahre später, wird dieser Krieg geführt, in fast allen Ländern der Welt.
Im Januar 1972, also nur wenige Monate nach der Erklärung von Nixon, tritt in der Bundesrepublik in der Nachfolge des "Opiumgesetzes" der Weimarer Republik das "Betäubungsmittelgesetz" in Kraft. Das gilt trotz einiger Novellen bis heute und besagt im Kern: Die Herstellung, der Handel, der Besitz, die Abgabe, die Einfuhr, der Erwerb oder das sich-Verschaffen von Betäubungsmitteln sind strafbar. Manche verbinden damit auch heute noch die Hoffnung, man könne Drogen ganz aus der Gesellschaft verbannen. Doch das gehe an der Realität vorbei, sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig:
"Der Mensch hat immer nach Rauschzuständen gesucht, immer und mit unterschiedlichsten Methoden, und war bereit, vieles auszuprobieren. Und das will ich auch niemandem absprechen. Aber wir müssen schon sehr deutlich machen, dass es bei Dingen wie Crystal, Heroin, Kokain, NPS nicht mal nur ums Ausprobieren geht."
Die Drogenpolitik in Deutschland basiert auf vier Säulen: Prävention, Schadensminimierung, Behandlung und Strafverfolgung. Die ersten drei liegen in der Verantwortung der Gesundheitsbehörden, um letztere kümmern sich Polizei und Staatsanwaltschaft. Viele, die Drogen konsumieren, kommen lediglich mit der vierten Säule in Kontakt – also mit der Strafverfolgung. Laut polizeilicher Kriminalstatistik ist die Zahl der Drogendelikte im Jahr 2019 gestiegen, obwohl die Gesamtzahl aller registrierten Verdachtsfälle gesunken ist.
Hausdurchsuchung wegen neun Gramm Cannabis
Wir sind in Berlin-Neukölln mit Felix verabredet. Der 28-Jährige arbeitet im Bereich politische Bildung und hat viele Jahre lang regelmäßig gekifft.
"Ursprünglich war der Plan, das so ein bisschen ausschleichen zu lassen, weil ich einfach gemerkt habe, dass es immer mehr wird. Und dass es mir auch nicht mehr gutgetan hat. Ich hatte deswegen ein Päckchen mit dem Rest meines Vorrats an meinen Bruder geschickt, damit es nicht mehr in der Wohnung ist."
Felix hatte nicht nur eine Grußkarte dazugelegt, sondern auch seinen Absender auf das Paket geschrieben. Das Päckchen kam nie bei seinem Bruder an. Doch das bemerkte Felix erst, als jemand an einem Samstagmorgen um sieben Uhr an seiner Wohnungstür klingelte. Er stand da gerade unter der Dusche.
"Meine Mitbewohnerin ist dann aber schon wach geworden, hat die Tür aufgemacht und Polizeikräfte mit voller Ausrüstung, mit Schutzschild, also volle Demo-Ausrüstung, nur ohne Helm, sind in die Wohnung gekommen. Zehn sind das insgesamt gewesen, und dann sind sie ins Bad rein, haben gefragt, wo ich bin. Ich hockte hier nackt in der Dusche, und drei Polizisten sind in dem Bad gewesen, haben mich dann aus der Dusche rausgeholt, am Arm rausgezogen und haben gefragt, wer ich bin. Du merkst, ich bin schon ein bisschen nervös, jetzt auch."
Verfahren eingestellt wegen Geringfügigkeit
Die Polizei teilt ihm den Anlass für die Hausdurchsuchung mit: Es geht um die neun Gramm Cannabis, die er an seinen Bruder geschickt hat.
"Komischerweise war meine erste Reaktion Erleichterung. Da konnte ich wieder durchatmen. Ich dachte halt, dass was viel, viel Schlimmeres, was richtig, richtig Krasses passiert sein musste, als die Polizei hier reingekommen ist."
Mehr als drei Stunden stellen die Polizistinnen und Polizisten die Wohnung auf den Kopf, die hinterher kaum wiederzuerkennen gewesen sei. Die anfängliche Erleichterung ist verflogen.
