Warum der Nikolaus fair gehandelt sein sollte
Millionen Kakaobauern haben weniger pro Tag zum Leben als ein Schoko-Nikolaus kostet. Angesichts drohendem Kakao-Mangel komme es umso mehr darauf an, die Lage der Erzeuger zu verbessern, sagt Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut.
Der Welthandelsexperte Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene hält die Strategien der mittelfristig um ihren Rohstoff fürchtenden Schokoladen-Konzerne für noch nicht ausreichend.
"Mittel- bis langfristig könnte es sein, wenn es nicht massive Änderungen auf dem Markt gibt, dass Kakao irgendwann knapper würde", sagte Hütz-Adams im Deutschlandradio Kultur. Viele Unternehmen der kakaoverarbeitenden Industrie hätten gesehen, dass der Nachschub knapper zu werden droht und er damit teurer würde. Grund dafür seien die massive Überalterung der Kakaoplantagen und die extrem niedrigen Einkommen der rund 5 Millionen Kakao-Kleinbauern:
Kakaobauern haben weniger zum Leben als ein Schoko-Nikolaus bei uns kostet
"Viele Familien haben pro Kopf der Familienmitglieder weniger als ein Euro, also weniger als den Gegenwert eines Schoko-Nikolaus hier." Angesichts des massiven Preisverfalls von Kakao in den letzten Jahrzehnten könnten die Bauern es sich nicht leisten, in neue Pflanzen zu investieren, die trotz immensen Arbeitsaufwandes erst in drei bis fünf Jahren Erträge bringen. Weitere Probleme seien das hohe Durchschnittsalter der der Bauern bei fehlender Perspektive für Jüngere, Plantagen zu übernehmen und die notwendigen Investitionen zu tätigen, so der wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene in Bonn, das sich für wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit weltweit einsetzt.
Förderprogramme zur Steigerung der Produktivität allein sind nicht ausreichend
Die Strategien, mit denen die um den Rohstoff fürchtenden Schokoladenunternehmen auf den mittelfristig drohenden Nachschubmangel reagieren, hält Hütz-Adams für nicht ausreichend. Programme, die durch Steigerung der Produktivität und der Ernteerträge durch neue, ertragreichere Pflanzen oder besserer Schulung der Bauernallein auf Ertragssteigerung aus seien, hält er allein für nicht sinnvoll: Durch eine zu starke Steigerung der Erntemengen drohe wiederum ein Überangebot und damit ein erneuter Preisverfall. "Wenn alle verdoppeln, ginge der Preis wieder in den Keller wo er 2000 war." Die Programme müssten breiter aufgestellt werden und beispielsweise auch Kleinkreditsysteme und Förderung der Diversifizierung der angebauten landwirtschaftlichen Produkte enthalten, um die alleinige Abhängigkeit vom Kakaopreis zu verringern.
Kakao-Produkte wie beispielsweise Schoko-Nikoläuse mit Siegeln zu kaufen, die nachhaltig Anbau zertifizieren, wie etwa Fair Trade, UTZ certified oder Rainforest Alliance, sei sinnvoll, aber "nur der erste Schritt", so Hütz-Adams weiter. Um die besorgniserregende Situation der Kakaobauern zu verbessern müssten sowohl die Unternehmen als auch die Regierungen der kakaoanbauenden Länder mehr für die Bauern tun, dazu zähle auch der Bau von Schulen und besserer Infrastruktur.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Und wenn Sie gerade dabei sind, den Einkaufszettel für den Wochenendeinkauf fertig zu machen: Ohne Schokolade wird es heute nicht gehen, denn am Abend werden wieder reichlich Schuhe und Stiefel vor die Türen gestellt, die arbeitsteilig mit dem Nikolaus zu füllen sind. Zu Nikolaus gehört einfach Schokolade, und wir werden uns vielleicht sogar daran gewöhnen müssen, dass diese Schokolade knapp wird, weil der Kakao knapp wird. Das jedenfalls befürchten Fachleute wie Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene und eben dort Experte für den Kakao und den Kakaomarkt. Guten Morgen!
Friedel Hütz-Adams: Guten Morgen!
Welty: Dass Kakao und Schokolade knapp werden könnten, ist, ehrlich gesagt, schwer vorstellbar, wenn man gerade durch die Supermärkte läuft, wo die Regale ja vollliegen. Was sehen Sie, was ich noch nicht erkennen kann?
