Drohnen

Das allsehende Auge Gottes

Eine unbemannte Kampfdrohne der US-Air-Force (MQ-1 Predator) fliegt in der Nähe eines logistischen Flughafens in Südkalifornien.
Eine unbemannte Kampfdrohne der US-Air-Force (MQ-1 Predator) © dpa picture alliance / Tsgt Effrain Lopez
Von Ingo Arend |
Das Militär feiert bewaffnete Drohnen als ein Werkzeug, mit dem das Töten "human" wird. Grégoire Chamayou beschreibt in "Ferngesteuerte Gewalt" genau das Gegenteil: Mit der Drohne werde Töten zur Hinrichtung - eine brillante Analyse.
"Top Gun", den Titel des berüchtigten Hollywood-Streifens aus dem Jahr 1986, in dem Tom Cruise einen leichtsinnigen Piloten der US-Navy spielt, entliehen sich Filmemacher der US-Armee. So hieß ein Lehrgang, der mangelhafte Nahkampfqualitäten ihrer Jagdflieger abstellen sollte. Seitdem fungiert "Top Gun" als Synonym für den Krieg als Kampf realer Körper und Metapher für soldatische Tapferkeit.
Folgt man dem Grégoire Chamayou, wird diese Art des Krieges gerade Geschichte. Denn durch die Drohnen, die die Armeen der Welt heute einsetzen, wandelt sich der militärische Nahkampf zum ferngesteuerten "Krieg aus der Distanz". Während der einst - notgedrungen - todesmutige Soldat tendenziell zum Feigling wird. In seinem Buch "Theorie der Drohne" skizziert der französische Philosoph, wie diese scheinbare Wunderwaffe den Charakter des Krieges dramatisch zu verschärfen beginnt.
Eine Art immerwährender Krieg
Für Chamayou markiert der Einsatz der "unmanned aerial vehicles" auch einen kulturgeschichtlichen Umbruch. So wie sich mit ihnen ein "synoptisches Sehen" durchsetzt – eine Art technisches Pendant des "allsehenden Auge" Gottes. Und wie sie ein "totales Archiv" möglich machen. Den wahren Paradigmenwechsel sieht er aber im Völkerrecht und in der (militärischen) Ethik.
Überzeugend legt Chamayou dar, wie der Einsatz bewaffneter Drohnen das Institut eines zeitlich und örtlich begrenzten Konflikts in eine Art immerwährenden Krieg verwandelt – einen Zwitter aus Polizeiaktion und staatlichem Terror. Und wie der "drone war" das Völkerrecht aushebelt. Das verbietet es, außerhalb bewaffneter Konflikte mit Kriegswaffen zu töten. Vor allem die USA maßen sich für Chamayou mit der Praxis der "gezielten Tötung" mutmaßlicher Terroristen eine fragwürdige "licence to kill" – eine Lizenz zum Töten an.
Krieg als moralisch rückstandsfreies Computerspiel
Beim Einsatz von Drohnen sieht auch Chamayou die Gefahr der "Playstation-Mentalität". Für schlimmer, nämlich für einen "gewaltsamen Putsch im Kriegsrecht", hält er die Auflösung eines prekären moralischen Gleichgewichts. Der Drohnenkrieg nähme nämlich dem Gegner das legitime Recht, sich mit gleichen Waffen zu verteidigen.
Den Krieg aus einem unverwundbaren Raum zu führen, befördere eine "Nekro-Ethik": Nach der sei es schlecht, zu töten und sein Leben zu exponieren, gut hingegen, Leben zu nehmen, ohne sein eigenes zu riskieren. Mit dem Töten von Menschen in einer Situation, in der es keinen Kampf mehr gebe, degeneriere der Krieg zur "Hinrichtung" und das militärische Ethos zur "Ethik der Schlachtung".
Eine geschlossene Theorie der Drohne liefert Chamayou noch nicht. Aber eine brillante Analyse aller ihrer Dilemmata. Scharfsinnig und schonungslos entlarvt er den Glauben, mit Hilfe von "humanitären Waffen" ließe sich der Krieg in ein klinisch reines, moralisch rückstandsfreies Computerspiel entschärfen, als mörderische Illusion. Gegen die Drehbücher dieses Krieges mutet das kraftstrotzende Kriegsepos "Top Gun" fast wie eine Moralfibel an.

Grégoire Chamayou: Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne
Übersetzt von Christian Leitner
Passagen-Verlag, Wien 2014
288 Seiten, 29, 90 Euro

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