"Wir waren halt völlig fertig, ich habe geweint. Dieser Eingriff in die Privatsphäre ..."
Letztlich hat die Polizei in Felix’ Wohnung lediglich kleine Reste unterschiedlicher Drogen gefunden. Dann hört Felix monatelang nichts von der Polizei. Bis er eines Tages einen Brief bekommt: Das Verfahren wurde eingestellt, wegen Geringfügigkeit. Im Gegenzug musste Felix 300 Euro an einen sozialen Träger überweisen. Sein Konsumverhalten habe der Polizeieinsatz nicht verändert, sagt Felix, wohl aber sein Verhältnis zur Polizei. Er fragt sich, ob die Polizei nichts Besseres zu tun habe, als wegen einer geringen Menge derart in seine Privatsphäre einzudringen.
"Uns fallen die Kilos vor die Füße"
Dirk Peglow hält dagegen, dass es nicht Aufgabe der Polizei sei zu entscheiden, ob Drogenbesitz als strafbar gelte oder nicht – und dass es Aufgabe der Gesetzgeberin sei, solche Einsätze für überflüssig zu erklären. Peglow ist Polizist in Frankfurt am Main und Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, kurz BDK. Die Polizei sei nach dem in Deutschland geltenden Legalitätsprinzip verpflichtet, jede Straftat zu ermitteln und zur Anzeige zu bringen.
Dabei stoße die Polizei immer häufiger nebenbei auf illegale Drogen. Peglow beschreibt das so, "dass wir in der Situation leben, wo uns – ein Kollege hat das mal so formuliert – die Kilos vor die Füße fallen. Das ist mittlerweile nicht mehr so, dass wir da langfristige Ermittlungen vorschalten müssen, wie wir das vielleicht vor zehn oder 15 Jahren noch gemacht haben, wo wir dann umfangreich Telefonüberwachungsmaßnahmen und dergleichen mehr, also die gesamte Klaviatur der Strafprozessordnung genutzt haben. So stellen wir heute immer mehr fest, dass wir tatsächlich ganz viele Aufgriffe im Rahmen solcher Alltagskontrollen haben. Das heißt, es ist viel auf dem Markt. Es wird viel umgesetzt."
Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat dazu im Herbst 2020 neue Zahlen vorgelegt. Die EU-Expertinnen und Experten beobachten einen Anstieg bei allen Substanzen. Am häufigsten konsumiert wird nach wie vor Cannabis: von rund 25 Millionen – vor allem jüngeren – Menschen. Die Produktion illegaler Drogen in Europa habe ebenfalls zugenommen und sei vielfältiger geworden, heißt es in dem Bericht. Vermehrt würden auch Ausgangsstoffe für Heroin, Kokain, Amphetamine und andere Drogen in die Europäische Union eingeführt und in Drogenlaboren weiterverarbeitet.
Illegale Drogengeschäfte bleiben profitabel
Technik und Spezialisierung, Organisation und Vernetzung von Drogenhandel werden immer komplexer, erklärt die europäische Polizeibehörde Europol. Was sich dabei nicht ändere, sei die Profitabilität aufseiten der Dealer. Jedes Jahr geben EU-Bürgerinnen und Bürger Milliarden Euro für Drogen aus, die illegal hergestellt, importiert und verkauft werden. Allein in Deutschland erwirtschaften laut Bundeskriminalamt Gruppierungen der Organisierten Kriminalität zwischen 46 und 256 Millionen Euro pro Jahr mit Rauschgifthandel und -schmuggel.
Viele der kriminellen Gruppen haben sich inzwischen auf die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch die Pandemie eingestellt. Da der Straßenverkauf schwieriger geworden ist, läuft der Handel immer häufiger über Onlinemärkte im Darknet oder auf Social-Media-Plattformen. Geliefert wird zunehmend mittels Paketdienst. Was die Arbeit der Ermittlungsbehörden weiter erschwert:
"Wir sind noch nie dagegen angekommen. Man kann schon resümieren, dass in der Geschichte der Drogenbekämpfung staatliche Maßnahmen, polizeiliche Maßnahmen, glaube ich, noch niemals dazu beigetragen haben, dass sich die Verfügbarkeit oder die Preisgestaltung in irgendeiner Form geändert hat. Die Sicherstellungsmengen sind ja jedes Jahr da. Sie werden mal mehr, mal weniger. Aber am Ende des Tages haben wir mit unseren bislang ergriffenen Maßnahmen jetzt nicht dafür gesorgt, dass es in irgendeiner Stadt in Deutschland kein Kokain gibt. Aber nach unserer Ansicht dürfen wir auf keinen Fall von heute auf morgen sagen, wir lassen das jetzt, gegen illegalen Drogenhandel vorzugehen."