"Die Erträge pro Hektar stagnieren oder sinken sogar"
Hütz-Adams: Ich würde mich nicht diesen Panikmachern anschließen, die verkünden, dass wir schon in wenigen Jahren ein großes Defizit auf dem Kakaosektor haben. Wir haben aber zugleich das Problem, dass Kakao weltweit von rund fünfeinhalb Millionen Kleinbauern produziert wird, mehr als die Hälfte davon in Westafrika. Und die Einkommenssituation vieler Bauern ist so schlecht, dass sie nicht in ihre Plantagen investieren, daher die Erträge pro Hektar stagnieren oder sogar sinken und zugleich ihre Kinder irgendwann die Plantagen, wenn sie eine andere Möglichkeit sehen, Geld zu verdienen, nicht übernehmen werden. Und von daher könnte es mittel- bis langfristig sein, dass, wenn es nicht massive Änderungen auf dem Markt gibt, Kakao tatsächlich irgendwann mal knapper würde.
Welty: Was bedeutet denn mittel- bis langfristig, in Jahren ausgedrückt?
Hütz-Adams: Die Bauern Westafrikas sind im Schnitt 50 Jahre alt und älter. Da gibt es Studien aus dem Hauptanbauland, der Elfenbeinküste, wo mehr als ein Drittel der Ernte herkommt, ungefähr 20 Prozent der Welt-Ernte kommt aus Ghana, da sieht es ähnlich aus, Nigeria und Kamerun auch. Wenn man dann die durchschnittliche Lebenserwartung in diesen Ländern sieht, dann weiß man, dass viele dieser Bauern so in den nächsten Jahren ausscheiden werden aus dem Kakaomarkt, weil sie in Rente gehen oder weil sie schlicht sterben. Und für die muss jemand gefunden werden, der die Plantagen übernimmt und der möglichst auch in die Plantagen investiert, denn nicht nur die Kakaobauern sind alt geworden, sondern auch viele der Bäume. Kakao war mal eine sehr lukrative Frucht, und bis in die 80 er-Jahre des vorherigen Jahrhunderts rein sind viele neue Plantagen angelegt worden, weil es sich für die Bauern lohnte. Und dann gab es bis zum Jahr 2000 einen massiven Preisverfall. Und seitdem reden wir über viele Probleme am Markt, die mangelnden Investitionen, die alten Plantagen, aber auch Kinderarbeit auf den Plantagen.
Welty: Das heißt aber im Umkehrschluss, wenn man diesen Zeitraum betrachtet, die nächsten zehn Jahre, man kann etwas tun. Sehen Sie denn auch, dass etwas getan wird?
Unternehmen befürchten, dass der Nachschub knapper zu werden droht
Hütz-Adams: Ganz simpel gesagt: Wenn es sich für die Bauern lohnen würde, würden sie wieder investieren. Das haben sie schließlich in jungen Jahren oder ihre Vorväter auch gemacht. Von daher könnte ein Preisanstieg auch bedeuten, dass neue Bäume gepflanzt werden und dass junge Leute auch wieder den Kakaoanbau attraktiv finden. Insofern ist meine Angst, dass Kakao richtig knapp wird und, wie einige Medien das immer hochstilisieren, zu einem Luxusgut ähnlich wie Trüffel würde, die halte ich für komplett überzogen. Daneben gibt es aber auch, um diese Entwicklung aufzufangen, eine Vielzahl von Projekten sowohl der lokalen Regierungen als auch der Entwicklungshilfe, aber auch von vielen Unternehmen, die natürlich auch gesehen werden, dass ihnen irgendwann der Nachschub knapper zu werden droht und er damit teurer wird.
Welty: Welches dieser Projekte halten Sie für sinnvoll und zielführend?
Programme zur Unterstützung der Bauern müssen auch auf Diversifizierung setzen
Hütz-Adams: Grundsätzlich ist es so, dass viele der Projekte vor etlichen Jahren anfingen mit der simplen Aussage, wenn wir die Bauern unterstützen, die Plantagen zu verjüngen, wenn wir ihnen beibringen, Bäume besser zu schneiden, Dünger besser zu verteilen, Krankheiten besser zu bekämpfen, dann werden sie irgendwann ihre Produktivität binnen weniger Jahre verdoppeln. Wenn sie eine doppelt so hohe Produktivität haben, haben sie höhere Einkommen. Wir können so indirekt auch das Problem der Kinderarbeit, was ja mit der Einkommenshöhe der Familien eng zusammenhängt, bekämpfen. Es hat sich aber bald gezeigt, dass es so einfach nicht funktioniert. Das erste Risiko, das Sie haben, wenn tatsächlich alle Bauern ihre Produktivität verdoppeln würden, dann ginge der Kakaopreis wieder so in den Keller, wie er im Jahr 2000 mal war, und alle Bauern wären wieder bettelarm. Das Zweite ist aber, wenn ich von einem Bauern verlange, der auf drei Hektar Kakao anbaut und der da 3.000 Bäume drauf stehen hat, wenn ich dem sage, der größte Teil deiner Bäume ist älter als 30 Jahre alt, nimm jedes Jahr ein paar Hundert von diesen Bäumen weg, fälle sie, pflanze da neue Setzlinge und pflanze dann Schattenbäume, weil junge Kakaopflanzen brauchen Schatten, und pflege diese Bäume, dann ist das für ihn ein immenser Arbeitsaufwand, und er muss wahrscheinlich sogar Arbeitskräfte anheuern, die ihn beim Fällen der Bäume unterstützen und nachher bei der Pflege der Plantage. Die Bäume tragen aber je nach Sorte erst in drei bis fünf Jahren Früchte. Und bei vielen Projekten hat sich gezeigt, dass die Bauern wissen, dass sie diese drei bis fünf Jahre nicht überstehen werden. Und von daher müssten Projekte eigentlich viel breiter ansetzen, als sie es derzeit tun, und müssten neben der Verteilung von Setzlingen von Hochertragssorten auch so was wie Kleinkreditsysteme und eine Diversifizierung des Anbaus enthalten.