Jahrelange Ermittlungen wegen eines Kilos Crystal Meth
Mittwoch, 11. November 2020, kurz vor 9.30 Uhr. In dem niedrigen Gang vor Saal B 129 des Landgerichts Berlin herrscht Betriebsamkeit. Beschuldigte, Justizbedienstete, Anwältinnen und Anwälte gehen vorbei. Angehörige und Publikum warten darauf, dass sie in den Saal dürfen. Angeklagt vor der Strafkammer 44 sind fünf Männer und eine Frau. Ebenfalls im Saal: Drei Richterinnen bzw. Richter, Verteidigung, eine Dolmetscherin für Niederländisch, Personen aus den Medien und Publikum – der Saal ist voll. Vier der Angeklagten sitzen hinter Sicherheitsglas.
Der Vorwurf der Anklage: Am 28. Mai 2020 will die Polizei eine Drogenübergabe in einer Werkstattgarage im Norden Berlins beobachtet haben. Ein Paar aus Nordrhein-Westfalen fährt in einem roten Range Rover in eine Garage. Kurz danach verlassen der Range Rover und zwei weitere Autos die Garage. Die Spezialkräfte der Polizei greifen zu und nehmen fünf der Beschuldigten fest. In einer Umzugskiste in einem der Autos befinden sich zehn Pakete Crystal Meth, jedes Paket ist in etwa ein Kilo schwer. Insgesamt haben die Drogen einen Straßenverkaufspreis von bis zu einer Million Euro. Der Beamte, der das Signal für den Zugriff gegeben hat, sagt vor Gericht, es sei der größte Crystal-Meth-Fund nördlich von Sachsen.
Bei Polizei und Justiz verursacht dieser eine Drogenfund einen enormen Aufwand. Für die Verhandlung vor dem Landgericht Berlin müssen sich die vielen Prozessbeteiligten durch dicke Aktenordner wühlen, Fotos von Hausdurchsuchungen und Videos einer Drohne sichten, Mitschnitte von Telefonaten und Fahrzeuginnenraumüberwachungen abhören. Insgesamt 14 Monate wurden die Angeklagten abgehört, ehe man ihrer habhaft werden konnte.
Wie teuer die Anti-Drogen-Arbeit von Polizei, Zoll und Justiz in Deutschland ist und was sie am Ende bringt, dazu gibt es keine genauen Zahlen. Schätzungen des Recherchebüros Correctiv aus dem Jahr 2012 gehen von einem hohen dreistelligen Millionenbetrag aus.
Die Polizei verfolgt die Falschen, sagt der Suchtforscher
Ginge es nach Heino Stöver, könnte sich der Staat einen Großteil dieser Ausgaben sparen. Stöver ist Professor für Suchtmedizin an der Fachhochschule Frankfurt und Mitherausgeber des Alternativen Drogen- und Suchtberichts. Dieser Bericht wird seit 2014 jährlich veröffentlicht und versteht sich als kritische Gegenposition zum Drogenbericht der Bundesregierung. Verfasst wird er von "akzept", dem Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, und der Deutschen AIDS-Hilfe. Die aktuelle Ausgabe befasst sich unter anderem mit dem Anstieg der registrierten Drogendelikte und fordert eine andere Strategie in der Drogenpolitik:
"Die Repression hat insofern ein Rekordniveau erreicht, als dass wir mittlerweile 360.000 Strafverfahren zählen, sogenannte Rauschgiftdelikte, wie das Bundeskriminalamt das nennt. Von diesen 360.000 Strafverfahren – das sind von der Polizei durchermittelte Verfahren – sind aber 80 Prozent Fälle, die sich nur in einem Mengenbereich bewegen, der zum Eigenbedarf dient."
Tatsächlich zeichnen sich in den jährlich erscheinenden Lagebildern des Bundeskriminalamts zur Rauschgiftkriminalität zwei Entwicklungen ab. Zum einen findet die Polizei bei Kontrollen und Durchsuchungen immer häufiger kleinere Mengen an illegalen Drogen und reicht diese Fälle an die Staatsanwaltschaft weiter. Insgesamt ist die Zahl dieser sogenannten konsumnahen Delikte seit 2015 um ein Drittel gestiegen. Und zum anderen ist die Zahl der übrigen Rauschgiftdelikte in der Statistik, bei denen es um Herstellung, Handel oder Verkauf geht, nahezu konstant.
"Also im Grunde genommen verfolgt die Polizei zunehmend und hauptsächlich Konsumierende von Drogen. Und das kann eigentlich nicht sein. Das ist nicht Aufgabe der Polizei", sagt Heino Stöver.
Brandenburger Tor in Berlin, Ende September 2020. Philine Edbauer trifft sich mit Unterstützerinnen und Unterstützern von "Mybrainmychoice", einer – so ist auf der Website zu lesen – "Initiative für eine neue Drogenpolitik". Gemeinsam wollen sie zum Büro der Bundesdrogenbeauftragten Daniela Ludwig gehen und eine Petition übergeben.
"Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass überall in unserem Umfeld illegale Drogen genommen werden, aber es ist jedes Mal ein Glücksspiel mit der Dosis oder mit den Streckmitteln, was da jetzt drin ist und was nicht. Und man muss sich natürlich auch in die Kriminalität begeben, um an diese, ja, Genussmittel ranzukommen. Für die meisten sind es Genussmittel, das ist einfach der Punkt."
Edbauers Petition haben mehr als 24.000 Menschen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft unterschrieben. Ihre Kernforderungen: eine Fachkommission für eine neue Drogenpolitik in Deutschland – und ein Ende der Kriminalisierung von Menschen, die Drogen konsumieren.
"Alle Fachleute haben gute Ratschläge, wie man diese Zahl der Drogentoten verringern kann. Und ein wesentlicher Faktor ist, die Strafverfolgung zu beenden. Einfach wo alle sagen, man darf Menschen mit einer Abhängigkeit nicht der Polizei aussetzen."
Befürworter: Legalisierung ist Qualitätskontrolle
Einer dieser Fachleute ist der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap. Er beschäftigt sich – unter anderem als ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission – eigentlich mit der Marktmacht von Konzernen wie Google und Facebook. Den Cannabismarkt betrachtet er ganz ähnlich: nämlich als einen Markt mit Nachfrage und Angebot.
"Unter Ökonomen ist das so, wie soll ich sagen, ein ‚No Brainer’. Da sagt jeder: Ja, das ist doch völlig klar. Das muss man legalisieren."
Für den Ökonomen Haucap ist das stärkste Argument dabei der Jugend- und Verbraucherschutz. Denn eine Legalisierung ermögliche nicht nur eine Regulierung und Besteuerung, sondern vor allem auch eine effektive Qualitätskontrolle.
Doch eine Legalisierung könnte sich auch finanziell lohnen. Haucap hat im Auftrag des Hanfverbands ausgerechnet, wie viel Geld sich der deutsche Staat allein mit der Legalisierung von Cannabis sparen könnte. Sein Ergebnis: 2,7 Milliarden Euro, konservativ gerechnet, sagt er. Zum einen flössen darin Steuern auf Cannabis ein.
"Der zweite große Block ist die Ersparnis, die man bei Polizei und Justiz hätte. Weil die natürlich momentan damit befasst sind, relativ unsinnige Dinge zu tun. Die müssen Vergehen nachgehen, die dann sowieso eingestellt werden."