Welty: Das klingt jetzt aber doch besorgniserregend.
Kakaobauernfamilien haben pro Kopf weniger als einen Euro pro Tag zur Verfügung
Hütz-Adams: Das ist es aus Sicht der Bauern mit Sicherheit auch. Wir haben, wie gesagt, fünfeinhalb Millionen Kleinbauern. Wir haben in einem Land wie Ghana eine knappe Million Kakaobauern, mit Familienangehörigen sind das irgendwas so um die fünf, sechs Millionen Menschen, die vom Kakaoanbau abhängen, und ein großer Teil von denen lebt weit unterhalb der Armutsgrenze. Viele Familien haben pro Kopf der Familienmitglieder weniger als einen Euro pro Tag zur Verfügung, also weniger als den Gegenwert eines Nikolauses hier. Das ist aus der Sicht der Betroffenen sehr besorgniserregend. Und sie suchen dann nach Perspektiven, brauchen aber bei der Suche nach diesen Perspektiven eben auch Unterstützung.
Welty: Wird die dann gewährleistet?
Hütz-Adams: Es gibt Unternehmensprojekte, wo Schulungsmaßnahmen für Bauern kostenlos zur Verfügung gestellt werden, teilweise auch in Kooperation mit den sogenannten standardsetzenden Organisation, also Fair Trade als bekannteste. Aber im Kakaosektor auch sehr aktiv sind die Rain Forest Alliance und UTZ certified. Es gibt Projekte, die die Unternehmen mit der Entwicklungszusammenarbeit vorantreiben, und es gibt mittlerweile, von Deutschland aus, weil wir hier ein Forum Nachhaltiger Kakao gegründet haben, um da eben ganz breit anzusetzen, das Ganze mit Forschung zu begleiten, und dann zu schauen, was hilft den Bauern tatsächlich.
Welty: Hilft es den Bauern, wenn ich gleich beim Schokoladeeinkaufen für den Nikolausstiefel, für den Nikolausteller auf bestimmte Dinge achte?
Als nachhaltig zertifizierte Schokolade kaufen ist ein erster Schritt
Hütz-Adams: Mittlerweile haben wir in Deutschland ein breites Angebot an Produkten, die ein Fair-Trade-Siegel oder auch UTZ-Siegel oder Rain-Forest-Alliance-Siegel tragen. Das dürfte in diesem Jahr schon so rund ein Drittel – es gibt keine Zahlen natürlich – aber so rund ein Drittel des Angebotes sein in allen Preisklassen. Wenn Sie darauf achten, haben Sie einen ersten Schritt gemacht, weil das heißt, dass da Projekte stattfinden, wo man versucht, die Situation der Bauern zu verbessern. Nun hat aber die Recherche unter anderem, die wir über Südwind und andere gemacht haben, gezeigt, dass darüber hinaus eben noch einiges mehr stattfinden muss, von Kleinkreditprojekten für Bauern, Diversifizierung des Anbaus, damit die nicht nur von Kakao abhängig sind, und dafür entsprechende Schulungen, aber auch so was wie eine Regierungsunterstützung, die viel mehr Straßen und Schulen in den Kakaoanbaugebieten bauen muss. Von daher, wenn Sie nach Siegeln schauen, haben Sie den ersten Schritt auf dem Weg gemacht, und den Rest muss die Kakaoindustrie dann auch zusammen mit den Regierungen gehen.
Welty: Augen auf beim Schokoladenkauf, sagt Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene. Ich danke sehr für dieses Studio-9-Interview, das wir aufgezeichnet haben!
Hütz-Adams: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.