"Brauchen kein Konjunkturprogramm für Drogendealer"
Die Grünen-Fraktion im Bundestag hat bereits zweimal einen Gesetzesentwurf für ein Cannabis-Kontrollgesetz ins Parlament eingebracht, zuletzt im vergangenen Herbst. Darin wollte die Fraktion Cannabis unter strengen Auflagen zum Verkauf freigeben. Den Argumenten des Ökonomen wollten sich die Vertreter der Unionsfraktion nicht anschließen. Das macht der CDU-Abgeordnete Alexander Kraus bei der Plenardebatte im Bundestag deutlich:
"Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen kein Konjunkturprogramm für Drogendealer. Cannabis gehört weiterhin verboten, weil es der Gesundheit schadet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit."
Tatsächlich warnen Forscherinnen und Forscher davor, dass die Zahl der durch Cannabiskonsum ausgelösten Psychosen gestiegen sei. Jährlich werden Hunderttausende Menschen in Deutschland wegen ihrer Suchtprobleme mit Heroin und Kokain, Cannabis und Amphetaminen behandelt. Die Unionsfraktion argumentiert, dass Verbote die Bevölkerung und insbesondere Jugendliche vor derartigen gesundheitlichen Schäden schützen würden. Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen wurde schließlich wieder abgelehnt.
Wenige Gehminuten vom Bundestag entfernt sind Philine Edbauer und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter vor dem Büro der Drogenbeauftragten der Bundesregierung angekommen. Edbauer hat einen letzten Live-Stream für ihre Unterstützerinnen und Unterstützer auf Social Media.
Drogenbeauftragte will keine Legalisierungsdebatte
Dann geht es hinter verschlossene Türen. Mehrere Medienschaffende hatten angefragt, ob sie bei dem Termin dabei sein könnten. Die Pressestelle der Drogenbeauftragten hatte abgelehnt. Philine Edbauer schreibt noch am gleichen Tag an ihre Unterstützerinnen und Unterstützer und teilt ihnen mit: Daniela Ludwig werde sich wohl nicht für ein Ende der Strafverfolgung einsetzen.
Ein Anruf bei Daniela Ludwig. Es ist nicht leicht, einen Termin bei der Drogenbeauftragten des Bundes und CSU-Bundestagsabgeordneten zu bekommen. Insbesondere, wenn es um das Thema Legalisierung von Drogen geht.
"Um es gleich mal vorwegzunehmen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der deutsche Staat Heroin vertickt", sagt die Drogenbeauftragte. "Ich sage es jetzt mal ganz platt. Ich glaube, man merkt an dem Satz schon, wie widersinnig das ist. Der Staat, der eigentlich dafür da ist, seine Bürger vor allen möglichen Gefahren zu schützen, verkauft dann Heroin – geht gar nicht!"
Aus ihrer Sicht wäre es auch falsch im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität.
"Mir ist es schon wichtig, dass wir nach wie vor signalisieren: Wir sind bei der Frage der Drogenkriminalität wehrhaft. Und wir sind auch bereit, uns zu wehren. Denn eine europäische oder weltweite Kapitulation der Organisierten Kriminalität gegenüber finde ich fatal. Absolut."
Führen wir den Kampf gegen die Drogen? Den Krieg gegen die Drogen?
"Ja, führen wir", sagt Ludwig. "Und dafür werbe ich auch. Und da bin ich mit Horst Seehofer sehr auf einer Linie. Wir müssen einfach davon wegkommen zu glauben, dass das Drogengeschäft so das an der Straßenecke ist."
Lob für das Corona-Krisenmanagement der Drogenbeauftragten
Es ist klar, dass Aussagen wie diese sofort den Widerspruch derer provozieren, die die gegenwärtige Drogenpolitik ohnehin kritisieren. Doch zuletzt gab es auch anerkennende Worte für Daniela Ludwig. Und das ausgerechnet bei der Vorstellung des Alternativen Drogen- und Suchtberichts, der in der Regel kein gutes Haar an der Bundesregierung lässt. Gelobt wurde das Krisenmanagement der Drogenbeauftragten in der Corona-Pandemie. Sie habe sich umgehend dafür eingesetzt, dass Heroinabhängige trotz Praxisschließungen ihr Substitutionsprogramm fortführen konnten.
Parallel dazu war Ludwig maßgeblich daran beteiligt, dass unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine gemeinsame Drogenstrategie der 27 Mitgliedsstaaten ausgehandelt wurde. Im Kern geht es darum, die Gesundheitsaspekte Prävention, Schadensminimierung und Behandlung gegenüber der Strafverfolgung aufzuwerten.
"Mir geht es wirklich darum, Sucht als Krankheit letztlich immer wieder nach vorne zu stellen und nicht als etwas, was zunächst zu einem erhobenen Zeigefinger führt und zu einer weitschweifenden Erklärung, was der Suchtkranke vielleicht selber alles falsch gemacht hat. Das ist nicht mein Ansatz des Umgangs mit kranken Menschen. Jedem anderen Kranken helfen wir auch mit all unseren medizinischen Möglichkeiten und für Suchtkranke muss bitte genau das Gleiche gelten."
Die "Kundschaft" will ein Ende der Prohibition
Was es heißt, Drogenabhängige als Kranke und nicht als Kriminelle zu behandeln, lässt sich in der Birkenstube im Berliner Stadtteil Moabit beobachten – einer Anlaufstelle für Drogenkranke.
"Ja, was will meine Kundschaft?", fragt Sozialarbeiter Christian Hennis. "Die wollen natürlich wie jeder Mensch, der Drogen konsumiert und sich dadurch in eine gesellschaftliche Gefahr begibt – der will natürlich ein Ende der Prohibition. Darum geht's. Das ist das Ding, das Ende der Prohibition bei gleichbleibendem Vorhalten von Angeboten für Leute, die suchtkrank sind."
Christian Hennis arbeitet seit den 1980er-Jahren mit suchtkranken Menschen und leitet die Birkenstube. Hier können Menschen hinkommen, um legal Drogen zu konsumieren: Heroin und Kokain. Die Birkenstube ist ein sogenannter Drogenkonsumraum, ein Ort, an dem Drogen ohne Strafverfolgungsdruck konsumiert werden können, in dem eine staatliche Einrichtung das Spritzbesteck bereitstellt.
In der Birkenstube geht es um Schadensminimierung. Wenn man die Konsumierenden schon nicht vom Konsum abhalten kann, so ist das Verständnis, muss man sie wenigstens darin unterstützen, sich nicht noch mehr in Gefahr zu begeben – zum Beispiel durch verunreinigte Spritzen. Wer hier Drogen nehmen möchte, muss allerdings Regeln beachten. Niemand darf hier zum ersten Mal Drogen nehmen. Dealen ist auch verboten: Konsumierende dürfen also keine Drogen teilen, verschenken, kaufen oder verkaufen. Die Drogen müsse man sich selbst mitbringen, sagt der Leiter der Birkenstube.
"Jetzt sind wir in diesem Raucherraum. Hier riechst du jetzt so ein bisschen den Geruch von Heroin. Ein ziemlich eindeutiger Geruch. Wenn ich morgens komme und lüfte, aufräume, Pipapo, dann hängt dieser ganz charakteristische Geruch richtig im Putz drin. Und das ist der Geruch von Schlafmohn. Der Geruch ist ganz charakteristisch, vergisst du nie."
"Ein Drogenkonsumraum rettet Leben"
In manchen Bundesländern gibt es immer noch keine Drogenkonsumräume. Dabei können sie für die, die Drogen konsumieren, laut Hennis überlebenswichtig sein.
"Ein Drogenkonsumraum rettet Leben. Wir haben hier jeden zehnten Öffnungstag einen Drogennotfall. Und wenn wir dann nicht hier wären und eingreifen würden, würden die Leute sterben. In einigen Fällen zumindest."
Außerhalb der Birkenstube werden Konsumierende nach geltendem Gesetz meistens nicht als Patientinnen und Patienten, sondern wie Kriminelle behandelt. Wer noch Drogen in der Tasche hat und einen Fuß vor die Tür des Drogenkonsumraums setzt, begibt sich in die Illegalität. Auf diesen Widerspruch will Daniela Ludwig mit einer Initiative zur Entkriminalisierung reagieren – zumindest für Cannabis.
"Ich finde, was die Portugiesen machen, ist in der Tat sehr interessant. Ich habe dafür hohe Sympathie, eine Abstufung vom Strafrecht ins Ordnungswidrigkeitenrecht bei Erstdelinquenten zu nehmen. Ich sage aber auch – da will ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen –, ich halte das bei Stoffen wie Heroin oder auch diesen ganzen neuen psychoaktiven Stoffen, die alle zwei Wochen ihre Zusammensetzung verändern, für extrem schwierig, weil natürlich ein Signal ausgeht: ‚Naja, so schlimm ist es ja nicht.‘"
Vorbild Portugal?
Ein Anruf bei Nuno Capaz. Er ist Soziologe und arbeitet seit 20 Jahren für das portugiesische Gesundheitsministerium in der Hauptstadt Lissabon. Sein Arbeitsplatz ist die sogenannte CDT, eine staatliche Kommission zur Vermeidung des Drogenmissbrauchs.
"Wir hatten in den Achtzigern ein riesiges Problem mit Heroinmissbrauch. Es wurde größtenteils gespritzt, was sehr schädlich ist. Es gab viele HIV-Infektionen, viele Überdosis-Tote und Hepatitis unter den Nutzerinnen und Nutzern. Die Hygiene-Bedingungen waren schrecklich. Es gab offene Märkte in Lissabon, Porto und anderen Städten. Im Fernsehen waren es immer die gleichen Bilder von Leuten, die Schlange stehen, um Heroin zu kaufen, sich spritzen auf der Straße."
Im Jahr 2001 beschloss Portugal daher eine völlig neue Drogenpolitik. Eine Gruppe von Fachleuten hatte mehr als 80 Vorschläge erarbeitet, um die Drogenkrise in Portugal zu beenden. Der wohl wichtigste Vorschlag war laut Capaz die Einrichtung eines Staatssekretärs, der die Drogenpolitik seitdem koordiniert. Ein anderer Vorschlag, der in Deutschland am häufigsten diskutiert wird: eine konsequente Entkriminalisierung von Drogenkonsumierenden – egal, welche Droge sie nutzten. Soziologe Capaz erklärt, was sich seitdem geändert hat:
"Der Unterschied ist, wenn ich im Jahr 2000 eine illegale Substanz gekauft habe und ein Polizist tauchte auf, hätte er den Drogendealer und mich direkt mitgenommen und wir wären vor Gericht gelandet, weil es eine Straftat ist. Heute kommt in der gleichen Situation nur der Dealer vor Gericht. Ich würde zu einer Vermeidungskommission geschickt, weil es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit handelt."
Drogenbesitz ist juristisch wie Autofahren ohne Gurt
Juristisch gesehen ist der Besitz jedweder Droge zum Konsum in Portugal vergleichbar mit Autofahren ohne Anschnallgurt. Die Vermeidungskommission, in der Capaz sitzt, kann dafür zwar Bußgelder verhängen. Viel wichtiger sei aber die Möglichkeit, den Drogengebrauch der Nutzerinnen und Nutzer einzuschätzen und sie bei Bedarf an Hilfsangebote zu verweisen. Ohne die Strafandrohung durch die Polizei kämen die Mitglieder der Kommission mit den Drogenkonsumierenden ins Gespräch und könnten herausfinden, wie ihnen wirklich geholfen werden kann.
"Was wir letztlich getan haben, ist nicht, die Substanz zu entkriminalisieren. Wir haben die Nutzerinnen und Nutzer entkriminalisiert. Du hast eben vom Krieg gegen die Drogen gesprochen. Den führen wir immer noch, aber es gibt keinen Krieg mehr gegen die Konsumierenden. Das ist was völlig anderes."
In den USA hat inzwischen eine ganze Reihe von US-Bundesstaaten Marihuana legalisiert, in Oregon ist sogar der Besitz und Konsum kleiner Mengen harter Drogen wie Kokain, Heroin oder Methamphetamine nicht mehr strafbar. Und der Bundesstaat New York will die Einnahmen aus dem Verkauf von Marihuana in die Communitys investieren, die von der Repression gegen Drogennutzerinnen und -nutzer besonders hart betroffen waren.